DIE MISSWAHL – DER BEGINN EINER REVOLUTION von Philippa Lowthorpe


Still aus DIE MISSWAHL von Philippa Lowthrope © 2020 eOne Germany

Still aus DIE MISSWAHL von Philippa Lowthrope © 2020 eOne Germany

Der Aufstand der Missen von 1970

Die Miss-World-Show von 1970 ging in die Geschichte ein – dafür sorgte nicht nur der feministische Protest während ihrer Live-Übertragung aus London, sondern auch die Krönung von Jennifer Hosten, der Kandidatin aus Grenada, als erste Schwarze Siegerin der weiß-dominierten sogenannten World Show – eine unverdiente Bezeichnung im Hinblick auf die nicht vorhandene Globalität und Diversität der Veranstaltung. Philippa Lowthorpe verstrickt diese tatsächlichen Begebenheiten in einer facettenreichen Erzählung, indem sie Perspektiven verschiedener Figuren verbindet und so ein bereicherndes und unterhaltsames Filmerlebnis schafft.

Der Slogan der zweiten feministischen Welle – the personal is political – lässt sich in vielen Szenen des Films sofort wiederfinden, so auch gleich zu Beginn: Die für den größten Teil der Erzählung im Zentrum stehende Sally Alexander (Keira Knightley) spricht an der Londoner Universität für ein PHD-Studium vor. Nachdem das ausschließlich männliche Auswahlkomitee Sally in scheinbar gut gemeinter väterlicher Manier nach ihrem Privatleben fragt und ihre emanzipierten Antworten nicht gerade bejubelt, sehen wir den Weg zu ihrer erfolgreichen Aufnahme bereits versperrt. Doch Lowthorpe verweigert sich mit ihrer Erzählung eindimensionalen Ursache-Wirkungs-Schemata und Schubladisierungen und lässt die Geschichte ganz anders verlaufen. In ihrem Film gibt es mehr als starr positionierte Charaktere an der Front „Patriarchat gegen Anti-Patriarchat“ – innerhalb vieler Szenen durch eine räumlich Gegenüberstellung visualisiert – und zwar auch Lebenswelten und Haltungen dazwischen.

An der Universität lernt Sally die in einer Kommune lebende Jo (Jessie Buckley) kennen und schließt sich der Frauenbewegung an. Gemeinsam beschließen die Aktivistinnen, das Fernsehen- eigentlich Sprachrohr des Establishments – für ihre eigene Message zu nutzen und die bevorstehende Misswahl zu sabotieren. Dabei sind die Haltungen und Strategien der Aktivistinnen aber oft so unterschiedlich wie ihre Biografien: Reicht allein die Anwesenheit einer weiblichen Person, um das universitäre Männerestablishment zu entthronen oder braucht es radikalere Umbrüche?

Diskrepanzen gibt es auch, allerdings nuancierter, zwischen dem Paar, das die Miss-Veranstaltung leitet, und zwischen Sally und ihrer Mutter – Konflikte, die aber nie eskalieren und zu dramatischen Höhepunkten oder lächerlichen Pointen führen müssen. Der Film ermöglicht auf diese Weise nicht nur Empathie für die Aktivistinnen, sondern genauso für Figuren auf der „Gegenseite“.

Der Erzählstrang um die Kandidatinnen lässt die Ereignisse und die Bedeutung des Schönheitswettbewerbs an sich auch in einem anderen Licht erscheinen. Jennifer Hosten (Gugu Mbatha-Raw als Miss Granada) ist sich des politischen Gehalts der Show wohl bewusst: Nicht allein Körpermaße determinieren die Entscheidung über die Siegerin, sondern viel stärker noch Identitätspolitiken und internationale Beziehungen. Als Frau of Color beispielsweise sind ihre Gewinnchancen – vermeintlich – gleich null. Jennifer nimmt sich der schüchternen Pearl Jansen (Loreece Harrison als Miss Africa South ) an, die nach der Kritik eines Anti-Apartheitsaktivisten als zweite Repräsentantin Südafrikas in letzter Sekunde in den Wettbewerb nachrücken darf.

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