51. Sehsüchte: Viel Neues aus Potsdam
Sehsüchte 2022
Vom 20. bis 24. April 2022 findet bereits zum 51. Mal dieses Jahr das Internationale Studentenfilmfestival Sehsüchte statt. Organisiert und durchgeführt von den Studenten der Filmuniversität Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg, bietet es die Gelegenheit, Abschlussarbeiten in verschiedenen Genres und Formaten der heranwachsenden internationalen Generation von Filmemachern und Filmemacherinnen zu entdecken.
Während fünf Tagen ist nicht nur das breitere Publikum eingeladen, die präsentierten Filme zu sehen. Das Festival gilt für die Studierenden selbst als erste Plattform, sich und ihre Werke ins Spiel zu bringen, sich mit anderen auszutauschen, sich Kritik zu stellen und im Idealfall erste Schritte für eine beginnende Karriere zu machen. Deswegen plant Sehsüchte neben den eigentlichen Filmvorführungen auch zahlreiche Treffen wie Workshops, die dies befördern sollen.
Es gilt für die Studierenden, verschiedene Aspekte des Filmgeschäfts kennenzulernen. Dazu gehört auch, dass eine Jury über die Filme beraten wird. Aufgeteilt ist das Programm in jeweils eine Kategorie für lange und kurze Spielfilme sowie für lange und kurze Dokumentarfilme. Ergänzt wird es zudem durch spezifische Sektionen, die dem Animationsfilm oder dem Genrefilm gewidmet sind und eine Auswahl an Kurzfilmen zeigen.
Auch das Thema „Produktion“ erhält eine eigene Plattform: „Mit der Sektion „Fokus Produktion“ ist Sehsüchte eines der wenigen Festivals, welches einen Blick hinter die Filmkulissen wirft. Hier zählt nicht nur, was im Endeffekt auf der Leinwand zu sehen ist, sondern auch der Prozess, der zu diesem Ergebnis geführt hat. Bei „Fokus Produktion“ können Filmemacher:innen beispielsweise mit innovativen Finanzierungswegen, fairen Arbeitsbedingungen, überzeugenden Gleichstellungskonzepten, nachhaltiger Ressourcenverwendung und vielem mehr punkten – an anderer Stelle oft unsichtbare Vorgänge. Studierende deutschsprachiger Hochschulen können auf diesem Weg mit dem Preis „Beste Produktion“ ausgezeichnet werden.“
Weiter präsentiert Sehsüchte außer Konkurrenz Filme (Sektion „Future“), die spezifisch für Kinder und Jugendliche ausgewählt wurden und von denselbigen bewertetet werden sollen. Dazu kommen Werke aus der Kategorie „360°“, die sich nicht auf die flache Leinwand beschränken und ein immersives Erzählen feiern, eine kleine Retrospektive älterer Beiträge und die „Showcases“, die zusätzliche aktuelle Filme von der Konrad Wolf und einer Partneruniversität, in diesem Jahr die University of North Carolina of Fine Arts, präsentieren. Es gibt also viel zu erleben und zu entdecken bei den Sehsüchten.
Teresa Vena
Unsere Empfehlungen aus dem diesjährigen Programm sind die folgenden:
Wettbewerb Spielfilm lang
BULLDOG
Darum geht es:
Bruno lebt mit seiner Mutter Toni auf Ibiza. Er ist der Verantwortungsvolle der beiden, nimmt seine Arbeit als Reinigungskraft und Aushilfe in einem Hotel ernst, während Toni immer wieder nach der erstbesten Ausrede sucht, um sich zu drücken. Dann freundet sich Toni mit einer Frau an, die als Gast auf der Insel ist, und fängt eine Beziehung zu ihr an. Bruno fühlt sich vernachlässigt und abgedrängt, aber vor allem droht ein neuer Eklat mit dem Arbeitgeber. Mutter und Sohn sind schon bei mehreren Hotels gewesen und wieder entlassen worden. Während Toni dieses prekäre Leben von einem Tag in den anderen durchaus genießt, sie ist schließlich aus Deutschland geflohen, um es anders zu machen, als man es von ihr erwartete, setzt es Bruno immer mehr zu.
