Das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg 2025: Filmvielfalt und Diskursnotwendigkeit

Zwei Wettbewerbe, insgesamt 6 Sektionen und 57 Filme aus über 20 Ländern – von Argentinien bis in die Slowakei: Das 31. Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg versammelt vom 5.5. bis 11.5. wieder eine beeindruckende Bandbreite jüdischer Positionen, ob aus Israel oder der Diaspora. Eröffnet wird das Festival durch die Europapremiere von BAD SHABBOS, einer Krimikomödie von Daniel Robbins. Neben dem Spielfilm- und Dokumentarfilmwettbewerben, Institutionen wie dem Kurfilmprogramm „Nosh Nosh“ oder Kino Fermished mit einem ungewöhnlichen Blick auf jüdische Identitäten, Migration und Geschichte hat sich das Programmteam um die Leitung Bernd Buder und Lea Wohl von Haselberg wieder viele weitere Themen in Schwerpunkt-Form vorgenommen.
So setzt sich „Assembling the Pieces“ mit persönlichen und dokumentarischen Perspektiven auf den 7. Oktober und seinem Nachwirken auseinander, „Antisemitismus im Post-Sozialismus“ untersucht die Erfahrungen der jüdischen Gemeinden in Ostdeutschland und Osteuropa nach 1989 und zum 80. Jahrestag des Kriegsendes in Europa präsentiert die Spezialreihe „Jüdisches 1945“ Filme über die unmittelbare Nachkriegszeit.
Außerdem bietet das Festival Podiumsgespräche, Talks und Matineen an, einen besonderen Fokus legen drei kostenlos zugängliche Gespräche am 9. und 10. Mai im Filmkunst 66 auf die jüdisch-arabischen Perspektiven im jüdischen Kino. In einer Pressemitteilung des Festivals hieß es dazu: „Die geopolitischen und gesellschaftlichen Herausforderungen durch die noch immer nicht beendeten Geiselnahmen und den Krieg in Gaza, den erschreckenden Anstieg von antisemitischen Haltungen und Vorfällen auch in Deutschland, Boykottaufrufe und antimuslimische Untertöne lassen die jüdische Filmszene nicht kalt. Angesichts der gegenwärtigen Tendenz, komplexe historische und politische Vorgänge auf ein binäres Entweder-Oder-Schema zu reduzieren, sehen wir es als integrale Aufgabe eines jüdischen Filmfestivals, einen Raum für diese Komplexitäten zu öffnen“, führen Lea Wohl von Haselberg und Bernd Buder, Programmdirektion des JFBB, aus: „Damit wird unser umfangreiches und vielseitiges Filmprogramm um das ergänzt, was zur Zeit in der Gesellschaft zu wenig passiert: sich zuhören und miteinander reden, auch wenn das momentan mitunter unmöglich scheint.“
Dieser Gestus wird auch mitunter von der mutigen Filmauswahl unterstrichen, zum Beispiel mit dem beachtenswerten, wenn auch eher aus zeithistorischen denn cineastischen Gründen spannenden 1948: REMEMBER, REMEMBER NOT von Neta Shoshani, der in zweieinhalb Stunden jüdische und arabische Perspektiven aus Tagebüchern und Briefen von der UN-Teilungsresolution bis zum Ende des Krieges von 1948 versammelt oder wie es passend auf der Website heißt: „ein zweiteiliger Film über die israelische Unabhängigkeit und die palästinensische Nakba.“
In der Folge finden sich einige Dokumentarfilm-Empfehlungen aus dem diesjährigen Programm.
HOLDING LIAT

