„Julieta“ von Pedro Almodóvar



Bild- und Formensprache sowie eine eindeutige inhaltliche und erzähltechnische Kontinuität tragen Almodóvars Handschrift, doch dem Drehbuch fehlt es an Tiefe. Leidenschaft, Schuldgefühle, Liebe und Betrug, aber auch eine komplizierte Beziehung zwischen Mutter und Tochter dominieren das in abwechselnd Rot und Weiß gefärbte Melodrama. Thematisch gehört „Julieta“ zu den Filmen des Spaniers wie „Sprich mit ihr“ (2002), „Schlechte Erziehung“ (2004), „Zerrissene Umarmungen“ (2009), „Die Haut, in der ich wohne“ (2011) und insbesondere „Alles über meine Mutter“ (1999). Alles Beispiele leidenschaftlicher Dramen, in denen die Menschen eine gewisse Besessenheit entwickeln, sich von ihren – irrationalen – Gefühlen förmlich aufsaugen lassen und vielfach mit starken Frauenfiguren besetzt sind, die selbst mit dem Opfer des eigenen Daseins für ihre Kinder und Geliebten einstehen. Erneut spielt sich die Geschichte in einem elitären Umfeld ab, gehören die Protagonisten der oberen Mittelschicht oder gar Oberschicht an (was nicht nur die Altbauwohnung in Madrid oder das Selbstporträt von Lucian Freud an der Wand nahelegen).

Julieta“ verarbeitet ebenfalls diese bekannten Motive, die Mutter-Kind-Beziehung erreicht aber in keiner Weise die Intensität der in „Alles über meine Mutter“ geschilderten. Natürlich ist sie im älteren Film pathetisch überzeichnet, eine Eigenheit, die für alle Almodóvar-Filme bisher kennzeichnend war, doch der Versuch einer „realistischeren“ oder „erwachseneren“ Darstellung, die manche Medien erkennen, geht eindeutig zu Lasten des Filmes. Abgesehen davon verzichtet Almodóvar keineswegs auf Pathos und Kitsch, beides ist genügend vorhanden, aber trägt nicht weiter zu einem schlüssigen Gesamtkunstwerk bei.

Dies bedeutet nicht, dass Almodóvar mit der Bildfindung nachläßig umgeht, die Wahl der Farben und die Bildkomposition stimmt er auf die suggestive Musik ab, die Gesichter der Figuren bleiben immer sehr nahe am Zuschauer, was die Schauspieler und ihre Ausdruckskraft wesentlich in den Vordergrund setzt. Emma Suárez und Adriana Ugarte übernehmen abwechselnd die Rolle der älteren und der jüngeren Julieta und erweitern erstmals Almodóvars bevorzugten Stab – und treten in seinen „speziellen Olymp“ ein, wie er es selbst formuliert. Eine Remineszenz an den „alten“ Almodóvar bleibt mit der unvergleichlichen Rossy de Palma, die als indiskrete, harsche Haushälterin eine Nebenrolle einnimmt, erhalten.

Mit „Julieta“ geht Almodóvar das Experiment ein, mehrere Erzählungen der kanadischen Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Alice Munro zu verfilmen. Mit seinem 20. Film zeigt er sich ruhiger, so dass der Eindruck aufkommt, er gehe sparsamer mit seinen Ressourcen um. Aber um Almodóvar noch einmal zu Wort kommen zu lassen, „fast jeder meiner Filme gewinnt durch mehrmaliges Sehen“. „Julieta“ bleibt trotz Schwächen ein Stück kinematografischer Kunst, ein Seherlebnis für alle Liebhaber von symbolträchtig kombinierten Farben und Formen, einer originellen Bildfindung und eines intensiven Spiels mit Licht und Schatten.

Teresa Vena

Julieta„, Regie: Pedro Almodóvar, Darsteller: Emma Suárez, Adriana Ugarte, Daniel Grao, Imma Cuesta, Darío Grandinetti, Michelle Jenner, Rossy de Palma, Kinostart: 4. August 2016

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