„We Are Here“ von Francine Zuckerman



Im Laufe der Doku begleiten wir die fünf Protagonisten dabei, wie sie über ihr Leben als Juden in Polen und ihre Verhältnisse zu der polnischen Gesellschaft nachdenken. Die fünf erzählen eine gemeinsame Geschichte: Die Juden, die nach dem Krieg in Polen geblieben sind, haben ihre jüdische Identität vernachlässigt und in manchen Fällen sogar vor ihren Kindern versteckt. „Mir ist es immer einfacher, jemandem zu sagen, dass ich schwul bin, als zuzugeben, ich bin Jude“, sagt Leslaw, der erst als Erwachsener von seiner jüdischen Identität erfahren hat. Auch die anderen hatten für sehr lange Zeit nichts mit ihrem Judentum zu tun. Die Älteren dachten damals, es sei einfach unmöglich, ein neues Leben zu bauen, ohne die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Ihre Erfahrungen haben sie gelehrt, eine eindeutige Dichotomie zu beachten: In Polen ist man entweder Jude oder Pole. Beide zusammen geht einfach nicht.

Aus den Berichten der Protagonisten entstehen mehrere schwierige Fragen, die über die persönlichen Geschichten dieser fünf Individuen hinaus gehen. Welche Rolle spielt die Vergangenheit unserer Familie in unserem eigenen Leben? Können wir uns von einer bestimmten Identität lösen? Und wie reagiert die Umgebung, wenn wir versuchen, über mehrere Identitäten zu verfügen?

Trotz der Versuche von „We Are Here„, eine glückliche Zukunft für die polnischen Juden zu prophezeien, zeichnet er ein ziemlich düsteres Bild der Realität. „Ich wünschte wirklich, dass etwas Gutes aus dieser Suche entsteht würde“, sagt Anias Mutter in Bezug auf das große Interesse ihrer Tochter für ihre jüdische Identität. „Aber ehrlich gesagt sieht es nicht so gut aus.“

Itamar Gov

We Are Here„, Regie: Francine Zuckerman

Die Filmkritik von Itamar Gov entstand im 2. deutsch-polnischen Programm „Über Filme schreiben ist über die Welt schreiben“ für junge Journalisten und Filmkritiker.

Weitere Beiträge:
– Die Kritik „Nicht anfassen, sonst geht die Welt unter“ von Nadine Schrader zu „Kleine Dellen“ von Aleksandra Gowin und Ireneusz Grzyb
– Die Review „Wie ein Wunder“ von Natalie Junghof zu „In meinem Kopf ein Universum“ von Maciej Pieprzyca
– Die Kritik „Wir sind da – polnische Juden in Polen“ von Itamar Gov zu „We Are Here“ von Francine Zuckerman
– Die Review „Ohne Kompromisse“ von Mathias Puddig zu „Hardkor Disko“ von Krzysztof Skonieczny
– Die Filmkritik „Le Corbusier lässt grüßen zu „Superjednostka“ von Tereza Czepiec
– Die Doppelkritik „Realität und Fiktion“ von Lena Hauschild zu „Warschau 44“ & „Warschauer Aufstand“ von Regisseru Jan Komasa, der das Thema in einem Spiel- und einem Dokumentarfilm verarbeitete
– Die Kritik „Kampf um Anerkennung und Liebe“ von Katharina Retzlaff zu „Domino Effekt“ von Elwira Niewiera & Piotr Rosołowski

1 2