Solothurner Filmtage 2021: Die Home Edition


Still aus DE LA CUISINE AU PARLEMENT von Stephane Goël @ Solothurner Filmtage 2021

Still aus DE LA CUISINE AU PARLEMENT von Stephane Goël @ Solothurner Filmtage 2021

Dem „Schweizer“ Film mehr Visibilität

Die Solothurner Filmtage finden jedes Jahr Ende Januar im gleichnamigen Schweizer Ort statt. Hier kommt die nationale Filmszene zusammen, um sich auszutauschen und das Schweizer Filmschaffen zu feiern. Im zweiten Jahr unter der Führung der neuen Leiterin musste das Festival nun online gehen. Die Richtung, die sie im letzten Jahr einschlug, führte sie fort und baute sie weiter aus. Markant ist der Wille einer jüngeren Autorschaft und Frauen-Künstlerinnen mehr Präsenz zu geben. Konkret übersetzt sich dies in die Förderung von Erstlingswerken, die neu um einen eigenen Preis konkurrierten (Opera Prima), und der umfassenden Auseinandersetzung mit nicht nur aktuellen, sondern auch historischen Rolle von Frauen im Schweizer Filmschaffen. Unzweifelhaft beides wichtige Unternehmungen. Da gilt es in Kauf zu nehmen, dass auch unter den weiblichen Regisseurinnen, beispielsweise, viel Mittelmäßigkeit vorhanden ist.

Das Programm diesen Jahres haben verschiedene Auswahlkommission zusammengestellt. Für die Wettbewerbssektionen Prix de Soleur und Opera Prima kam eine Liste von Titeln zusammen, die eindeutig eine neue formale und inhaltliche Ausrichtung des Festivals unterstreichen. Sie deuten auf eine Entwicklung hin, die den Charakter der Veranstaltung nachhaltig verändern wird und in verschiedenen Punkten fragwürdig erscheint. Zum einen war es mehr als auffällig, dass im Hauptwettbewerb, dem Prix de Soleur, unter den konkurrierenden zwölf Filmen, elf Dokumentarfilme waren und ein Spielfilm. Abgesehen davon, dass dies nicht zwangsläufig auf einen Produktionsüberhang von Dokumentarfilmen gegenüber fiktionalen Filmen hinweist, gelten für die beiden Genres, und das werde ich nicht müde es zu betonen, unterschiedliche Beurteilungskriterien. Sie gehören nicht in einen gemeinsamen Wettbewerb. Durch das ganze Programm hindurch dominierte der Dokumentarfilm, weswegen es zumindest eine Begründung oder einer Thematisierung diese Faktes bei der Präsentation bedurft hätte.

Ein weiterer, für mich wesentlicher Punkt, der aber sehr polarisiert – wessen ich mir bewusst bin – ist der Mangel an Definition, was ein „Schweizer“ Film sei. Für die Sektion Panorama, die wie der Name andeutet, einen Überblick über das Schweizer Filmschaffen des vorangegangenen Jahres bieten soll, konnten die Kuratoren auf über 650 Einreichungen zurückgreifen. 125 davon kamen für die Langfilme in Frage. 17 davon waren offenbar minoritäre Koproduktionen, die schließlich die Endauswahl markant beeinflusst haben. Bei Filmen wie BEIKEDO (TREASURE CITY) des Ungarn Szabolcs Hadju, unbestritten herausragend, doch ausschließlich in Budapest gedreht mit ausschließlich ungarischen Darstellern, oder auch MALMKROG des Rumänen Christi Puiu, unzweifelhaft ein Meisterwerk, muss man den „Schweizer“ Anteil und das Interesse sowie die Bedeutung für die Schweizer Filmszene- und industrie mit der Lupe suchen. Dass dort nun Geld von Schweizer Seite, vielleicht für die Post-Produktion floss, macht ihn zu einem wichtigen Beitrag für die Schweizer Filmlandschaft? Diese Sache kann zu großen Paradoxen führen. Denn Produktionen, die in anderen Jahren im Programm von Solothurn als Schweizer Beiträge gezeigt wurden (wie CANCION SIN NOMBRE von Melina León), wurden nirgends anders als solche gekennzeichnet. Das sind keine Einzelfälle.

Weiterlesen: Unsere Kritik zu MALMKROG von Christi Puiu

Für die Produktion von Filmen ist Geld von Nöten und auch wichtig, dass sich die Schweiz an starken Projekten beteiligt, doch ist das dann automatisch ein „Schweizer“ Film? Auch wenn man das formal so sehen kann, gehört er dann in eine Filmschau, die sich genau zur Aufgabe macht, dem Schweizer Filmschaffen eine Plattform zu bieten, die es sonst nicht bekommt? An dieser Stelle wirkt es wie eine etwas verpasste Chance, den Beitrag zu leisten, der für das Schweizer Filmschaffen den Unterschied machen würde: Der Stärkung des Schweizer Films auf nationaler Ebene bedarf es, um diesen auch international zu fördern. Etwas, was dringend notwendig ist und durchaus verdienterweise. Selbstverständlich bedeutet das nicht, dass dabei die Qualität außer Acht gelassen werden muss.

Still aus WIE DIE KUNST AUF DEN HUND UND DIE KATZE KAM von Anka Schmid © Anka Schmid

Still aus WIE DIE KUNST AUF DEN HUND UND DIE KATZE KAM von Anka Schmid © Anka Schmid

Aber nach der Polemik doch noch ein paar Worte über die filmischen Höhepunkte des Festivals, die es nämlich durchaus gab. Um bei den Dokumentarfilmen zu bleiben, kann der neue Film von Anka Schmid WIE DIE KUNST AUF DEN HUND DIE KATZE KAM als frischen und klugen Beitrag genannt werden. In ihrer gewohnt selbstironischen und unverkrampften Art untersucht sie das Verhältnis von Künstlern, alten wie aktuellen, zu den beiden beliebtesten Haustieren des Menschen. Sie zeigt, wie sich die Wahrnehmung der Tiere über die Jahrhunderte verändert hat und was schon immer gleich war. Geschickt mischt Schmid Aufnahmen verschiedener Quellen zu einem dynamischen, selbstbewussten und humorvollen Film. Die Videoaufnahmen der zeitgenössischen Vertreter der beiden Rassen sind herausragend gelungen.

Von Stephane Goël stammt ein ebenfalls humorvoller Film, der sich der Wandlung der Frauenrechte in der Schweiz annimmt. In DE LA CUISINE AU PARLEMENT erzählt er anhand von umfangreichem Archivmaterial und neu produzierten Bildern wie die Frauen eben von der Küche ins Parlament zogen. Dass der Weg steinig war, kann man sich vorstellen, weiß man auch, doch es schadet nichts, es sich wiederholt vorzuführen. Goël, dessen erster Film INSULAIRE noch in guter Erinnerung ist, beweist einmal mehr sein Geschick für Rhythmus, das hier in Anbetracht der Heterogenität des Materials umso wichtiger war.

1 2