1. moving history – Festival des historischen Films in Potsdam

moving history 2017: Das Bild als Waffe und Dokument


Szene aus Lutz Hachmeisters Fernsehfilm „Schleyer – Eine Deutsche Geschichte“ (2003). Copyright: Lutz Hachmeister

Szene aus Lutz Hachmeisters Fernsehfilm „Schleyer – Eine Deutsche Geschichte“ (2003). Copyright: Lutz Hachmeister


Die Diskrepanz zwischen dem, was später die RAF eigentlich „vermitteln“ wollte und der terroristischen Gruppe, als die sie schließlich in die Geschichtsbücher eingegangen ist, sie ist besonders präsent in Lutz Hachmeisters „Schleyer – Eine Deutsche Geschichte“ (2003). Der Fernsehfilm lässt Freunde, Familie und Wegbegleiter Schleyers zu Wort kommen, aber auch Stefan Wisniewski, der an der Ermordung von Schleyer beteiligt war, ebenso wie Günter Wallraff und den ehemaligen RAF-Mann und Schauspieler Christof Wackernagel. Mit großer Zurückhaltung und völlig ohne Bevormundung des Zuschauers entsteht so ein komplexes Bild, das das Opfer als NS-Profiteur und Gewerkschaftsgegner zeigt und die Täter nichtsdestotrotz als die gemeinen Mörder darstellt, die sie eben sind – inklusive ihrer Unfähigkeit zur Reue.

Der Wille zur „Authentizität“ der neueren Produktionen, der einem bei „moving history“ als Gegenstück zum Haltungsfernsehen der 60er erschien, ist im fiktionalen Bereich noch fast stärker zu spüren. Sowohl Margarethe von Trottas vielfach prämierter „Die bleierne Zeit“ (1981) als auch Andres Veiels „Wer wenn nicht wir“ (2011) arbeiten mit dem Objekt-Zitat (der in einem erhellenden Vortrag von Jan Henschen im RAF-Symposium Thema war): Sie bilden das ab, von dem sie glauben, der Zuschauer benötige es zur Wiedererkennung einer geschichtlichen Realität. Beide Werke erzählen Gudruns Ensslins Werdegang und Radikalisierung – einmal aus der Perspektive der Schwester Christiane und einmal aus der Perspektive ihres Lebensgefährten Bernward Vesper. In beiden Filmen sind es viel eher die zwischenmenschliche Verhältnisse zu Ensslin als Ensslin selbst, die als Handlungsmotoren funktionieren. Das mag nicht akkurat sein und in Teilen vielleicht zu psychologierend, aber es macht Lust auf die Beschäftigung mit den Protagonisten und biografischen Stationen – auch das ist eine legitime Funktion eines Zeitdokuments, nicht nur die Bewahrung und Aufbereitung des So-Gewesenen.

Wer sieht die Bilder, wann

Was in „Die Ruhestörung“ so beeindruckt – der Wille, ein Thema vielleicht auch jenseits der Geduldsgrenze gemeinsam in einer großen Runde zu beackern – das fehle doch irgendwie in der heutigen Gesellschaft, sagte Hans-Dieter Grabe (dessen sehr unterhaltsame Doku „Fritz Teufel oder Warum haben Sie nicht geschossen“ das Festival eröffnete) in einem der vielen Publikumsgespräche. Was leicht als Larmoyanz eines älteren Herren abzutun ist, war innerhalb des Kinosaals beim moving history spürbar: Selbst wenn manchmal eine Kontroverse in der Luft lag, wurde sie nicht ausgefochten. Die Äußerung, dass ja heute „keiner mehr ernsthaft an den Polizeistaat“ glaube (Felix Moeller) blieb ohne Widerspruch oder konsensualen Widerhall ebenso im Raum stehen wie an anderer Stelle die Behauptung, dass es sich bei den Taten der RAF um eine „Revolution“ gehandelt habe (Christof Wackernagel). Beides sind Positionen, die sich anzweifeln lassen – und doch wurde nichts entgegnet. Dabei hätte eben genau der Rahmen von „moving history“ bei einem Thema, das scheinbar keine klaren Täter und Opfer kennt, dazu eingeladen, solche Diskussionen anzustoßen.

Welches Bild wird vom nächsten erschlagen

Statt einer Diskussion nimmt der Zuschauer also die starken Bilder des „moving history“ mit nach Hause und versucht sie dort ein wenig vor den nächsten zu schützen, zumindest ein paar Stunden lang. Das war vielleicht nicht unbedingt ein Problem der 68er, als es ARD und ZDF und Ende der 60er ein paar dritte Sender gab. Damals waren die Bilder aus Vietnam, die während des Festivals vielfach zitiert wurden, verstörende Botschaften, die eine viel größere Sensibilisierung hervorriefen, als man sich das heute in der visuell durchtränkten Welt so vorstellen kann. Das lässt sich als Nachgeborene nicht so leicht begreifen. Damit wird noch ein schöner Effekt des „moving history“-Festival offenbar: Es sensibilisiert für die Fähigkeit des Bildes, Geschichte mitzugestalten.

Marie Ketzscher

Das 1. moving history – Festival des historischen Films fand vom 20. bis 24. September 2017 in Potsdam statt.

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