75. Berlinale: FWENDS von Sophie Somerville

Laber-Rhabarber in Melbourne
„Wo ich jetzt stehe? Keine Ahnung!“ Jessie hat Probleme, Em den Treffpunkt zu beschreiben. Die Marker sind random, oder werden schnell wieder verworfen – Florist, Nagelstudio, runtergelassene Rollos. Sie dreht sich hierhin, dorthin, geht weiter, womit jede Orientierung für die Freundin noch unmöglicher wird.
Konfusion, Zweifel, Spontanität, Improvisation: All das, was die australische Mumblecore-Dramedy FWENDS die nächsten 90 Minuten ausmachen wird, steckt schon in dieser allerersten Szene. Aber wie auch eigentlich nicht? Immerhin haben sich Jessie (Melissa Gan) und Em (Emmanuelle Mattana) jahrelang nicht gesehen, nur sporadisch Kontakt, verbringen endlich mal wieder ein Wochenende miteinander – und befinden sich beide zudem mitten in ihren Zwanzigern auf der Schwelle zur Apokalypse. Und in ganz persönlichen Lebenskrisen dazu: Em hat sich ihren Kindheitsberufswunsch „Anwältin“ erfüllt, wird nun aber mit den misogynen Strukturen ihres Umfelds konfrontiert, und die herumjobbende Jessie hat eine Trennung hinter sich (schafft es aber nicht, eine alte Unterhose wegzuwerfen – we have all been there).
Die kommende Apokalypse – die für die beiden absolut festzustehen scheint – umkreisen die Freundinnen dann auch immer wieder ziemlich direkt, als sie sich aus dem Bahnhof herausbewegen, durch Melbourne irren (Jessie wird das später „Stadtführung“ nennen), Schönheitsmasken auflegen, essen gehen, MDMA nehmen. Sie reden eigentlich non-stop. Es ist vor allem die Klimakatastrophe, die sie umtreibt, der Rechtsruck in der Welt, unsere desaströse Smartphone-Abhängigkeit.
Dass diese Themen nicht wie plakativer Hammer rüberkommen, ist der leichtfüßigen Inszenierung zu verdanken oder dem, was man Authentizität nennen könnte: Die Schauspielerinnen hatten vor Drehbeginn nur talking points von Sophie Somervile erhalten, der gesamte Dialog und die Handlungsdynamiken sind improvisiert, es ist viel eingeflossen, was die Schauspieler*innen selbst dachten, assoziiereten. Manche Argumente sind schön unmittelbar und gehen bis ins Mark, andere wirken eher redundant. Aber im „echten Leben“ hat man ja auch nicht immer die besten Argumente am Start.
Am schönsten ist sicherlich eine Szene, in der Jessie und Em unter Glitzerstoffen hocken, nachts, mit einem Disco-Mikrofon mit Soundeffekten. Plötzlich bekommt der Flow Risse, als Em die absolute und totale Objektivität der Wissenschaft predigt, aber Jessie Zweifel äußert. Für Em ist Jessie damit sofort eine Schwurblerin, obwohl ja auch die Beschwörung EINER monolithischen Wissenschaft durchaus kritisch betrachtet werden könnte (schließlich haben Wissenschaftler*innen durchaus unterschiedliche Perspektiven). Sie können sich trotzdem wieder umarmen, irgendwann, aber der Abtrennungsschmerz, der ja auch zum Immer-Älter-Werden gehört, der bleibt natürlich als kleiner Erinnerungsschmerz übrig.
Mit ihrem Debütfilm FWENDS hat Sophie Somerville ein unglaublich lebensnahes Porträt der Generation Z geschaffen. Dass ihr ja im Grunde relativ handlungsarmer und bisweilen bei aller Liebe zum Mumblecore ganz schön verlaberter Film so viel Spaß macht, liegt am großartigen Cast, der ganz besonders vibed, um Jessies Lieblingswort zu zitieren: Melissa Gan als verpeilte und immer leicht bekifft wirkende Jessie und Emmanuelle Mattana als kontrollsüchtige Em lassen sich mit unglaublich viel Verve in ihre Rollen fallen.
Einmal sagt Jessie zu Em, dass sie ja wirklich alles dafür tun würde, an irgend etwas zu glauben, aber alles erscheine ihr banal, ohne Effekt, egal. Em will das nicht hören: „Fang an, an etwas zu glauben, irgendwas. Du musst doch für irgendwas morgens aufstehen!“ Und beide treffen dabei einen Nerv, auch für Friends jenseits der 30.
Termin auf der 75. Berlinale
Samstag, 22.2., 15:30 Uhr, Bluemax Theater