„24 Wochen“ von Anne Zohra Berrached


"24 Wochen" feierte seine Premiere auf der Berlinale 2016. Die schwangere Kabarettistin Astrid (Julia Jentsch) muss darin eine schwerwiegende Entscheidung treffen. © Friede Clausz, Neue Visionen Filmverleih

„24 Wochen“ feierte seine Premiere auf der Berlinale 2016. Die schwangere Kabarettistin Astrid (Julia Jentsch) muss darin eine schwerwiegende Entscheidung treffen. © Friede Clausz, Neue Visionen Filmverleih

Alles anders

Und plötzlich ist nichts mehr wie es war. Auf einen Schlag ist die innere Sicherheit dahin, die Welt so fremd und weit entfernt. Alles Vertraute ertrinkt in einem undefinierbar grauen Rauschen. Jeder ist auf sich zurückgeworfen, belauscht sein Innerstes und versucht dem Geist der Orientierungslosigkeit energisch Paroli zu bieten. Doch es gibt hier keinen Alleingang. Zweifel müssen an die Leine genommen und Entscheidungen können nur gemeinsam getroffen werden.

Kabarettistin Astrid (Julia Jentsch) und ihr Mann Markus (Bjarne Mädel) erwarten ihr zweites Kind. Ihre neunjährige Tochter Nele hätte gern ein kleines Brüderchen. Doch ob Junge oder Mädchen so stellt sich schon bald nach den ersten Untersuchungen heraus, ist wohl die geringste Sorge. Die Schockdiagnose Gendefekt wischt den Alltag fort. Ohne Vorwarnung steht da diese Wand im Leben, versperrt den Weg, verstellt die Sicht. Zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Angst, Mut und Wut beginnt ein zähes Ringen um das Leben, das Miteinander, die eigenen Werte und Ideale.

Anstatt aber sämtliche Konflikte bis ins Detail auszubuchstabieren und in aufgeblähten Dialogen zu erschöpfen, entscheidet sich Regisseurin Anna Zohra Berrached in ihrem zweiten Film zu einem geschickten dramaturgischen Kunstgriff. Dramatische Höhepunkte wie Beziehungsstreitereien oder den Moment der Diagnosestellung treibt sie durch das Motiv des Weglassens, des Ausblendens auf die Spitze, wodurch der Film eine ganz eigene, wunderbare Poesie entwickelt, die dem Zuschauer Raum gibt, die Fehlstellen mit eigenen Bildern zu besetzen. Doch was auf der einen Seite so fantastisch gelingt, scheitert an anderer Stelle leider ebenso grandios durch die bewusste Entscheidung, zum wiederholten Mal Laiendarsteller einzusetzen.

Zugunsten der Authentizität im Film besetzte die 34-jährige Filmemacherin Schlüsselrollen wie das medizinische Personal mit echten Ärzten und Hebammen. Als Vertreter ihres beruflichen Standes sollen sie Zeugnis ablegen und so beispielsweise durch ihre in Fleisch und Blut übergegangenen Verhaltensweisen und ihre persönlichen Erfahrungen, die Wirklichkeit in der fiktiven Welt des Films spiegeln. Bedauerlicherweise bleibt dieses Versprechen aber auf der formalen Ebene hängen. Zu sehr stört das verfehlte Timing dieser Darsteller und führt gar zu ambivalenten Fremdschämsequenzen, in denen der Zuschauer fast implodieren möchte vor Mitgefühl und Abwehrreaktion.

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