„Steve Jobs“ von Danny Boyle
Boyles Charakterstudie zeigt Jobs als anstrengende, polarisierende und manchmal regelrecht kaltherzige Person. Indem er die drei Schlüsselmomente seiner Karriere gezielt isoliert und Jobs situativ in Erfolgsdruck, Sozialdruck und vor allem Zeitdruck einbettet, zeichnet er ein von Extremen geprägtes Psychogramm, dem Fassbender in seiner Verkörperung des Apple-Zugpferds über 120 Minuten hinweg absolut gerecht wird. Steve Jobs war mehr als ein leidenschaftlicher Entwickler. Er war selbst eine Marke, ein Image, ein Produkt, das entsprechend seiner eigenen Vermarktungsstrategie nicht nur die vorgeschalteten Wünsche und Vorstellungen seiner Konsumenten befriedigen wollte, sondern darüber hinaus Begehrlichkeiten und Bedürfnisse zu wecken vermochte, die zuvor noch gar nicht ersichtlich waren.
In Anlehnung an das von Jobs vertretene geschlossene Betriebssystem und die beabsichtigte Inkompatibilität mit anderen Geräten scheut Boyle sich darüber hinaus nicht, die persönlichen Defizite der Apple-Lichtgestalt sorgsam in Fassbenders Performance zu integrieren. Getrieben von Ehrgeiz und Perfektionismus war Steve Jobs ein Einzelkämpfer, oftmals beratungsresistent, allergisch gegen Kompromisse und unfähig, Privates und Berufliches unter einen Hut zu bekommen. Entsprechend lange dauerte es, bis er die Vaterschaft gegenüber seiner Tochter Lisa anerkannte und deren Mutter Chrisann Brennan finanzielle Unterstützung zusicherte. Zudem war Jobs bei seiner Arbeit alles andere als detailverliebt: Als medienwirksames Markengesicht hatte er zwar stets das große Ganze, die Bedürfnisse des Kunden und die ästhetische Aufmachung des Produkts im Blick – die Entwirrung kleinteiliger Probleme fiel infolge seines Selbstverständnisses als Dirigent eines großen Orchesters jedoch nicht in seinen Aufgabenbereich. Ein Selbstverständnis, das ihm mitunter in den eigenen Reihen den Ruf eines oberflächlichen Schaumschlägers einbrachte.
Was Steve Jobs wollte, war die Öffnung der Computer-Industrie für die breite Masse. Intuitiv, spielerisch und unbeeinflusst von kompliziertem technischen Firlefanz sollte der Umgang mit seinen Produkten sein. Die persönliche Beziehung zwischen Gerät und Nutzer war seine oberste Prämisse. Schon damals, 1984, sollte der erste Macintosh bei seiner Präsentation „Hello!“ zum Publikum sagen. Heute, vier Jahre nach seinem Tod, lebt Steve Jobs‘ Philosophie nicht nur in Boyles gelungenem Kino-Memorial weiter. Sie war der Grundstein der sich stetig ausdifferenzierenden Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, die unsere Gegenwart – egal ob mit oder ohne Apple – mittlerweile tagtäglich prägt.
Alina Impe
„Steve Jobs„, Regie: Danny Boyle, DarstellerInnen: Michael Fassbender, Kate Winslet, Seth Rogen, Kinostart: 12. November 2015