„Uns war es wichtig, dass der Osten nicht nur grau und traurig erzählt wird“ – Emily Atef


IRGENDWANN WERDEN WIR UNS ALLES ERZÄHLEN läuft im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale. Die deutsch-französische Regisseurin Emily Atef verfilmt damit einen Roman von Daniela Kren, in dem eine junge Frau die Hauptrolle spielt.

Emily Atef © Alamachere

Was hat Sie am Stoff interessiert, dass Sie den Roman verfilmen wollten?

Als ich diesen Roman gelesen habe, habe ich einfach einen Film gesehen. Der Roman ist so filmisch, so sinnlich geschrieben: Dieser heiße Sommer, die Insekten, die Körper, der Schweiß, diese Sehnsucht von Maria, die Emanzipation dieses jungen Mädchens. Das hat mich interessiert und inspiriert.

Das Buch ist in der Ich-Form geschrieben. Wann kam die Entscheidung, dass der Film nicht aus der Ich-Perspektive erzählt werden würde?

Für mich ist es trotzdem eine Ich-Perspektive. Es ist ihre Perspektive auf diesen Sommer und auf diese Beziehung. Aber ohne Wörter. Und das war genau die Herausforderung alles zu erzählen, ohne dass sie spricht, ohne Voice-over. Kino sind Bilder, Kino ist so sinnlich wie möglich. Diese Beziehung zwischen Maria und Henner besteht sowieso ohne viele Wörter. Sie sprechen kaum. Und doch verstehen wir ihr Begehren füreinander. Wir verstehen, dass es ein Amour fou ist, die wie alle Amour fou nur tragisch enden kann.

Wie haben Sie mit der Darstellerin gearbeitet, damit sie diese geheimnisvolle Aura bekommt?

Ich habe viele Mädchen gesehen, insgesamt 60. Ich suchte nach einem Mädchen, die eine Bodenständigkeit hat. Die Figur hat eine Art alte Seele, obwohl sie sehr jung ist. Marlene Burow hat eine gewisse Stärke, die der Rolle eine Entschlossenheit geben sollte. Man sollte glauben, dass sie es so will und nicht, dass sie manipuliert wird. Sie ist auch sehr minimalistisch in ihrem Spiel, was wichtig war für diese Rolle. Darüber hinaus haben wir uns genau vorbereitet. Sie hat sehr viel gelesen, sie hat Tagebuch geführt, wir haben viel geredet, wir haben ihre Backstory besprochen. Der Roman ist natürlich fantastisch für eine Schauspielerin, weil darin viele Gedanken der Figur stehen. Weil sie nicht viel redet, wirkt sie besonders mysteriös.

Hatten Sie eine Vorstellung wie Maria aussehen muss und wie nahe ist die Darstellerin diesem Bild gekommen?

Natürlich hatte ich unterbewusst ein Bild im Kopf. Ich suchte aber grundsätzlich nach einem Mädchen, das sehr natürlich ist und die auch eine gewisse Stärke hat im Körper. Überzeugt hat mich schließlich ihre Aura überzeugt, mehr als ihr Aussehen. Es war wichtig, was zwischen ihr und der männlichen Hauptfigur passierte.

Der Roman spielt in einer bestimmten historischen Epoche, kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands. Welchen Bezug haben Sie dazu und wie sind Sie an die visuelle Übersetzung der Zeit herangegangen?

Ich bin in Westberlin geboren, dann aber als Kind ausgewandert. Ich erinnere mich ganz genau an den Moment des Mauerfalls. Erst später, 2001, als ich nach Berlin kam, um Film zu studieren, hatte ich Freunde, die aus dem Osten waren und ich habe erst dann begriffen, was eigentlich damals genau geschah. Ich hatte die Roman-Autorin, Daniela Krien, als Beraterin an meiner Seite, um diese Zeit authentisch darzustellen. Uns war es wichtig, dass der Osten nicht nur grau und traurig erzählt wird. Ich wollte, dass die Figuren vielschichtig und lebendig gezeigt warden, wie die Menschen auch dort sind und waren.

Wo haben Sie gedreht?

Wir haben in Thüringen gedreht. Ich habe es erst durch die Arbeit am Film entdeckt. Mir hat die Natur vor Ort sehr gefallen. Wir haben auch viele grossartige Menschen getroffen, die uns geholfen haben und uns wahnnsinig warm empfangen haben.

Sie haben bereits andere Filme gemacht, in denen die Natur eine wichtige Rolle spielt?

Natur inspiriert mich sehr. Sie ist sinnlich. Für mich ist sie wie ein Chor in der griechischen Tragödie, die das Geschehen beobachtet und zu sagen scheint, „pass auf!“.

Der Film ist eher hell. Es gibt kaum Szenen in der Dunkelheit. Könnten Sie mehr zu Ihren Vorstellungen sagen, wie der Film aussehen sollte?

Für mich war der Hell-Dunkel-Kontrast sehr wichtig. Das Haus der männlichen Hauptfigur sah ich wie eine Höhle, es ist beengt, es ist oft dunkel darin. Es ist wie ein verbotener Ort, das Licht findet aber immer einen Weg hineinzukommen.

Die Fragen stellte Teresa Vena