75. Berlinale: DELICIOUS von Nele Mueller-Stöfen

Horrorurlaub
Alles könnte so schön sein. John (Fahri Yardim) und seine Frau Esther (Valerie Pachner) reisen mit ihren Kindern, dem Teenager Philipp (Caspar Hoffmann) und dessen jüngerer Schwester, der 11-jährigen Alba (Naila Schuberth), in das luxuriöse Anwesen in Südfrankreich, das Esthers Eltern gehört und in dem sie jeden Sommer verbringen. Doch schon auf dem Hinweg – in der ersten Szene – ist die Stimmung anders als sonst – und seltsam bedrohlich: Durch die Autoscheiben beobachtet die wohlhabende Familie gewalttätige Straßenproteste, ein Demonstrant springt kurzerhand über ihr Taxi. Doch das war erst der Anfang. Auf dem Rückweg vom Abendessen in einem Luxushotel fährt John die junge Teodora (Carla Díaz) mit dem Auto an. Sie trägt eine tiefe Wunde am Oberarm davon – und Esther und John streiten sich darüber, die Polizei zu rufen oder nicht. Durch gezielte Manipulation gelingt es Teodora, sich als Haushaltshilfe bei der Familie einzunisten – und sich bei jedem Familienmitglied beliebt zu machen, sogar bei der zuerst skeptischen Tochter Alba. So ahnt die Familie lange nichts von Teodoras wahren Absichten…
Die 1967 geborene und als Schauspielerin z. B. in DIE BEISCHLAFDIEBIN (1998) von Christian Petzold bekannt gewordene Nele Mueller-Stöfen ist seit 2012 auch als Drehbuchautorin tätig. Mit ihrem Ehemann Edward Berger schrieb sie u. a. das Drehbuch zum Film JACK, der 2014 im Wettbewerb der Berlinale lief. Nach ihrem Kurzfilm AM STRAND legt Mueller-Stöfen mit DELICIOUS nun in der Sektion Panorama ihren ersten Langfilm vor, eine delikate Genremischung voller unterschwelliger psychologischer Spannung, überraschender Wendungen und Horrorelemente, die sie überzeugend vor dem Hintergrund der Krawalle und Proteste für mehr soziale Gerechtigkeit und bessere Löhne im Frankreich der Gegenwart inszeniert – und Arm und Reich aufeinanderprallen lässt: Teodora und ihre jungen Kolleg*innen arbeiten – notgedrungen – in einem Luxushotel und während die jungen Menschen von Perspektivlosigkeit betroffen sind, müssen sie reiche, privilegierte Familien wie John, Esther, Philipp und Alba bewirten, die sich auf ihrem von Mauern umgebenen und nur durch ein hohes Eisentor zugänglichen Anwesen mit riesigem Grundstück und Pool abschotten. Beim Schreiben ließ sich Mueller-Stöfen u. a. von TEOREMA (1968) des italienischen Regisseurs Pier Paolo Pasolini inspirieren, in dem ein junger Mann als Gast in das Haus einer wohlhabenden Familie einzieht – und diese so gründlich durcheinanderwirbelt, dass nach seinem Weggang nichts mehr ist, wie es war.
Trotz aller Grausamkeiten und manipulativen Psycho-Spiele – nicht nur Teodoras – ist DELICIOUS zugleich und über lange Strecken vor allem ein – im Sommerurlaub in der pittoresken provenzalischen Landschaft angesiedelter – Film über eine Familie, deren Dysfunktionalität sich zwar erst nach und nach offenbart, aber schon lange vorher unter der Oberfläche brodelt. Das fehlende Vertrauen der Familienmitglieder zueinander, das Kriseln in der Ehe und die Einsamkeit und Liebesbedürftigkeit jedes und jeder Einzelnen macht sich Teodora gekonnt zunutze. DELICIOUS kommt als ein vor sonnig-malerischer Urlaubskulisse inszenierter Horrorgenuss light, garniert mit relevanter Sozialkritik daher, der sich langsam und leider nicht immer ganz glaubhaft entwickelt und eingefleischte Horrorfilmfans nicht allzu sehr schockieren dürfte. Im weiteren Verlauf überrascht DELICIOUS weniger horrorversierte Zuschauer*innen allerdings mit Biss und Schärfe – und könnte Fleischliebhaber*innen die Freude am Gaumenschmaus gründlich verderben.
Stefanie Borowsky
DELICIOUS, Regie: Nele Mueller-Stöfen; Darsteller*innen: Fahri Yardim, Valerie Pachner, Caspar Hoffmann, Naila Schuberth, Carla Díaz. Ab 7. März 2025 auf Netflix.
Termine bei der 75. Berlinale:
Dienstag, 18.2., 18:30 Uhr, Zoo Palast 1
Mittwoch, 19.2., 15:30 Uhr, Urania
Donnerstag, 20.2., 22:00 Uhr, Cubix 7
Freitag, 21.2., 22:00 Uhr, Cubix 9
Sonntag, 23.2., 19:15 Uhr, Cubix 8