Was du zum Film wissen musst:
Nach einigen Kurzfilmen ist BULLDOG nun André Szardenings‘ Langspielfilmdebüt. Der Regisseur hat an der ifs internationale filmschule Köln studiert. Der Film feierte 2021 beim Max Ophüls Preis seine Premiere. BULLDOG hat er mit einfachen Mitteln realisiert, begrenzter Schauplatz und Konzentration auf drei Hauptcharaktere, die aus dem Film ein intimes Kammerspiel machen. Die Charakterzeichnung ist vielschichtig und wirkt authentisch. Als gut abgestimmtes Trio stehen Julius Nitschkoff, Lana Cooper und Karin Hanczewski vor der Kamera. – TV
Termin beim 51. Sehsüchte:
Donnerstag, 21. April 2022, 18 Uhr, Kino 2
JESUS EGON CHRISTUS
Darum geht es:
In einer evangelikalen Lebenshilfe trifft Vajdas Hauptfigur Egon auf eine Gruppe Heroinabhängiger auf Entzug. Und auf Jesus. Egon leidet an einer Psychose und ist ein sympathischer Sonderling. Oft setzt er Sätze immer wieder neu an, steigert sich mit verschiedenen Intonationen hinein in das Gerüst eines Satzes, hält sich daran fest. Ein Pastor ermahnt ihn dann zur Zügelung, etwa beim Suppelöffeln am dunklen Abendbrotstisch. Der Pastor, der eine erniedrigende Autorität ausstrahlt, ist der Strippenzieher des religiösen Zusammenbunds. Er spielt den zur Einsicht gekommenen Messias, der Menschen mit Suchtproblemen und geistigen Behinderungen retten will. Tatsächlich hat er den gleichen Hintergrund wie die Suchtabhängigen. Er hatte ein Drogenproblem.
Weiterlesen: Hier unsere ausführliche Kritik zum Film von Wenke Bruchmüller und unser Interview mit den beiden Regisseuren.
Was du zum Film wissen musst:
David und Saša Vajdas Drama JESUS EGON CHRISTUS lief letztes Jahr bei der 71. Berlinale in der Perspektive Deutsches Kino. Der Film kombiniert fiktionale und dokumentarische Formen. Dabei sticht der Hybridfilm durch feinfühlige Charakterdarstellungen heraus, die auf stereotype Zuschreibungen verzichten. Die schauspielerische Leistung von Roxanna Stewens und Paul Arámbula als Egon ist packend. Die Brüder Vajda haben über zwei Jahre hinweg in Methadonkliniken, Fixerstuben und in Neukölln recherchiert und gecastet. JESUS EGON CHRISTUS ist ein kluger Film über Außenseiter, ein Film über die bizarre Konfrontation zwischen einer Psychose und Jesus. – Wenke Bruchmüller
Termin beim 51. Sehsüchte:
Donnerstag, 21. April 2022, 12 Uhr, Kino 2
PARA:DIES
Darum geht es:
Die Filmemacherin Amira möchte einen Dokumentarfilm über die Beziehung der beiden Frauen Jasmin und Lee machen. Die Anwesenheit dieser dritten Person bringt aber das Gleichgewicht zwischen des Paares auseinander. Sie erkennen, dass was sie als geradezu paradiesisch angesehen haben, schon lange Risse hatte. Sie werden durch die Fragen von Amira und vor allem ihrem prüfenden Blick durch die Kamera gezwungen, genauer hinzusehen. Genügen sie sich, was sind die Wünsche der einen, welche die der anderen.
Was du zum Film wissen musst:
Diese intime Selbstreflexion ist der erste Langfilm der deutschen Regisseurin Elena Wolff, der dieses Jahr beim Max Ophüls Preis präsentiert wurde. Der Film ist eine deutsch-österreichische Produktion. In PARA:DIES spielt Wolff selbst eine der beiden Hauptrollen, ihr Gegenpart wird von Julia Windischbauer übernommen, die auch aktiv am Film mitgeschrieben hat und die Produktion verantwortet. Die beiden loten die Grenzen zwischen Dokumentarfilm und Fiktion aus, und haben ein erstaunlich dichtes Werk geschaffen, das als symptomatisch für eine ganze Generation angesehen werden könnte. – TV
Termin beim 51. Sehsüchte:
Samstag, 23. April 2022, 12 Uhr, Kino 2
Wettbewerb Dokumentarfilm lang
AMONG US WOMEN
Darum geht es:
In Äthiopien zählt man in den ländlichen Gebieten eine hohe Müttersterblichkeit. Um entgegen zu wirken, müsste die medizinischen Infrastrukturen angepasst werden, sie müsste effizienter und vor allem zugänglicher sein. Es ist zum Beispiel nämlich kaum möglich, dass Frauen für die Entbindung rechtzeitig in die Klinik kommen. Können sie nicht auf einen privaten Transport dorthin zurückgreifen, sind sie auf die Ambulanzen angewiesen, die aber aus mangelndem Benzin oder sonstigen logistischen Gründen erst gar nicht zur Verfügung stehen. Aus verschiedenen Perspektiven versucht der Film, die Bemühungen, kaum von der Männerseite, aufzuzeigen, die Situation für die Frauen vor Ort zu verbessern.
