Interview mit Philipp Jedicke zu „Shut Up and Play the Piano“

Jedicke: "Wir finden über die Kunst die Privatperson"


Die Künstler-Bio „Shut Up and Play the Piano“ von Philipp Jedicke feiert Weltpremiere im Berlinale Panorama 2018. Im Zentrum: Der großartige Künstler Chilly Gonzales. © Rapid Eye Movies / Gentle Threat

Wie kam Sibylle Berg als Interviewerin zum Film?
Gonzales und ich waren uns einig, dass wir ein langes Interview brauchen, in dem er über sein Leben erzählt. Wir beiden hatten ein solches noch nicht geführt, waren aber schon eng miteinander, vielleicht zu eng. Das wäre für uns beide komisch gewesen. Ich bereitete eine Liste mit Kulturjournalisten vor, aber niemand überzeugte ihn. So kamen wir zu Künstlern und schließlich zu Sibylle Berg. Die sehr drastisch und sarkastisch ist, kein Blatt vor den Mund nimmt… Er beschäftigte sich mit ihrem Werk und war total begeistert. Also fragte ich sie an und sie sagte sofort zu. Das Gespräch lief in vielen Punkten ganz anders als ich erwartete, aber das tat dem Film wirklich gut.

Der Film findet seinen Ursprung in Berlin, wie auch die Karriere von Chilly Gonzales. Ist „Shut Up and Play the Piano“ ein Berlin-Film?
Ich war ab1995 oft in Berlin, da hat ein Freund von mir die Puppetmastaz-Puppen mit-designt. Mr. Maloke stand in seinem WG-Zimmer rum. Ich erlebte die roughen Berlin Jahre mit den Brikett und Öl-Öfen so mit. Das konnte ich in den Berlin-Part einbauen. Eine romantisierende Außensicht auf Berlin wäre Kitsch. Nina Rohde war da sehr hilfreich, sie ist langjährige Kollaborateurin von Gonzales, hat seinen Look mitentwickelt und seine Albumcover gemacht. Mit ihr über diese Zeit in Berlin zu sprechen half mir unheimlich, obwohl dieses Gespräch nicht im Film ist. Es ist definitiv ein Berlin-Film! Der Paris-Part ist auch deutlich kürzer, obwohl Paris für ihn eine ebenso große Rolle spielt. Dort hat er „Solo Piano“ geschrieben, seinen allergrößten Erfolg. Aber ohne Berlin hätte es das nicht gegeben. Er brauchte diesen radikalen Wechsel.

Die Episode des Films, in der sich Gonzales mit Leslie Feist künstlerisch überwirft, bleibt als tragischer Moment hängen. Haben die beiden wieder ein freundschaftliches Verhältnis?
Ja, es gab kein Zerwürfnis. Er war allerdings wirklich sauer auf Feist, als sie mit einem anderen Produzenten „1234“ gemacht hat. Das wurde ihr größter Erfolg. Das ist natürlich schräg, dass er genau den Song nicht gut fand. Es war interessant zu sehen, wie er im Rohschnitt die Szenen dieses Interviews geguckt hat. Er hat sie auch bestätigt. Die beiden sind total dicke, sie ist seine allerbeste Freundin. Die beiden skypen mindestens dreimal die Woche, manchmal sogar fast jeden Tag. Sie treffen sich virtuell zum Essen. Sie spielt für seine Werdung eine Riesenrolle, dadurch, dass er ihr erstes und zweites Album produziert hat. An allem was sie macht, war er beteiligt, außer bei ihrem letzten Album. Umgekehrt hat sie auf seinem ersten Album gesungen und ist mit ihm getourt. Ich finde es faszinierend, dass aus dieser Keimzelle Peaches, Feist und Gonzales drei erfolgreiche Künstler geworden sind. Aus drei Freunden.

Die drei leben sicher den Traum vieler junger Musiker. Dass sich Karrieren in so unterschiedliche Richtungen entwickeln, aber alle damit Erfolge feiern…
Bei der Premiere auf der Berlinale war es so schön, Peaches, Nina Rohde und Gonzo nebeneinander sitzen zu sehen und deren Reaktionen zu beobachten.

Haben Sie Träume bei Gonzo entdeckt, die er erfüllen konnte?
Gonzo verwirklicht gerade seinen größten Traum mit seiner eigenen Musikschule, dem Gonzervatory in Paris. Wir haben das beim Dreh schon gespürt. Er will dieses Wissen in ihm teilen. Dieses Freigiebige ist ein neuer Teil von ihm. Sonst war er eher der aufbrausende Typ. Man darf das nicht mit Altersmilde verwechseln, da wird sicher Erstaunliches passieren, den „Musicprofessor“, von dem er schon früh gerappt hat, den setzt er jetzt um, das ist sein Herzensprojekt.

Wo enden bei dieser Clique die Figuren und wo beginnen die Personen dahinter? Lassen sich Parallelen entdecken?
Dadurch, dass sie all diese Tiefen und Höhen einer Künstlerwerdung gemeinsam erlebt und durchschritten haben, kann ich mir vorstellen, dass sie sich ausgetauscht haben. Sie geben sich immer noch Tipps, wie sie z.B. mit PR-Sachen umgehen. Sie machen das auf strolchhafte Art, Gonzales am meisten, Peaches auch, selbst Feist hin und wieder. Sie spielen mit den Medien, drehen den Spieß auch mal um.
Feist ist für die drei eher eine Ausnahme, da sie eher versucht, Authentizität rüber zu bringen, die von Singer-Songwritern erwartet wird. Dieses: Hier bin ich und erzähle von mir. Das ist 100 Prozent ich. Gonzo behauptet das exakte Gegenteil. Er sagt: „Sobald du auf der Bühne bist, bist du nicht mehr du selbst.“ Das ist seine Theorie. Er singt: „Authenticity is often shitty.“ Damit meint er nicht Feist, die macht das auf ihre ganz eigene Art genau richtig für ihn. Ihn nervt, wenn Leute so tun als wären sie authentisch, sich aber dabei anders präsentieren.

Die Fragen stellte Denis Demmerle.

1 2