„Müllhubschrauber“ („Sophelikoptern“) von Jonas Selberg Augustsen
Bruegel trifft Jarmusch in Schweden
Jonas Selberg Augustsens Langfilm-Debüt „Müllhubschrauber“ (aka „Sophelikoptern„, „The Garbage Helicopter„) erwischt den Zuschauer erst leise und langsam, dann aber mit voller Wucht. Diese schwedische Version von Jim Jarmuschs „Stranger than Paradise“ ist eines der brillantesten Werke der letzten Dekade. Jonas Selberg Augustsen selbst bezeichnet seinen Film als „A Tribute to Jarmusch“. Doch stilistisch und erzählerisch übertrifft das Debüt des Schweden die super Low-Budget Produktion von 1984 bei Weitem.
Obwohl „The Garbage Helicopter“ auf unzählige Verweise und Zitate aus Jarmuschs Film zurückgreift, wie beispielsweise die Beziehung ungarischer Auswanderer zu ihrer Sprache, die Augustsen in seinem Film in einen Running Gag verwandelt, oder der Umgang der jeweiligen Kultur mit ihren Nutztieren, so gibt sich der Schwede nicht nur mit diesem Referenzbogen zufrieden, sondern spannt ihn sehr viel weiter und treibt ihn zur Prefektion. Seine surrealen Bilder lesen sich teils als Ergänzungsentwürfe zu den Kulturkommentaren in Jarmuschs Film, teils funktionieren sie als dramaturgische Fehlstellen, um das zu erzählen, was nicht direkt erzählt werden soll. Ein wahrer Kunstgriff, der im besten Sinne, den Zuschauer hochkonzentriert bei der Stange hält, weil er im Suchen und Entdecken begriffen ist, während der Filmemacher ihn mit auf eine absurde Reise nimmt und ihn nach und nach die einzelnen Versatzstücke in ein Gesamtbild setzen lässt. Im wahrsten Sinne des Wortes fantastisch.
Dieses pittoreske und in schwarz-weiß gehaltene Roadmovie mit Knalleffekt bildet nach den zwei vorausgegangenen Kurzfilmen „Höstmannen“ („Autumn Man„, 2010) und „Myrlandet“ („Bogland„, 2011) den dritten von fünf geplanten Filmen, die Augustsen den fünf Minderheitensprachen Schwedens widmet.
„Sophelikoptern“ ist ein Film über das stille Vergessen nach nahezu 80 Jahren. An den Anfang setzt Augustsen ein Zitat des schwedischen Dichters Gunnar Ekelof: „In der Stille der Nacht fliegt einzig der Müllhubschrauber von Tor zu Tor. Gesteuert wird er von einem anarchischen Poeten aus der Zukunft, lebenslang dazu verurteilt, den Schlick der Fantasie zu sammeln.“ (aus: „Till de folkhemske„) Die Bedeutung seiner Worte klären sich erst zum Ende des Filmes.
Ein Hubschauber wirft am Anfang des Films über einem Landeplatz in einem Waldgebiet einen großen und schweren Container ab. Elche fliehen vor dem Lärm und der offenbaren Bedrohung über den Platz und bringen sich im Dickicht der Bäume in Sicherheit. In einer Wohnung telefoniert eine alte Roma-Dame mit ihren Enkeln und bittet sie, ihr ihre alte Standuhr nach Hause zu bringen. Es sind Enesa, Saska und Barki, zwei Jungen und ein Mädchen, die sich 1030 km weit auf den Weg zu ihr machen, um ihr endlich die seit über einem Jahr in Reparatur gegebene Uhr zurückzubringen. Die Uhr ist noch immer nicht repariert, die Zeit steht, weil die Uhrenmacher seit einem Jahr auf die Ersatzteile aus Deutschland warten. Doch die Enkel packen die Uhr trotzdem ins Auto und fahren los.
Die Kamera filmt ihre Fahrt – bis auf zwei Sequenzen in Museen – immer aus festen Einstellungen und meist nur in Totalen oder Halbtotalen. Die dadurch produzierte Distanz zum Zuschauer ist resolute Absicht und lädt selbigen ausdrücklich ein, sich ganz im kunsthistorischen Sinne, die Bilder zu betrachten und den Menschen auf der Leinwand, bei dem was sie sagen, tun oder umtreibt, zuzusehen, Zeichen zu hinterfragen oder zu deuten. Fast in Bruegelscher Manier.