Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch im Mai Teil 2


Matthias Dell und Christoph Fisser

Matthias Dell und Christoph Fisser

Fisser: Ganz wichtig war für mich auch „Der Pianist„, weil wir zu Polanski ein ganz besonderes Verhältnis haben. Und natürlich „Leon – Der Profi„. Ich wollte schon immer mit Natalie Portman zusammenarbeiten, was letztlich bei „V For Vendetta“ geklappt hat. Für uns als Studio war „Inglourious Basterds“ sehr bedeutend.
Dell: Sie hatten vorhin die Berichterstattung zu „Inglourious Basterds“ angesprochen. Wenn ich auf die Filmkritik gucke, hatte ich da schon das Gefühl, dass die vielfache Berichterstattung im Vorhinein letztlich auch die Kritik beeinflusst. Für mich war die Begeisterung für den Film, die in vielen Kritiken zu lesen war, auch dadurch erklärt, dass es schwierig ist, sich gegen eine solche Euphorie zu wenden, die vorher geschürt wurde. Es fällt einem schwerer, „Inglourious Basterds“ nicht gut zu finden, wenn Quentin Tarantino vorher in der Ankerklause gesessen hat, in der man vielleicht selbst schon mal war. Ich fand den Film nicht so doll.
Galliner: Ich fand ihn komisch.
Fisser: Er ist aber mit Abstand Tarantinos erfolgreichster Film. Er hat dreimal mehr wie „Pulp Fiction“ eingespielt.
Dell: Mag sein, aber er war langweilig. Und das ist etwas, was man über einen Film von Tarantino als letztes sagen möchte.
Fisser: Aber allein die Einleitung, die muss so lang sein. Gerade die Gespräche sind so intensiv. Als Shosanna  und Hans Landa am Tisch den Apfelstrudel essen, das ist so entscheidend. Und von Mélanie Laurent ganz große Schauspielkunst.
Dell: Darüber müssen wir nicht streiten. Und das meine ich auch nicht mit langweilig. Christoph Waltz…
Fisser: …ich finde Mélanie Laurent, die Shosanna Dreyfus, spielt grandios. Der Film lebt gerade durch diese Gespräche.

Christoph Fisser verabschiedet sich kurz zu einer Telefonkonferenz. Währenddessen wird der Nachtisch gereicht. Nicola Galliner freut sich insbesondere über das Mousse au Chocolat in doppelter Ausführung pro Person.

BFF: Das Gegenbeispiel zu „Inglourious Basterds“ ist „Valkyrie„. Er wurde auch hier gedreht, die Presse hat viel berichtet, aber es hat ihm keine besseren Kritiken eingebracht.
Dell: Der Unterschied ist aber der, dass Tarantino ein Kritikerliebling ist. Das gibt es eine andere Beschränkung des Kritikers. Vielleicht ist es auch meine eigene Projektion, weil ich selber in der Pressevorführung drin saß. Das Kino war unglaublich voll. Als ich nach dem Film rausgegangen bin, hatte ich das Gefühl, dass die Euphorie im Saal bei weitem nicht so groß war, wie dann in einigen Kritiken zu lesen war.
Galliner: Haben die gelacht?
Dell: Eben nicht!
Galliner: Ich habe ihn ziemlich spät im Kino International im Original mit deutschen Untertiteln gesehen. Es waren ganz viele junge Leute da. Wir waren die einzigen, die durchweg gelacht haben.  Das war eine interessante Situation. Der Film zeigt natürlich wunderbar die jüdischen Rachefantasien. So etwas gab es ja wirklich, auch wenn nicht ganz so drastisch wie im Film. Es gibt eine sehr interessante Erinnerung von jemandem, der so etwas mitgemacht hat als junger Mann. Er erklärt, warum man erst so spät auf Adolf Eichmann in Argentinien kam. Ganz einfach, weil viele dachten, man hat ihn 1946 schon erschossen. Viele haben sich britische und amerikanische Uniformen geklaut, sich als alliierte Offiziere ausgegeben und sind dann mit den betreffenden Personen in den Wald gegangen und haben sie dort erschossen. Kein Nazi hat auf Nachfrage gesagt, wer er ist.

