Festivalbericht: 21. Filmfestival Cottbus
Stadt mit Linie

Preisträgerin Angelina Nikonova (rechts), Foto: Sara Strobl
Der schwache Mann
So traut sich „Bumerang des Herzens“ (Nikolay Khomeriki, Russland 2011), gedreht in schwarz-weiß, viele Sekunden ein einziges Panorama zu zeigen. Darauf zu sehen sind Moskaus Straßen, bedeckt von einer Schneedecke, vernebelt von Industriewolken, Züge die jene Tristesse durchqueren und Kinder, die Schneebälle von Dächern werfen. Inmitten dieser Szenerie lebt der 23-Jährige Kostya – neuerdings mit der Diagnose, dass er jede Sekunde aufgrund eines Herzfehlers tot umfallen könnte. Und so schleppt sich der U-Bahn-Schaffner schweigend und ohne jede Mimik durch eine Welt, die für ihn nicht viel bereithält. Als ein Mädchen vor ihm ihre Brüste entblößt, fällt er in den weichen Busen, vergräbt sich in ihm, als böte nur noch das warme Fleisch Schutz vor der Kälte. Generell verspricht der bloße Geschlechtsakt, anders wird er in „Bumerang des Herzens“ nicht präsentiert, scheinbar einige der wenigen Möglichkeiten, der angestauten Frustration Ausdruck zu verleihen. So entfährt es einer früheren Geliebten Kostyas unmittelbar: „Alles ist so furchtbar„, während nebenan das Kind nicht geweckt werden soll, und sich beide auf dem Küchentisch zu schaffen machen. Der Typus Kostya, stumm, desillusioniert und in höchstem Maße passiv, dominiert eine Vielzahl der gezeigten Filme.
Regisseur Vladimir Kott („Gromozeka„, Russland 2011, Regie- und Publikumspreis) fasst es kurz zusammen: „In Russland haben die Frauen das Sagen.“ Vielleicht erklärt es sich so, warum viele der männlichen Filmprotagonisten als unfähige Brocken, mal brutal, mal bemitleidenswert unfähig, von der Leinwand glotzen. Der Höhepunkt der Lethargie ist dann mit „Sonnige Tage“ (Nariman Turebayev, Kasachstan 2011) erreicht. Wieder eine Stadt im Winter (Almaty), wieder ein junger Mann, wieder nichts als Stillstand. Da wird der letzte Rest aus der Zahnpastatube gedrückt, das Telefon von der Telefongesellschaft abgestellt, die Zuneigung der Verkäuferin aus dem Kiosk übersehen und der Blow-Job im Auto nicht mehr als hingenommen. Es heißt, der Pessimist sei ein gut informierter Optimist – auf dem 21. Cottbusser Filmfestival spielen diese Kategorien überhaupt keine Rolle mehr. Denn überall herrscht Winter. Nimmt dann doch mal jemand sein Leben in die Hand, ergeht es ihm wie den drei Herren aus „Gromozeka„, die zwar versuchen dieses in eine gefällige Bahn zu lenken, Missstände jedoch nicht rechtzeitig registrieren und somit scheitern – und manchmal kommt auch einfach der Tod dazwischen. Der Titel „Gromozeka“ sagt es schon, handelt es sich doch um den kleinen Roboter eines Zeichentrickfilms aus der ehemaligen Sowjetunion, der zu allen Missionen zu spät kam.