32. FFC: Vielfältiger Einblick ins ost- und mitteleuropäische Filmschaffen


Vom 8. bis 13. November 2022 bietet das FilmFestival Cottbus einen wie gewohnt spannenden und umfassenden Überblick über das politisch relevante und vielfältige Filmschaffen in Ost- und Mitteleuropa. 219 Filme aus 48 Produktionsländern, darunter viele internationale, Deutschland- und Weltpremieren, zeigt das Festivalteam und organisiert zahlreiche Filmgespräche mit Regisseur*innen, Schauspieler*innen und Produzent*innen im Anschluss an die Filmvorführungen.

Neben den traditionellen Wettbewerben Spielfilm, Kurzfilm und U18 Jugendfilm sind in der Sektion „Spotlight“ in diesem Jahr Filme aus Rumänien zu sehen. Weitere Schwerpunkte bilden Beiträge aus der Lausitz und aus dem Nachbarland Polen. Filme u. a. von Agnieska Holland, Věra Chytilová und Helke Misselwitz versammelt die Sektion „Frauenrollen im Sozialismus und danach“.

Filme aus der Ukraine zeigt das Festival in fast allen Sektionen – auch solche, die den Krieg thematisieren. Das Festivalteam setzt auf Begegnung und Austausch in sechs Cottbuser Spielstätten.

Hier kommen einige Filmtipps aus dem umfangreichen Festivalprogramm für euch:

METRONOM

Darum geht es:
Es ist 1972 im Rumänien der Ceauşescu-Diktatur. Teenagerin Ana aus Bukarest hat Liebeskummer wegen ihres Mitschülers Sorin, der bald nach Deutschland gehen will. Als ihre Freundin Roxana eine Party gibt, schleicht sich Ana gegen den Willen ihrer Eltern aus der Wohnung. Bei Roxana hören sie verbotene Platten von Jim Morrison und Janis Joplin. Einer der Jugendlichen liest einen Brief mit Musikwünschen (Jimi Hendrix!) an den aus Rumänien nach Deutschland geflüchteten Radiomoderator Cornel Chiriac von Radio Free Europe vor, den Sorin später einem französischen Reporter übergeben soll. Doch nachdem Sorin die Feier verlassen hat, taucht plötzlich die Securitate auf und nimmt die jungen Leute mit. Von einem Moment auf den anderen geht es um alles: Freundschaft, Freiheit, Zukunft, Verrat oder Loyalität.

Was du zum Film wissen musst:
Der glaubwürdig inszenierte und ausgestattete METRONOM, der erste Langspielfilm des 1980 in Rumänien geborenen Regisseurs und Drehbuchautors Alexandru Belc, gewann den Regiepreis der Sektion „Un Certain Regard“ bei den Filmfestspielen von Cannes 2022 und wirft nicht nur ein Licht auf die starken Restriktionen, denen auch junge Menschen im Rumänien der Ceauşescu-Ära ausgesetzt waren, sondern auch auf den Einfluss des Radiomoderators Cornel Chiriac, der 1975 in München ermordet wurde – möglicherweise im Auftrag der Securitate. – StB

Termine beim 32. FilmFestival Cottbus:
Wettbewerb Spielfilm
10. November 2022, 22:00 Uhr, Stadthalle
11. November 2022, 10:00 Uhr, Weltspiegel, Saal 2

THE UNCLE (OT: STRIC)

Darum geht es:
Wenn er kommt, muss alles perfekt sein. Hat der Sohn denselben mutig gemusterten Strickpullover an wie gestern? Hat der Gatte die Lichterkette am Weihnachtsbaum kontrolliert? Es bleibt kaum Zeit, denn da rauscht er schon an, im blauen 80er-Jahre-Mercedes. Mutter, Vater und Sohn bauen sich vor ihrem abgelegenen Häuschen am noch seltsam sommerlich anmutenden Wald auf und winken, als er ankommt: der Onkel aus dem Westen. Ein paar übergriffige Fragen und Unverschämtheiten später findet die Familie sich am Esstisch wieder. Der Truthahn ist serviert. Die kroatische Familie packt die Weihnachtsgeschenke des Onkels, der im westdeutschen München lebt, voller Ehrfurcht aus. Doch schnell stellt sich heraus: Irgendetwas stimmt an diesem Weihnachtsfest ganz und gar nicht.

Was du zum Film wissen musst:
Andrija Mardešićs und David Kapacs so skurriler wie genialer, prominent besetzter Film zeigt eine Familie, die in einer Endlosschleife gefangen ist – und wie im absurden Theater Tag für Tag dasselbe Spiel spielen muss. Für den im Westen zu Geld gekommenen Onkel spielen die drei jeden Tag Weihnachten und unterwerfen sich seinen Launen. Von seiner Gunst sind sie abhängig – und dennoch versuchen sie von Zeit zu Zeit, auszubrechen. Der reiche Onkel, der sich im Westen nun etwas leisten kann und die daheimgebliebenen Verwandten auf herablassende Weise beschenkt, lässt sich als Symbol für viele politische Abhängigkeiten lesen. Anschauen und selbst interpretieren lohnt! – StB

Termine beim 32. FilmFestival Cottbus:
Spectrum
8. November 2022, 19:30 Uhr, Kammerbühne / SerienLounge@KB
9. November 2022, 14:45 Uhr, Glad-House / Obenkino

MURINA

Darum geht es:
Teenagerin Julija, die das Tauchen liebt, lebt mit ihren Eltern recht abgeschieden auf einer kroatischen Insel. Täglich leidet sie unter dem autoritären, jähzornigen und gewalttätigen Verhalten ihres Vaters Ante. Als Javier, ein alter Bekannter ihres Vaters, zu Besuch kommt, um möglicherweise dessen Land zu kaufen, verändert sich etwas. Javier scheint nicht nur Interesse an Julijas Mutter zu zeigen, die er von früher kennt, sondern auch an ihr. Julija schöpft Hoffnung, mit Javiers Hilfe aus ihrem von außen so paradiesisch wirkenden Gefängnis ausbrechen zu können.

