Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch zur Wahl 2011


Filmfestivals als Politikum

Mitten im vom Spätsommer erfüllten Filmfestival-Herbst beschäftigt die Berliner vor allem ein Thema: die anstehende Abgeordnetenhaus-Wahl in der Hauptstadt. Deshalb begrüßen wir in unserer „Wahl 2011-Ausgabe“ von Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch eine Runde, die sich Gedanken macht, wie Politik und Kultur zusammenwirken können. Auf den Stühlen unseres Stammrestaurants, dem Mesa am Potsdamer Platz, saßen: Alice Ströver (kultur- und medienpolitische Sprecherin der Grünen), Frank Zimmermann (medienpolitischer Sprecher der SPD), der frisch für seinen Debütfilm „Kriegerin“ mit dem First Steps Award ausgezeichnete Regisseur David Wnendt und Clemens Stolzenberg (Koordinator des neuen australischen Filmfestivals Down Under Berlin und Vorstandsmitglied von Festiwelt e.V., dem Dachverband unabhängiger Filmfestivals in Berlin).

Eine Einstiegsfrage stellte berliner-filmfestivals.de (BFF) jedem der vier: Berlin beheimatet jährlich über 50 Filmfestivals. Wie könnte die Politik diese einmalige Vielfalt fördern?
Alice Ströver:
Trotz meiner sehr intensiven Kenntnis der Film- und Medienszene kenne nur circa 15 Festivals. Damit dürfte ich im politischen Raum ziemlich weit vorne liegen. Die Filmfestivals müssen sich im politischen Feld viel stärker bekannt machen. Lobbyarbeit ist gefordert.

Frank Zimmermann: Es stellt sich ganz grundsätzlich die Frage, in wie weit der Staat, die Politik, die öffentlichen Finanzen aufgerufen sind, Kunst und Kultur zu fördern. Insbesondere Filmfestivals zu fördern. Berlin hat eine besondere Tradition, was Film angeht und ist von daher gut beraten Film und Filmwirtschaft zu fördern. Dem sind ganz konkrete Grenzen gesetzt, finanzielle Grenzen. An denen muss abgewogen werden, was unbedingt notwendig und was `nice-to-have` ist. Nüchtern betrachtet, muss ich feststellen, dass es bei unserer Haushaltslage unheimlich schwierig ist, zusätzliche Mittel bereit zu stellen, wenn wir wissen, dass in jedem Jahr zehn Millionen für die Filmförderung ans Medienboard gehen und zusätzlich für einzelne Projekte Geld ausgegeben wird. Der betreffende Haushalt wächst sogar ein kleines Stück. Es stellt sich die Frage, wie man trotzdem etwas für die Filmfestivals tun kann. Mehr als wir bisher tun.

Clemens Stolzenberg: Ein Grund, warum Festiwelt ins Leben gerufen wurde, war, verschiedene Akteure zusammen zu bringen, um ihnen eine stärkere Stimme zu geben. Auch gegenüber der Politik. Um zu artikulieren, wo Bedürfnisse sind. Die Festivals wissen um den engen finanziellen Rahmen, in dem sich Berlin bewegt. Berlin ist arm, aber sexy. Allerdings gilt auch das umgekehrte: Berlin ist sexy, aber arm. Bisher ist für die Festivalmacher noch nicht ausreichend klar, nach welchen Kriterien Förderungen bewilligt und Budgets vergeben werden. Hier müsste man für mehr Transparenz sorgen. Zum Beispiel könnte das Medienboard jedes Jahr einen Informationstag ausrichten, zu dem Berliner Filmfestivalmacher eingeladen werden, um ihnen zu erklären, wie Förderanträge funktionieren, warum ein Festival gefördert wird und warum andere nicht.

Delicatessen Das Berliner Tischgespräch zur Wahl 2011

Die Teilnehmer des Tischgesprächs vor der Wahl 2011: Frank Zimmermann, Clemens Stolzenberg, David Wnendt und Alice Ströver (v.l.n.r.)

David Wnendt: Ich repräsentiere kein Festival, aber die Gedanken lassen sich auf andere Bereiche beim Filmemachen transferieren. Berlin lebt auch von seiner unabhängigen Filmszene, die mit kleinem oder No-Budget arbeitet. Die Politik könnte besser auf die Szene zugehen und schauen, wie Gebäude und freie Räume verwendet werden können, ohne dass Kosten entstehen. Das ist, was Berlin ausmacht: Es gibt Räume, die günstig sind, mit der eine vielfältige Szene gefördert wird. So könnte abseits vom ewigen ´Mehr Geld´ nach Möglichkeiten gesucht werden, was noch getan werden könnte.

Ströver: Ein Beispiel: Ich habe vor zehn, zwölf Jahren interfilm entdeckt, also nachdem das Festival schon über zehn Jahre existierte. Da war ich schon viele Jahre Abgeordnete. Ich fragte mich bei deren Eröffnung inmitten hunderter Menschen, die von überall auf der Welt her kamen, wie ich das Festival vorher nicht bemerken konnte. Schon damals sagte ich zu Heinz Hermann (Anm. Festivalleiter interfilm, hier ein Interview mit ihm): Ihr müsst mehr Lobbying machen. Es gibt das Strukturproblem, dass im Haushalt keine originären Gelder für eine Förderung da sind, sondern diese ans Medienboard gehen, das eine eigene GmbH ist. So laufen die Festivals am Haushalt vorbei. Deshalb wissen wir auch nichts über sie, kennen keine Produktionsbedingungen oder Infrastruktur. Beim Theater ist das anders.

Eine Kellnerin unterbricht kurz und erklärt das Mesa-Mehr-Teller-System deutscher Gerichte. Sie empfiehlt der Runde mindestens drei Teller der kleinen Gerichte zu nehmen. Auffällig: Vor allem der Kräuterblattsalat und die Rotbarbe erfreuen sich großer Beliebtheit bei dieser Delicatessen-Runde.

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