Matthias Dell (der Freitag)

Matthias Dell (der Freitag)

BFF: Noch einmal zurück zu den Pressevorführungen. In unserem ersten Tischgespräch hat Jörg Buttgereit die These aufgestellt, dass auf der Berlinale die Meinungen zum Film der versammelten Presse auf dem kurzen Weg vom Berlinalepalast bis zum Pressezentrum im Hyatt entstehen.
Dell: Ich finde das schwierig. Natürlich unterhält man sich auch mit Leuten. Aber ich finde keinen Anreiz darin, das zu schreiben, was alle schreiben. Man kann ja auch daneben liegen. Das gehört dazu. Es gibt Sachen, die man eben mag und deshalb höher schätzt. Das ist auch das Schwierige bei Tarantino, gerade weil er ein Kritikerliebling ist und man ihn womöglich cool findet.
Galliner: Ein Kritiker ist auch kein Roboter. Ich finde das absolut legitim, wenn persönliche Dinge eine Rolle spielen.
Dell: Persönlich finde ich in Ordnung. Aber nur weil es ein Tarantino ist, darf der Film nicht über alle Zweifel erhaben sein.
BFF: Das trifft voll allem auf die großen Produktionen zu. Da sind viele Kritiken sicher in irgendeiner Weise schon im Kopf.
Dell: Ich kann mich an keine wirklichen Verrisse erinnern. Ähnliches ist mir auch bei Andres Veiels Film „Wer wenn nicht wir“ aufgefallen. Natürlich hat man für so ein Projekt irgendwo Sympathie, weil man Andres Veiel schätzt, auch wie er über Filme sprechen kann. Dann sitzt man in diesem Film drin und denkt, irgendetwas stimmt nicht. Das soll kein typischer RAF-Film sein, aber es ist genau so ein RAF-Film. Das ist ein Moment, wo es einem schwerer fällt, eine kritische Rezension zu schreiben, aber das gehört eben dazu. Bei vielen Kritiken zu seinem „Wer wenn nicht wir“ habe ich gedacht, die tun alle irgendwie begeistert, aber man merkt es dem Text nicht an.
BFF: Letztendlich sucht man auch immer eine Bestätigung der eigenen Meinung.
Dell: Meine Meinung war mir nach Ansicht des Films schon klar. Aber das heisst nicht, dass ich bei den anderen Kritiken nicht nach einem Argument suchen würde, das mich von etwas anderem überzeugen könnte.
Galliner: Ich finde es immer sehr spannend, mit meinen Kollegen aus anderen Ländern und von anderen jüdischen Festivals Filme zu sehen. Da herrscht immer ein anderer Blick auf die Dinge. Manchmal gucke ich, wenn ich in New York beim Jüdischen Festival bin, in Filme rein, die wir in Berlin gezeigt haben. Dort sitzt ein ganz anderes Publikum, aber das Alter ist ungefähr das gleiche. So um die Mitte dreißig.
Dell: Ist das für sie jung?
Galliner: (lacht) Naja, schon ein wenig älter. In diesem Jahr gab es in der Zeit des Festivals in New York drei Schneestürme. Und trotzdem – Sechzigjährige mit Gehilfe kamen ins Kino. Ich konnte es kaum glauben. Dass es draußen stürmte und schneite war denen völlig egal. Viele der großen jüdischen Festivals im Amerika haben übrigens eine ganz große Schwäche für den deutschen Film.

Christoph Fisser schließt sich der Runde wieder an.

Fisser: Filme, die deutsche Themen behandeln erfahren auch eine ganz andere Aufmerksamkeit. „Die Fälscher“ ist in Deutschland nicht gut gelaufen, in den USA hat er sogar einen Oscar erhalten.
Galliner: In Deutschland will eben niemand Bilder vom Konzentrationslager sehen. Den Film „Der Junge im gestreiften Pyjama“ wollte hier auch niemand sehen. Der lief in Amerika und in England sehr gut. Hier wollte in niemand sehen.
Fisser: Gut, „Schindlers Liste“ ist in Deutschland aber auch sehr gut gelaufen. „Die Fälscher“ hatte in bei uns nur 80.000 Zuschauer. Bei einer Vorstellung in Amerika hatten wir einen der beiden Protagonisten, Adolf Burger, mit dabei, der aber leider kein Englisch spricht. Er wollte im Grunde nur, dass seine Geschichte erzählt wird. Von seiner Verwandtschaft ist er als meschugge gescholten worden, weil er für die Filmrechte nichts genommen hat. Dass er dann den Oscar bekommen hat, war wirklich sehr bewegend.
Galliner: Aber „Schindlers Liste“ ist etwas völlig anders. Hier rettet ein Deutscher die ganzen Juden. In den anderen beiden Filmen rettet niemand irgendjemand.
Fisser: Da haben sie Recht.
Galliner: Ich musste mich beim Lesen einiger Kommentare am Tisch festhalten. So etwas will man hier nicht sehen.

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