DIE MISSWAHL – DER BEGINN EINER REVOLUTION von Philippa Lowthorpe


Für die einen symbolisiert die Misswahl v.a. den Sexismus des Patriarchats in einer fiesen, verführerisch-glitzernden Unterhaltungsform, während sie für die anderen die Hoffnung bedeutet, den durch einen Podestplatz erlangten Ruhm und das Preisgeld für eine Karriere über die Welt der Schönheitswettbewerbe hinaus nutzen zu können. Jennifer, Miss Grenada, hebt aber auch die Bedeutung hervor, die sie als Role Model für Mädchen außerhalb des weißen Establishments spielen könnte – Dinge, denen sich Sally und die weiß dominierte zweite feministische Welle erst bewusst werden müssen.

Eine weitere reale Figur, die im Film repräsentiert wird, ist der US-amerikanische Entertainer Bob Hope (Greg Kinnear), dessen sexistische Sprüche während der Sendungsmoderation erstaunlicherweise keine freie Erfindung sind. Archivisch gestaltete Aufnahmen von Hopes Auftritten suggerieren bereits zu Beginn historische Verknüpfungen. Seinen Vergleich des Schönheitswettbewerbs mit einem Viehmarkt nimmt Lowthorpe in ihrer Inszenierung visuell und sprachlich immer wieder auf. So kommentiert, neben Hope, auch der Sendungsverantworliche die Körper der Frauen wiederholt wie leblose Objekte und treibt sie wie eine Schafherde zusammen. Hier punktet der Film mit seinen Totalen und Blickinszenierungen, indem er genau jene Fallen der objektifizierenden Kameraperspektiven und Montagen vermeidet, in die ein Film mit vielen Frauen in Badeanzügen tappen könnte.

Stattdessen führt er sexualisierende Blicke als solche vor. In einer Szene etwa folgen den musternden Blicken der Jury nicht die erwartbaren „Point of View“-Einstellungen auf die Körper der Kandidatinnen, Kamerafahrten von den Füßen bis zur Brust beispielsweise, sondern im Gegenteil Aufnahmen der strahlenden Gesichter der Frauen. Diese Montage bricht also mit den auf unseren Seherfahrungen basierenden Erwartung einer klassischen Subjekt-Objekt-Blick-Montage und lässt sich in Kombination mit den übertrieben fröhlichen Mimiken der Mädchen als Kritik des voyeuristischen Bewertungsprozesses lesen.

DIE MISSWAHL schafft es, facettenreich, komödiantisch und ermächtigend – dafür sorgen nicht zuletzt Musikklassiker wie Aretha Franklins „Respect“ – historische Ereignisse zu erzählen und zugleich die unveränderte Aktualität der Problematik unter Beweis zu stellen. Denn das Ganze ist kein Thema von gestern. Das zeigt sich unmissverständlich durch einzelne Filmszenen, die sich im Jahr 2020 in TV-Formaten wie „Germany’s Next Topmodel“ problemlos ebenso abspielen könnten. Heute jedoch sind wir zusätzlich Bildern in (sozialen) Medien ausgesetzt, die wir nicht mehr per Knopfdruck ausschalten können, sondern die 90-60-90-Politiken durch ihre erbarmungslose Omnipräsenz sehr subtil als Norm etablieren. Eine Norm, die viel mehr aufgerüttelt gehört.

Lowthorpe verzichtet darauf, zu viele Klatschpresse-Gerüchte und Konflikte, die sich rund um die Juryentscheidung und den Sendungsablauf der damaligen Miss-World-Show formierten, in die Erzählung miteinzubeziehen. Damit entgeht sie neben einer Überbetonung dieser Nebenschauplätze auch der Gefahr, den Film zu überladen. Ihre Inszenierung weist eine vielfältige und zugleich übersichtliche Kombination aus Charakteren und Perspektiven auf, ohne dabei eine Wertung vorzunehmen. Unterschiedliche Lebensentwürfe stehen existenzberechtigt nebeneinander, Schwesternschaft über Feindschaft. Am Ende lässt die Regisseurin dann genau die zentralen Personen vor die Kamera treten, die tatsächlich Teil der historischen Ereignisse waren, unter ihnen Pearl Jansen und Sally Alexander. Durch sie werden wir als Publikum über das Jahr 1970 hinaus ins Heute mitgenommen und erfahren auch, wie die Biografien der Frauen weitergingen. Die Songtexte des Soundtracks hallen dabei noch in den Ohren wider. You don’t own them, dear patriarchy.

Bianca Jasmina Rauch

DIE MISSWAHL – DER BEGINN EINER REVOLUTION, Regie: Philippa Lowthorpe, Darstellerinnen: Keira Knightley, Gugu Mbatha-Raw, Jessie Buckley, Lesley Manville, Greg Kinnear, Keeley Hawes

Die Kritik erschien auch auf filmloewin.de

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