„Wichtig an den Filmen ist, dass sie eine universale, überall verständliche Botschaft haben und ein dringliches, relevantes Thema verhandeln.“


Jenni Zylka © Berlinale

Jenni Zylka, Leiterin der Perspektive Deutsches Kino der Berlinale, freut sich im Interview, dass das Festival „den deutschen Nachwuchs auf einen Podest hebt“. Wir erfahren, dass ihr eine universelle Sprache wichtiger als deutsche Geschichten sind und wie das neue Format „Perspective Match“ die einzelnen Filmgewerke in den Vordergrund rückt.

Welche Berührungspunkte hatten Sie bisher mit der Perspektive Deutsches Kino?

Ich komme nicht vollständig von außen, da ich bereits seit 1999 für die Berlinale und seit 2005 als Mitglied der Sichtungskommission der Sektion Panorama auch an der Programmkuration mitarbeite. In diesem Zusammenhang habe ich auch immer viele deutsche Filme gesehen, weil auch die anderen Sektionen deutsche Erstlingsfilme berücksichtigen. Deswegen habe ich mit meiner Vorgängerin in der Perspektive Deutsches Kino regelmäßig über diese Filme diskutiert und bin entsprechend damit vertraut.

Was gefällt Ihnen an der Sektion?

Grundsätzlich hat mir an der Sektion immer gefallen, dass ihr Profil sehr genau definiert ist. In der Perspektive Deutsches Kino werden nur erste und zweite Filme, die in Deutschland produziert wurden, gezeigt. Durch diese gut umrissene Definition hebt sich die Sektion von den anderen der Berlinale ab. Mir gefällt auch die Tatsache, dass ein A-Festival, das in Deutschland stattfindet, den deutschen Nachwuchs auf einen Podest hebt. Dies gibt ihm die Chance, international gesehen zu werden, was sonst schwerer möglich ist. Ich weiß, dass es in Cannes seit Kurzem ein ähnliches Konzept gibt, das den Nachwuchs besonders in den Vordergrund stellt. Nachwuchsförderung, Talentscouting, all diese Dinge sind enorm wichtig.

Wie unterscheiden sich die Filme gegenüber den Filmen in anderen Sektionen?

Natürlich muss sich so etwas wie eine typische Handschrift bei ersten Langfilmen manchmal erst herausschälen. Und es kann sein, dass zum Beispiel bei inszenatorischen Fragen vielleicht ein Mangel an Erfahrung sichtbar wird. Ein Film ist allerdings immer eine Kollektivarbeit aus verschiedenen Gewerken. Und selbst wenn ein Gewerk etwas schwächer ist, hält mich das überhaupt nicht davon ab, mich in den Film zu verlieben – das ist bei Filmen von erfahreneren Regisseur:innen nicht anders! Dafür ist der Publikumsvertrag, sind die Beziehungen zwischen Film und individuellen Rezipient:innen, viel zu komplex.

Wie kann die Sektion aus ihrer eher marginalen Stellung innerhalb des Berlinale-Programms herauskommen?

Wir sind die kleinste Sektion mit dem kleinsten Team und der kleinsten Filmauswahl. Das bringt Einschränkungen mit sich, aber auch Vorteile. Es sind insgesamt sechzehn Filme, davon ein Kern von zehn neuen Filmen, und die kann man sehr gut vollständig durchschauen und überblicken. Ich möchte noch mehr herausstellen, dass wir Teil des internationalen Programms sind. Das bedeutet beispielsweise, dass wir mehr auf Englisch kommunizieren und ich versuche, mehr internationale Presse und Fachleute Sichten zu lassen. Im Übrigen hat die Filmauswahl selbst einen starken internationalen Charakter. Die Filme verhandeln kaum „rein deutsche“ Geschichten. Das ist mir auch nicht wichtig. Film ist eine universale Sprache. Natürlich geht es in dieser Reihe darum, den Nachwuchs zu zeigen, der in Deutschland produziert, aber das hat mit den erzählten Geschichten nichts zu tun.

Welche Quellen stehen Ihnen für die Auswahl der Filme zur Verfügung?

Die Filmschulen schicken uns ihre Abschlussfilme. Nicht alle von ihnen machen lange Abschlussfilme, weswegen ich mich dieses Jahr wieder entschieden habe, mittellange Filme zu berücksichtigen, um eine gleichberechtigte Behandlung der Schulen zu gewährleisten. Darüber hinaus können erste und zweite Filme frei eingereicht werden. Und ich habe selbst nach Projekten gefragt, von denen ich wusste.

Haben Sie sich an einem roten Faden bei der Auswahl orientiert?

Der rote Faden hat sich von selbst ergeben. Erst haben mich die Filme berührt und danach habe ich darüber nachgedacht, weswegen es so ist. Ich habe die Vorauswahl selbst gemacht, um einen Überblick zu bekommen, und die Auswahl dann im Komitee geschaut. Wichtig an den Filmen ist, dass sie eine universale, überall verständliche Botschaft hatten und ein dringliches, relevantes Thema verhandeln. Ich habe versucht, auch verschiedene Filmsprachen zu berücksichtigen, indem wir ein Musical und auch einen Film mit einer unkonventionellen narrativen Struktur ausgewählt haben.

Wieso haben Sie SIEBEN WINTER IN TEHERAN als Eröffnungsfilm ausgewählt?

Es war schwer, sich zu entscheiden. Ich hätte gern alle Filme ausgewählt – aber es kann ja nur einen Eröffnungsfilm geben. Der Film hat selbst eine tolle Geschichte. Er ist zudem dringlich und emotional, ohne manipulativ zu sein. Besonders überzeugt hat mich, dass sich hier jemand ganz in den Dienst der Geschichte stellt und einem nicht das Gefühl gibt, konstant als Regisseurin zeigen zu müssen, was ihr formal Tolles einfällt – abgesehen davon, dass ihr tatsächlich ganz viel Tolles einfällt. Die Protagonistin und ihre Geschichte leiten den Film. Dann ist es auch ein Thema, das aktuell auf der Agenda stehen muss.

Könnten Sie mehr über das neue Format „Perspective Match“ erzählen?

Das hatte bereits meine Vorgängerin angedacht, doch es konnte wegen Corona nicht umgesetzt werden. Es geht darum, die Bedeutung der einzelnen Gewerke hervorzuheben, Film wird ja von einem Kollektiv gemacht. Alle Gewerke kommen für diese Kunst zusammen und erzählen im besten Fall immer eine eigene Geschichte im eigenen Fach. Deswegen haben wir ein paar Gewerksverantwortliche unserer Filme ausgewählt, die uns besonders überzeugt haben, konkret Schauspiel, Montage, Sounddesign und Musik. Zu jedem Fach gibt es ein Gespräch, zu dem ein erfahrener Vertreter des jeweiligen Fachs dazukommt.

Die Geschlechter sind in der Filmauswahl ausgeglichen vertreten. Haben Sie da Kompromisse eingehen müssen?

Nein, es hat sich ohne Not so ergeben. Das hat mich sehr gefreut, denn ich finde es schwer, wenn man explizit darauf achten muss. Mir ist es wichtig, bei jedem Film zu evaluieren, ob er gut genug ist. Denn alleine als Erfüller oder Erfüllerin einer Quote möchte niemand berücksichtigt werden.

Die Fragen stellte Teresa Vena.