Darum geht es:
Am 7. Oktober 2023 nahm die Hamas im Kibbuz Nir Oz die Friedensaktivistin Liat Beinin Atzili und ihren angeschossenen Mann Aviv als Geiseln. Der Filmemacher Brandon Kramer begleitet die Familie bei ihrem Kampf um die Freilassung der beiden. Dabei kämpfen alle anders – und zum Teil auch um unterschiedliche Dinge: Während ihr Sohn Ofri Rachefantasien hat und nur die Eltern befreit sehen will, kämpft Liats Vater Yehuda neben der Freilassung um eine andere Zukunft, um eine friedliche Zwei-Staaten-Lösung und gegen die nationalistisch-expansive Politik Netanjahus.
Was du zum Film wissen musst:
Spannend und beeindruckend an HOLDING LIAT ist, dass überall die Kamera hinhält, wo es weh tut: Er ist nah bei der Familie und ihrem unsagbaren Schmerz und ihrer Angst, aber er auch bei den verschiedenen Positionen und Zweifeln der verschiedenen Familienmitglieder. Neben Liats Papa zum Beispiel auch ihr Onkel, ein prominenter propalästinensischer Aktivist in Oregon. Interessant ist auch, dass der Film nicht mit der Entführung selbst beginnt, sondern in einer Kamera-Einstellung den Stacheldraht des Grenzzauns zu Gaza am Kibbuz-Rand einfängt. Und auch in der letzten Szene denkt Liat über diesen Stacheldraht nach – und darüber, warum sie eigentlich nie darüber nachgedacht hat, was auf der anderen Seite liegt. HOLDING LIAT feierte seine Weltpremiere im Forum der 76. Berlinale und gewann den Dokumentarfilmpreis sowie den Preis der Ökumenischen Jury. Unbedingt sehenswert.
Termine beim 31. JFFB
Donnerstag, 8. Mai, 19:00 Uhr, JÜDISCHE GEMEINDE LK OBERHAVEL (Lehnitzstraße 36, 16515 Oranienburg)
Samstag, 10.05.2025, 16:30 Uhr, Thalia – Das Programmkino (Potsdam)
Sonntag, 11.05.2025, 17:30 Uhr, Filmkunst 66, Saal 2
Sonntag, 11.05.2025 20:15 Uhr, Moviemento
ART SPIEGELMAN: DISASTER IS MY MUSE

Darum geht es:
Den begnadeten Comicbuchzeichner Art Spiegelman, der mit seinen von 1980 bis 1991 erscheinenden und mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Holocaust-Memoiren MAUS, international große Berühmtheit erlangte. Molly Bernsteins und Philip Dolins Film zeichnet Spiegelmans Leben nach, von seinen ersten künstlerischen Gehversuchen in den studentischen Magazinen, über erste Gigs und Magazine bis hin zu seiner Ehe mit der New-Yorker-Françoise Mouly, dem gigantischen MAUS-Erfolg und den Schwierigkeiten, nach einem bestselling book wieder auf Ideen zu kommen. Er endet mit dem Skandal um die Zensur von Maus; die Memoiren wurden 2022 aus einem Lehrplan in Tennessee gestrichen, Begründung: Maus sei zu ordinär und gefährlich.
Was du zum Film wissen musst:
DISASTER IS MY MUSE ist in vielerlei Hinsicht für die Fans gemacht und verlässt sich leider zu sehr auf die Bildwelten seines Protagonisten. Die vielen Talking Heads wirken dabei bisweilen geradezu uninspiriert, auch Spiegelman selbst lässt Charisma vermissen. Dabei zeigt der Film in Ansätzen auf, was alles möglich gewesen wäre: Angefangen von der politischen Relevanz eines Spiegelmans in der Ära Trump bis hin zu seinem Einfluss auf nachfolgende Generationen, darunter zum Beispiel Joe Sacco mit seiner Graphic Novel „Palästina.“ Beide veröffentlichten – weit nach Fertigstellung des Films! – einen gemeinsamen hilflosen, aber sehr beeindruckenden Beitrag zum Gaza-Krieg im Guardian. Nichtsdestotrotz bleiben natürlich Leben und Werk eindrücklich – und DISASTER IS MY MUSE dokumentiert wunderbar, was für eine diverse und subversive Comic- und Buchkultur in den 60er und 70er Jahren beispielsweise in San Francisco existierte.
Termine beim 31. JFFB
Donnerstag, 08.05.2025, 20:30 Uhr, Thalia – Das Programmkino
Samstag, 10.05.2025, 15:30 Uhr, Filmkunst 66 Saal 1
REMINISZENZEN AUS DEUTSCHLAND

