„Liebe auf Sibirisch – Ohne Ehemann bist du keine Frau“ von Olga Delane



Die gebürtige Russin, die vor 23 Jahren nach Berlin zog und dort als alleinstehende Künstlerin lebt, kehrt mit ihrem Film in das ostsibirische Dorf zurück, in dem sie aufwuchs. Sie porträtiert ihre Tanten und Onkel, Cousinen und Nachbarn. Der Film umkreist den weiten Fokus von Liebe, Partnerschaft und Tradition.“Was ist eine Frau für euch?“ ,fragt sie die Bauern, als sie sich gerade ein paar Minuten ausruhen, und „Warum gibt es hier keinen Feminismus?“ will sie von der dicken Tante Galja wissen, als diese gerade im Garten schuftet. In anderen Bildern zeigt Delane, wie der Cousin mit seiner frisch Angetrauten – die er noch gar nicht richtig kannte – und Kind aufs Dorf zurückkehrt, den Auftrag der Nachkommenschaft erfüllend.

Mit jeder Szene mehr verdeutlicht sich das, was man anfangs – als Olga aus der Eisenbahn auf eine romantische Abendlandschaft blickt und davon erzählt, dass das Glück für ihre Verwandten etwas anderes ist als für sie – schon ahnte: Die meisten Ehen sind Zweckgemeinschaften, die vor allem der Arbeitsverrichtung und Reproduktion dienen. Vor allem die Frauen sprechen sehr offen darüber. „Liebe gibt es nicht“, winkt Galja ab und ihre Mutter erklärt: „Unter meinem Mann habe ich immer nur gelitten.“ Es sind auch die Frauen, die ihre sonstige Lebenswelt offen reflektieren, die Männer erscheinen eher vor der Kamera, um Olga Lebensweisheiten vorzubeten und sich zu inszenieren.

Am stärksten ist „Liebe auf Sibirisch“ immer dann, wenn die Bilder einmal selbst sprechen dürfen. Zum Beispiel, als eine alte Frau durch das Fernglas ihrem Sohn zuschaut, wie er betrunken auf das Haus zuläuft und zugibt, ihn regelmäßig zu schlagen, weil er trinkt, keine Arbeit hat, und sich als alleinerziehender Vater (die Frau ist weggelaufen) mehr schlecht als recht um die zwei kleinen Kinder kümmert.
Doch solche großen Momente sind in „Liebe auf Sibirisch“ eher die Ausnahme – es gibt wenig Überraschungen, weder für die Filmemacherin selbst, noch für den Zuschauer, der oft Bilder sieht, die Dorfklischees entsprechen, die man zu kennen scheint. Die gestellten Fragen, die neue Erkenntnisse befördern sollen, sind außerdem oft zu abstrakt für die konkrete Lebenswelt, die gezeigt wird. Und die ganz große Frage nach Selbstverwirklichung, nach frei gewählten Partnern, sie trägt schlicht nicht in diesem Umfeld, sie wirkt überflüssig, wenn die Kuh schreit, weil sie gemolken werden will.

Marie Ketzscher

Liebe auf Sibirisch – Ohne Ehemann bist du keine Frau!“ (OT: „Siberian Love„) ein Dokumentarfilm von Olga Delane; Kinostart: 16. November 2017

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