„Cobain – Montage of Heck“ von Brett Morgen
Im Laufe der Dokumentation erfährt man einige neue Anekdoten. So zum Beispiel, dass Kurt seine ersten sexuellen Erfahrungen mit einer ebenso Ausgestoßenen und etwas zurückgebliebenen Klassenkameradin sammelte, weil er es nicht vermochte, in seinem Schulumfeld Frauen anzusprechen. Oder dass er sich bereits lange vor Courtney den ersten Schuss setzte. Auf manchen Homevideo-Aufnahmen in den Babyjahren seiner Tochter Frances Bean wirkt er so weggetreten, dass man sich fragt, wie die Sorgerechtsfrage je zugunsten der Cobains entschieden werden konnte. Diese Anekdoten bestätigen jedoch nur die ohnehin längst für Gewissheiten befundenen Vermutungen, sie spiegeln das Bild eines Menschen, der sich – trotz gefühlter Seelenverwandtschaft und Familiengründung – nie wirklich angenommen, nie wirklich angekommen fühlte.
Dass sich „Cobain – Montage of Heck“ wie die Fortführung einer unlängst formulierten These anfühlt, wie ein Nirvana-Mitschnitt, wie ein Nirvana-Gefühl, ist allerdings keine Schwäche, sondern eine große Stärke: Regisseur Morgen hatte nicht den Anspruch, seinem eigenen Fandom gerecht zu werden oder einen radikalen Perspektivwechsel anzugehen, vielmehr wollte er die Geschichte erzählen, die er auch schon immer glaubte, in den Songfragmenten Nirvanas vernommen zu haben. „It’s all there. It’s all in his songs“, sagt er auch sehr sympathisch ehrlich und nüchtern bei der Berlinale-Premiere des Films. Morgens Wunsch war deswegen, dass Cobain aus dem Off, aus dem Archiv, möglichst viel selbst spricht. Das ist wunderbar gelungen. Die VFX-Sequenzen, in denen die Lyrics wie im manischen Schreibfluss über die Tagebuchseiten wandern, der animierte Cobain, wie er in der vergammelten Wohnung schreibt, rumlümmelt, kreiert – das alles wirkt organisch, lebendig, herrlich subjektiv, flirrend, nicht endgültig greifbar. Bild und Musik befruchten sich. Gerade die aktuellen, dazwischen-geschnittenen Interviews wirken deswegen manchmal wie Fremdkörper, wie zeitlich dissonante Kommentare, die im Nachhinein Sinnhaftigkeit erzeugen möchten.
Im Grunde ist es doch so: Am Ende ist da immer nur wieder dieser Typ mit den wasserstoffblonden Haaren im Silbersacko auf dem Schaukelstuhl, der freudlos in die Kamera blickt und Kurt Cobain heißt. Dieser Typ, der so verletzlich rau singt. Der einem so bekannt vorkommt. Und der einfach weiterschaukelt.
Marie Ketzscher
„Cobain – Montage of Heck„, Regie: Brett Morgen, mit: Kurt Cobain, Courtney Love, Krist Novoselic, Kinostart: 9. April 2015