BFF on the Road: Locarno Festival 2018

Locarno 2018: "Den Mensch in den Mittelpunkt rücken" (Carlo Chatrian)



Der Preis für die männliche Hauptrolle ging an Ki Joobong für seine in der Tat hervorragende Leistung in „Gangbyun Hotel“ („Hotel by the River„) von Hong Sangsoo. Den vielleicht stärksten Film des gesamten Festivals. In Schwarz-Weiß entwickelt der Regisseur die Geschichte eines älteren Dichters, der sich in einem Hotel am Han-Fluss eingerichtet hat, um dort zur Ruhe zu kommen. Von der Vorahnung an den eigenen baldigen Tod getrieben, bittet er seine beiden Söhne, ihn dort zu besuchen. An dem Tag ist viel frischer Schnee gefallen, der den Ort und ebenso die, an sich belastete, Beziehung der drei Männer in einen jungfräulichen Status versetzt – zumindest kurzzeitig. Mit viel subtilem Humor schneidet Hong die wichtigen Themen des Lebens an: Liebe und Tod.

Weiterlesen: 2015 gewann „Right now, wrong then“ von Hong Sangsoo den Pardo d’oro in Locarno. Hier unsere Kritik.

Die Vergabe dieser Preise verhielt sich erstaunlicherweise wenig konform zur sonst dominanten Themenstellung der anderen Wettbewerbsfilme. Tatsächlich erzählten die weit meisten übrigen Filme von Jugendliche und jungen Menschen im Übergang zum Erwachsenenalter vor. Auch interessante, starke Frauenfiguren wurden viel als Protagonisten gezeigt.
Während der franko-kanadische Film „Genèse“ (Regie: Philippe Lesage) als „Film über Coming-of-age-Filme“, wie er von einer Kritiker-Kollegin bezeichnet wurde, noch einen gewissen Reiz hat, zweifelt man bei „Glaubenberg“ des Schweizers Thomas Imbach und „Wintermärchen“ des Deutschen Jan Bonny ernsthaft am Urteilsvermögen aller beteiligten Geldgeber.

Glaubenberg“ war die Hoffnung der Schweizer im Wettbewerb. Thomas Imbachs vorheriger Film „Day is Done„, der auch in Locarno lief, war noch eine sensible, ästhetisch anspruchsvolle Selbstreflexion, wenig prätentiös und gerade durch seine Zurückhaltung tiefsinnig.
Doch der Spielfilm, der von einem Geschwisterpaar aus gutem Hause (Bettina Stucky und Milan Peschel als Eltern können durch ihre gute Leistung nichts retten) erzählt, strotzt vor Mittelmäßigkeit. Das Mädchen ist in ihren Bruder verliebt und entwickelt eine regelrechte Besessenheit ihm gegenüber. Die Geschichte dreht sich um diese verbotene Liebe. Trotz der Handkamera, die immer sehr nahe bei den Figuren ist, übertragen sich auf den Zuschauer kaum Emotionen.

Auf eine ähnliche Form, aber noch gesteigert und überdrehter, setzen auch die Macher von „Wintermärchen„. Der Film ist ein einziges Ärgernis, ein Hohn des guten Geschmacks. Man wird nun argumentieren können, dass das Thema aufs Schockieren, Abstossen angelegt sei. Ein deutsches Pärchen, von Beruf aus frustriert – es ist nicht ganz klar weswegen -, fasst den Plan, aus dem Untergrund endlich selber etwas gegen diese „Ausländer“ zu unternehmen. Schiessübungen im Wald sollen sie auf die Aufgabe vorbereiten, systematisch alle Fremden, „Nicht-Deutschen“ (Charakteristikum nicht-blond) eigenhändig zu töten.
Für eine kurze Zeit fasziniert die Disposition, die Erwartungen an den Stoff sind groß. Doch was in über zwei Stunden in anstrengenden, fast exklusiven Nahaufnahmen sich auf der Leinwand abspielt, ist eine Posse. Eine Sexszene jagt die andere, der Ausdruck „Eierschaukeln“ gewinnt hier eine ganz bildhafte Entsprechung. Die Figuren sind Karikaturen, da sie so dermaßen unglaubwürdig und undifferenziert gezeichnet sind. Sexuelle Frustration, tendenzielle Perversion, Exzesse und Wahnsinn bestimmen die Charaktere. Wollte der Film ein Zeichen gegen Rassismus setzen, alle potenziellen Rassisten diskreditieren? Vielleicht. Seine Sache erreicht er aber nicht, genau genommen verrät er sie. Denn das Resultat ist von selbstverliebter, voyeuristischer Extravaganz. (Einziger Grund bis zum Abspann zu bleiben, ist das Lied „Schrei nach Liebe“ von Die Ärzte)

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