Was du zum Film wissen musst:
Antoneta Alamat Kusijanovic, geboren in Dubrovnik, hat u. a. einen Master in Drehbuch und Regie von der Columbia University in New York. Im ruhig und dennoch intensiv, mit beeindruckenden Unterwasserbildern erzählten MURINA, für den sie neben vielen anderen Auszeichnungen 2021 in Cannes die Goldene Kamera für das beste Spielfilmdebüt gewann, nimmt sie ein mutiges junges Mädchen in den Blick, das sich im Gegensatz zu ihrer Mutter gegen einen Patriarchen behauptet. Der Filmtitel nimmt Bezug auf die Muränen, die Ante und Julija regelmäßig fangen. Gleich zu Anfang beißt sich eins der Tiere ins eigene Fleisch, um sein Leben zu retten. – StB

Termine beim 32. FilmFestival Cottbus:
Spectrum
10. November 2022, 21:00 Uhr, Weltspiegel, Saal 2
13. November 2022, 11:00 Uhr, Glad-House / Obenkino

SILENT LOVE

Darum geht es:
Nach dem Tod ihrer Mutter kehrt Agnieszka, die in Deutschland gelebt und gearbeitet hat, zurück nach Polen in ihr Heimatdorf, um sich um ihren 14-jährigen Bruder Miłosz zu kümmern. Um das Sorgerecht für ihn zu bekommen, muss sich Agnieszka vielen Prüfungen durch die Behörden unterziehen. Die Beziehung zu ihrer Freundin Majka muss sie im ländlichen Polen der „LGBT-freien Zonen“ geheim halten, wo der Priester und Miłosz‘ Lehrer überzeugt starre, traditionelle Geschlechterrollen propagieren.

Was du zum Film wissen musst:
Marek Kozakiewicz, Jahrgang 1986, Filmregisseur und Kameramann, studierte an der renommierten Nationalen Filmschule im polnischen Łódź. Sein Dokumentarfilmdebüt SILENT LOVE, bei dem er auch die Kamera übernahm, ist ein intimes Porträt einer Regenbogenfamilie, die offiziell nicht existieren darf, und wurde 2022 u. a. für die Dokumentarfilmfestivals Visions Du Réel und Hot Docs ausgewählt. Derzeit arbeitet Kozakiewicz als Regisseur und Kameramann an einem von Netflix produzierten Film über nicht-binäre Jugendliche in Polen. – StB

Termine beim 32. FilmFestival Cottbus:
Polskie Horyzonty
12. November 2022, 14:30 Uhr, Glad-House / Obenkino
13. November 2022, 12:00 Uhr, Weltspiegel, Saal 2

IN THE CIRCLE (OT: W KRĘGU)

Darum geht es:
Monika organisiert einen Frauenkreis. Doch schon auf dem Weg dorthin geht alles schief. In der Tram sieht sie nach Jahren ihren Vater wieder und das Stapfen durch den Schnee erweist sich als anstrengend. Im Häuschen, das sie eigens für den Zirkel angemietet hat, kommt sie zu spät an und erfährt noch dazu, dass der Vermieter nicht nur ihrem Frauenkreis, sondern auch der wohnungslosen Ela angeboten hat, sich dort aufzuhalten. Statt der zwölf angemeldeten Teilnehmerinnen tauchen nur drei auf und auch die Übungen, die Monika vorbereitet hat, um die unterschiedlichen Frauen zum inneren Selbst zu führen, kommen bei Kinga, Milena und Gosia nicht gut an. Doch zum Glück gibt es den großen Plüschfrosch Mr. Frog, an dem alle ihren Ärger auslassen können – wenn sie denn wollen.

Was du zum Film wissen musst:
Der Filmagent der New Europe Film Sales und Filmproduzent Jan Naszewski aus Warschau schrieb gemeinsam mit Katarzyna Rodak, die eine der Teilnehmerinnen spielt, auch das Drehbuch zu seinem 23-minütigen Kurzfilm IN THE CIRCLE, in dem er Fragen nach persönlichen Prioritäten und Grenzen, Toleranz und Miteinander aufwirft und sarkastisch den Sinn von Entspannungs- und Selbstfindungs-Workshops hinterfragt. Naszewski studierte in Edinburgh, unterrichtet regelmäßig an Filmschulen und arbeitete lange beim – übrigens sehr empfehlenswerten – Breslauer Filmfestival Nowe Horyzonty. – StB

Termine beim 32. FilmFestival Cottbus:
Wettbewerb Kurzfilm – Die Lange Nacht der kurzen Filme
11. November 2022, 21:30 Uhr, Weltspiegel