73. Berlinale: WHITE PLASTIC SKY von Tibor Bánószki und Sarolta Szabó


WHITE PLASTIC SKY © Salto Films, Artichoke, Proton Cinema

Die Apokalypse umarmen

Die Kameralinse legt weißen Himmel frei, die Wolken ziehen vorüber. Ob es wohl windig ist? Das bleibt uns verborgen, denn das Firmament ist sicher und weit von uns entfernt, ein Kuppeldach behindert den unbeschwerten Blick. Ein ewiges Kuppeldach. Denn es ist 2123 und eine Naturkatastrophe hat alle Flora und Fauna auf der Erde komplett und absolut ausgelöscht. Dass man dennoch in Budapest leben, ja: überleben kann, ist der Kuppel geschuldet – die vor den ständigen Unwettern schützt, und einem neuen Gesellschaftsvertrag: Das Leben gehört jedem Menschen nur bis zur letzten Sekunde seines 49. Lebensjahres. „Zeugt früh Kinder“, ist der Wahlslogan, damit man vielleicht eine kurze Zeit vor der 50 noch mit drei Generationen Weihnachten feiern kann. Denn danach wird man abgeholt und auf eine „Plantage“ gebracht, langsam in einen essbaren Baum verwandelt und schlussendlich „geerntet“. Stefans Frau Nóra erklärt sich aber schon mit 32 bereit, auf die Plantage zu fahren und lässt sich einen entsprechenden Chip implantieren – ohne ihrem Mann, dem Psychotherapeuten Stefan, das vorab mitzuteilen. Der fällt aus allen Wolken, und beschließt, sich in die Plantage einzuschleusen, sie zu retten und an dem einzigen weiteren Ort außerhalb der Plantage, Granum, einen Arzt aufzusuchen, der das Implantat entfernen und ihre Verwandlung aufhalten kann.

Sein post-apokalyptisches Endzeit-Szenario ohne mögliches Happy End und seinen ungefähren Plot verrät der ungarisch-slowakische Animationsfilm WHITE PLASTIC SKY aus der Encounters-Sektion der 73. Berlinale großteils schon sehr früh. Doch man ist nichtsdestotrotz gern dabei, dem poetischen Befreiungsthriller beizuwohnen: Atmosphärisch, dicht und gut erzählt, aber vor allem bildgewaltig hält einen der Film permanent in Atem. Hinzu kommen rasante Kamerafahrten und Wechsel zwischen panoramischer Beobachtung und zwischenmenschlichem Kammerspiel – und ein wunderbarer Animationsmix, der effektvoll die Stärken des Films unterstreicht: Die Rotoskopie für den Realismus sowie eine ausgeklügelte, unglaublich haptisch anmutende 3D-Animation (für die das Team über Jahre  Texturen und Objekte fotografierte, um sie dann mit Coloring und Effekten in die jeweiligen Locations und Hintergründe zu verwandeln), die die Berg-, Krater- und Wüstenlandschaften außerhalb der Kuppel glaubhaft zum Leben erweckt.

Gerade die Bäume sind am schönsten, die grünen, laubbesetzten, aber auch die langsam erblühenden oder in voller, roter Blüte stehenden – wobei es derer wenig gibt. Denn sobald die Bäume zu blühen beginnen, müssen sie verbrannt werden: Die Giftstoffe, die die Bäume dabei freigeben, sind tödlich für die Menschen, Wasser nährt die Giftstoffe. Und es beschleunigt auch die Verwandlung von Nóra, die schon langsam mit ihrer zukünftigen Daseinsform zu kommunizieren beginnt. Und durch die Kommunikation mit den Bäumen auch das Trauma, das ihre Ehe fast zerrüttete, aufarbeiten sowie eine neue Ebene der Intimität und des Vertrauen zwischen den Ehepartner*innen entstehen lässt (die manchmal leicht ins Kitschige kippt).

Es ist diese Kommunikation mit den Baum-Mensch-Hybriden, die für die Charaktere – und schlussendlich auch für die Zuschauer*innen spannende Fragen aufwirft: Was sind wir bereit zu opfern, um zu überleben? Wie sehr ist der Überlebenskampf um Andere altruistisch motiviert? Und wie weit wollen wir gehen, um das Überleben der Spezies Mensch unter allen Umständen zu sichern? Dabei geht es gar nicht mal so sehr um die Verhandlung von Speziesmus, sondern um eine Überlegung, wie sie beispielsweise auch Jonathan Frantzen immer mal in den Mediendiskurs bringt: Vielleicht, so der Gedanke, ist die Katastrophe des Klimawandels unaufhaltbar und wir sollten uns mit dem Untergang des Anthropozäns abfinden. Ja, vielleicht sogar unseren Frieden mit ihm machen. WHITE PLASTIC SKY hat dazu eine These, die aber – vielleicht auch durch das Medium Animation – nicht wie eine Wahrheit, sondern eher wie ein skeptisches Überlegen daherkommt. Ein kluger, visuell berauschender und nachdenklich stimmender Film.

Termine bei der 73. Berlinale
Freitag, 17.02., 16:15 Uhr, Akademie der Künste
Samstag, 18.02., 13:00 Uhr, Cubix 7
Samstag, 18.02., 21:30 Uhr, Cubix 9
Sonntag, 19.02., 10:30 Uhr, Cubix 5
Samstag, 25.02., 13:00 Uhr, Akademie der Künste