„The Overnighters“ von Jesse Moss – Unknown Pleasures 2015



The Overnighters“ ist ein Dokumentarfilm, der weitgehend aus Sicht des Pastors erzählt. Er zeigt glaubwürdig, wie er seine Arbeit mit den Bedürftigen als natürlich und wichtig ansieht. Für ihn gehört es wesentlich zur christlichen Lebensmoral, für seinen Nächsten da zu sein. Außerhalb seiner Familie kann aber für diese Sichtweise nur beschränkt auf Verständnis zählen. Der Kontakt mit seinen Kirchenmitgliedern und den Einwohnern der Stadt wird zunehmend spannungsgeladener.

Der Zuschauer ist betroffen von der direkten Feindseligkeit der Stadtbewohner gegenüber den Zugezogenen. Eine existentielle Angst, die das Zusammenleben mit den Fremden auslöst, ist zu spüren. Von der Situation überfordert sind allerdings beide Parteien. Gegenseitiges Misstrauen scheint das vorherrschende Gefühl zu sein. Der Film von Jesse Moss setzt mehr auf einen momentbezogenen, emotionalisierenden Gesamteindruck als auf eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit einzelnen Lebensschicksalen. So erscheint der Erzählstil recht lakonisch, denn nur wenige Personen kommen länger zu Wort. Beispielsweise bleib unklar, welches Schicksal den jungen Kenneth trifft. Er hat zeitweise eine Stelle bei der Ölfirma, dann erleidet er einen schweren Autounfall und wird abwechselnd mit einer Art Augen- und Hautkrankheit gezeigt, wobei nicht deutlich wird, ob diese Krankheiten der Ausübung seiner Tätigkeit als Ölschlauchreiniger geschuldet sind. An anderer Stelle überwirft sich der ehemalige Sexualstraftäter mit dem Pastor und geht. Zurück bleibt eine erzählerische Lücke.

Genauso interessant wäre es gewesen, einzelne der Stadtbewohner ausführlicher zu Wort kommen zu lassen. Sie werden recht pauschal als abweisend dargestellt und verschwinden schnell hinter geschlossenen Türen, aber über ihre Motivation erfährt der Zuschauer nur indirekt etwas. Der Film trifft bewusst die Entscheidung, sich auf Seiten der Männer und des Pastors zu stellen. Der Zuschauer kann die genauen Umstände nicht objektiv beurteilen, da ihm wesentliche Informationen zum Verständnis fehlen. Unklar bleibt insbesondere, wie viele der Männer wirklich eine reale Chance auf Beschäftigung haben. Die Sicht der örtlichen Ölfirmen auf die Situation ist gänzlich ausgeblendet. Durch die fehlende Kontextualisierung wirkt der Film etwas einseitig, doch ist er berührend und lässt über die eigene Toleranz und ihre Grenzen nachdenken.

The Overnighters“ zeichnet ein Bild einer ärmlichen US-amerikanischen Bevölkerungsschicht, das entschieden mit dem Mythos der USA als Land der unbegrenzten Möglichkeiten bricht. Die Geschichte in Williston erinnert an die Goldgräberstädte des 19. Jahrhunderts, die ebenfalls von Männern aus allen Himmelsrichtungen bevölkerten. Die Infrastruktur dieser neugegründeten Städte war auch nicht für die Aufnahmen der Massen von Männern geeignet und es entwickelte sich eine Art staatsferne Parallelgesellschaft, die die älteren Nachbarstädte misstrauisch beäugten.

Teresa Vena

The Overnighters„, Regie: Jesse Moss

Termine bei Unknown Pleasures:
Donnerstag, 8. Januar 2015, 19:30 Uhr, Kino Babylon
Donnerstag, 15. Januar 2015, 19:30 Uhr, Kino Babylon

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