„U – July 22“ (OT: „Utøya 22. juli“) von Erik Poppe
Zwangsläufig liefert der Film sich dadurch Vergleichen mit Gus Van Sants Meisterwerk „Elephant“ (2003) über den Amoklauf an einer amerikanischen Highschool aus. „Utøya 22. juli“ geht diese Thematik jedoch weniger distanziert an. In aller Unmittelbarkeit werden wir dieser schockierenden, atemlosen Situation ausgeliefert. Die Identität und Motivation des unsichtbaren Täters ist in diesem Moment unbekannt, zu hören sind nur die konstanten Schussgeräusche.
Einen entscheidenden Beitrag dazu leistet die Kameraarbeit. Anders als bei Sebastian Schippers „Victoria“ (2015) wird diese nicht nur als eine großartige technische Fingerübung verwendet. Die Erzählung in Echtzeit mit genauer Zeit- und Ortsangabe ist eine Nachempfindung dokumentarischer Formen. Wobei Erik Poppe die richtige Entscheidung trifft, sein Werk eindeutig als eine fiktive Rekonstruktion zu kennzeichnen.
Auf sensible Weise wird eine kaltblütige Ausschlachtung des Themas verhindert. Vielmehr sind wir ständig dazu aufgefordert, das Gezeigte zu reflektieren: Wie würden wir uns in diesem Moment verhalten? Begäben wir uns bei einer kritischen Bedrohung selbst in Gefahr, um nach Freunden und Geschwistern zu suchen? Würden wir bei der Gruppe bleiben, oder alleine die Flucht ergreifen? „Utøya 22. juli“ entfaltet eine suggestive Kraft, welche nur selten filmisch so effektiv eingesetzt wird und uns in unserer behaglichen Sicherheit im Kinosessel aufrüttelt. Somit ist es bei aller erschütternden Härte letztendlich auch eine Zelebrierung des Filmmediums und der emotionalen Kraft, die dieses auf der Leinwand erreichen kann.
Henning Koch
„Utøya 22. juli“ OT: „U – July 22„, Regie: Erik Poppe, DarstellerInnen: Andrea Berntzen, Aleksander Holmen, Brede Fristad, Elli Rhiannon Müller Osbourne, Solveig Koløen Birkeland, Kinostart: 20. September 2018