Was du zum Film wissen musst:
Sarah Noa Bozenhardt und Daniel Abate Tilahun haben den Film gemeinsam gedreht. Sie ist deutsche Regisseurin, die während vieler Jahre in ihrer Kindheit in Äthiopien gelebt hat, er ist ihr Pflegebruder äthiopischer Abstammung. Dem Film ist ihre eigene Vertrautheit mit dem Land und den Menschen vor Ort vollumfänglich anzusehen. Eindrücklich ist der Zusammenhalt, der in diesen Frauengemeinschaften herstellt, der der Film spürbar macht. Entstanden sind Bilder, die weit weg von den klassischen Afrikaaufnahmen entfernt sind. – TV
Termin beim 51. Sehsüchte:
Samstag, 23. April 2022, 17 Uhr, Kino 2
Wettbewerb Kurzfilm Spielfilm
ES MUSS
Darum geht es:
Silvia hat einen schlechten Tag. Sie wird auf der Arbeit entlassen, kommt in eine Verkehrskontrolle und wird gebüsst, weswegen sie zu spät bei der Chorprobe erscheint. Schließlich verliert sie auch noch ihr Solo. Das ist eins zu viel. Es reicht, sie rebelliert.
Was du zum Film wissen musst:
Die Schweizer Jumana Issa und Flavio Luca Marano haben einen wirklich amüsanten Kurzfilm geschaffen, der vielen Menschen aus der Seele spricht. Die Protagonistin, gespielt von einer charismatischen Ruth Schwegler, fehlen wortwörtlich die Worte, doch ihr Blick, ihre Anspannung zeigen Wut und Verzweiflung, bis sie sich gehen lässt. – TV
Termine beim 51. Sehsüchte:
Samstag, 23. April 2022, 14:30 Uhr, Kino 2
Sonntag, 24. April 2022, 15 Uhr, Kino 1
LEMONGRASS GIRL
Darum geht es:
Piano ist die Produktionsleiterin bei einem Film. Sie soll alles erledigen, aber bekommt kaum Anerkennung. Erst wenn ein Problem erscheint, erinnert man sich an sie. Um für einen guten Ausgang des Films zu beten, gibt es das Ritual, Zitronengras einzupflanzen. Als sich aber die dafür vorgesehen Person weigert, muss Piano auch dafür eine Lösung finden.
Was du zum Film wissen musst:
Die thailändische Regisseurin und Produzentin Pom Bunsermvicha nimmt in ihrem lakonisch erzählten Kurzfilm einen religiösen Brauch zum Anlass, um über Aberglauben und die Stellung der Frau zu sprechen. Die Hauptdarstellerin führt mit einer wohltuenden Ruhe durch die Geschichte und zeigt eine mitreißende Stärke. – TV
Termin beim 51. Sehsüchte:
Donnerstag, 21. April 2022, 12 Uhr, Kino 2
Showcase Konrad Wolf
FLUFFY TALES
Darum geht es:
Ella soll als Modell Werbung für Hundefutter machen. Der Fotograf möchte, dass sie möglichst überzeugend rüberkommt. Dafür muss sie sich in die Haut eines Hundes versetzen. Wie ein Hund denken und agieren. Als sie sich auch noch ausziehen soll, weil schließlich Hunde keine Kleidung tragen, geht Ella ein Stückweit mit, doch dann…
Weiterlesen: Unsere Kritik von THE CASE YOU von Alison Kuhn.
Was du zum Film wissen musst:
Schauspielerin und Regisseurin Alison Kuhn hat bereits mit ihrem langen Dokumentarfilm THE CASE YOU das Thema Machtmissbrauch in der Unterhaltungsbranche thematisiert. Mit diesem zynischen Kurzfilm führt sie nur weiter, was in THE CASE YOU bittere Realität ist.
Termine beim 51. Sehsüchte:
Donnerstag, 21. April 2022, 17 Uhr, Kino 1