68. Berlinale: „Last Child“ von Shin Dong-seok


Geschickt und eindrücklich, ohne jemals richtig Partei zu ergreifen, inszeniert Regisseur Shin ein komplexes Sozialdrama, das sich mehrerer Themen gleichzeitig annimmt. Das Motiv der Trauer führt wie ein roter Faden durch die Geschichte. Jeder der Beteiligten hat seine eigene Weise, mit dem Tod des Jungen umzugehen. Der Vater möchte es akzeptieren, weiterhin ein bescheidenes und arbeitsames Leben führen und findet in der Anwesenheit des Ziehsohns Trost und neuen Sinn. Bei der Mutter legt der Schmerz alles andere lahm. Sie möchte Einzelheiten hören über die Umstände, um auf diese Weise dem Tod des Kindes zumindest eine Bedeutung zu geben. Sobald sich die Menschen weigern, Näheres preiszugeben und erste Ungereimtheiten auftauchen, wird dies immer mehr zur Besessenheit. Die Beziehung der Eheleute muss unter den gegebenen Umständen eine neue Dynamik finden, sich neu ausrichten.

Ebenfalls Trauer empfindet Kihuyn, weniger weil er den Tod eines nahestehenden Menschen verkraften soll, sondern wegen seiner Schuldgefühle und der Ohnmacht die Wahrheit zu sagen, die beweisen würde, dass er nicht die Rolle des Retters verdient. So erhält er vom Ehepaar Zuwendung und eine reale Perspektive im Leben, die er abrupt wieder zu verlieren droht, sobald die Wirklichkeit aufgeklärt sein wird.

Über die Kerngeschichte hinaus, die in Krimimanier mit vielen Schnitten und naher Kameraführung erzählt wird, bildet „Last Child“ eine soziale Realität Südkoreas ab, die sich schwer tut mit der Akzeptanz alternativer Familienmodelle. Von einem gewissen Konservativismus geprägt, der trotz oder vielleicht auch wegen der rasanten wirtschaftlichen Modernisierung des Landes besteht, sollen Werte wie Familie unantastbar bleiben. Dies bedeutet unter anderem, dass sie aus Vater, Mutter und Kind/ern bestehen muss, dass diese Einheit an erster Stelle kommt und gegen außen mit allen Mitteln verteidigt wird.

Konkret kann dies heißen, dass Eltern für die Fehler oder Verbrechen ihrer Kinder haften, mit den Geschädigten oder Opfern abseits der staatlichen Rechtssprechung verhandeln können und bei einer Einigung die Sache – meist mit Geld – aus der Welt schaffen. Dies erklärt die Abschottung der anderen Eltern im Film, die auf ihre Kinder nichts kommen lassen wollen. Es zeigt aber auch ein weiteres Verhalten auf, das klar von einem Mangel an Solidarität zu Dritten zeugt. So steht die Mutter des toten Kindes mit ihrem Drang nach Aufklärung und Gerechtigkeit allein da. Solange sie nicht direkt betroffen sind, reicht es den anderen, an die einfachste und unbequemste aller Lösungen zu glauben.

Teresa Vena

Last Child„, Regie: Shin Dong-seok, Darsteller: Choi Moo-seong, Kim Yeo-jin, Seong Yu-bin

Termin bei der 68. Berlinale:
Samstag, 24. Februar 20 Uhr, Colosseum 1

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