Darum geht es:
Bevor er seine große Karriere in den USA startete, war der nicht-jüdische, litauische Avantgarde-Filmemacher Jonas Mekas in den 40er Jahren zusammen mit seinem Bruder erst Zwangsarbeiter in Hamburg, dann untergetauchter Geflüchteter in der Nähe von Dänemark. In seinem experimentellen Video-Kurzfilm REMINESZENZEN AUS DEUTSCHLAND kehrt er zwischen 1971 und 1973 an diese Orte zurück, und kommentiert sie dann anschließend, videotagebuch-style.
Was du zum Film wissen musst:
Fragmentarisch, verwackelt, unmittelbar: Mit REMINISZENZEN AUS DEUTSCHLAND erhalten wir einen kleinen persönlichen Einblick in ein Leben, aber auch weitere, neue Lebensrealität in Zeiten des Nationalsozialismus. Das Jüdische Filmfestival zeigt den Film zusammen mit THE ILLEGALS (1950, 2019 restauriert), dem zweiten Film des amerikanischen Kriegsberichterstatters und Schriftstellers Meyer Levin. In seinem Docudrama verwebt er die Reise jüdischer Geflüchtetengruppen aus den DP-Camps in Deutschland nach Palästina mit einer fiktionalen Geschichte.
Termin beim JFFB
Donnerstag, 08.05.2025, 11:00 Uhr, Filmkunst 66 Saal 1
Der Film wird gezeigt im Rahmen der
Matineé in Kooperation mit dem Centrum Judaicum: 80. Jahrestag des Kriegsendes
HERR ZWILLING UND FRAU ZUCKERMANN

Darum geht es:
Die jüdische Gemeinde in Czernowitz – oder was dem jüdischen kulturellen Mittelpunkt der Westukraine nach den Deportationen 1941 in die Lager Transnistriens 1998 noch übrig geblieben ist. Im Zentrum des Films ein ungleiches Freundespaar, die letzten beiden bereits in Czernowitz geborenen Jüdinnen und Juden: Jeden Abend von 19 bis 22 Uhr sitzen der 70-jährige Herr Zwilling und die über-90-jährige Frau Zuckermann zusammen und analysieren die Weltlage. Und dass, obwohl sich Frau Zuckermann geschworen hatte, nie wieder mit einem Deutschen zu sprechen. Dabei besucht Volker Koepp mit Kameramann Thomas Plenert auch andere Orte von Bedeutung: Die Synagoge und Gottesdienste, den Jüdisch-Unterricht, den verwilderten Jüdischen Friedhof, Nachbar*innen und Freund*innen.
Was du zum Film wissen musst:
Schon 1999 entstand mit HERR ZWILLING UND FRAU ZUCKERMANN ein Porträt einer letzten Generation von Holocaust-Überlebenden, die über das Ghetto, die Vernichtungslager, den Verlust und die Auslöschung ganzer Familien berichten konnten – und über das halbe Jahrhundert danach. Fast 30 Jahre nach seinem ersten Erscheinungsdatum nimmt sich HERR ZWILLING UND FRAU ZUCKERMANN wirklich als eine große Mahnung aus, sich auch wirklich zu erinnern, selbst wenn nur noch die Dokumente erzählen können. Nebenher entsteht auch so etwas wie eine Stadtgeschichte von der einen Jahrhundertwende bis zur nächsten, anekdotische Betrachtungen der brach liegenden ukrainischen Wirtschaft Ende der 90er inklusive. Gratulation zum neuen Bundeskanzler Schröder, sagt Frau Zuckermann in der letzten Szene, und dass der bestimmt für die Deutschen gut sei, den Deutschen gehe es ja generell nie so wirklich schlecht. Ein bitteres, unaufgeregtes Ende für einen gut beobachteten, unaufgeregten Film.
Termine beim 31. JFBB
Mittwoch, den 07.05.2025, 20:00 Uhr, Kino Krokodil (OmeU)
Samstag, den 10.05.2025, 13:00 Uhr, Filmkunst 66 Saal 2 (OmeU)
Sonntag, den 11.05.2025, 11:00 Uhr, Filmmuseum Potsdam (OmeU)