NACKTE TIERE von Melanie Waelde



Thematisch zeigt sich eine gewisse Nähe zu dem vieldiskutierten Dokumentarfilm LORD OF THE TOYS,  in dem die Filmemacher Pablo Ben Yakov und André Krummel auf ähnliche Weise einer Clique von Dresdener Youtube-Influencern gefolgt sind. Auch wenn es sich bei NACKTE TIERE im Gegensatz dazu um einen fiktionalen Spielfilm handelt, wirkt dieser ebenso ehrlich und agiert ohne erhobenen Zeigefinger oder erzwungene politische Korrektheit. Das triste und visuell wenig ansprechende Umfeld wurde zwar mit einer Handkamera gefilmt, jedoch stehen die glaubhaft gespielten Figuren im Mittelpunkt.
Es ist nicht alles schlimm und grau, die Regisseurin Melanie Waelde liefert auch Momente der Zärtlichkeit und des subtilen Humors. So, wenn Katja in der Schule ihrem Kumpel Sascha eine Schelle verpasst und er ihr im Gegenzug versehentlich eine kleine Platzwunde über der Augenbraue zufügt. Als die Wunde genäht werden muss, drückt die Ärztin Katja hilfsbereit einen Flyer zu Hilfe bei Gewalt gegen Frauen in die Hand. Diesen überreicht Katja mit einem breiten Grinsen an Sascha, der mit besorgtem Blick vor dem Praxiszimmer wartet.

Es ist Waelde hoch anzurechnen, dass sie ihren Film nicht in einer bestimmten Stadt oder Region angesiedelt hat und dadurch keine eingebürgerten Klischees bedient. Das Geschehen könnte sich genauso in Brandenburg, wie in Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern ereignen. Ebenso, dass sie die Verbindungen und Verhältnisse der Figuren nicht erklärt, sondern den Zuschauern die Möglichkeit einräumt, ihre eigenen Schlüsse aus dem Gezeigten zu ziehen. NACKTE TIERE ist ein starker Debütfilm, der keinen Sozial-Voyeurismus darstellt.

Henning Koch

NACKTE TIERE, Regie: Melanie Waelde, Darsteller*innen: Marie Tragousti, Sammy Scheuritzel, Michelangelo Fortuzzi, Luna Schaller, Paul Michael Stiehler

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