Festivalbericht: 21. Filmfestival Cottbus
Stadt mit Linie
Polizisten
Ein anderes Bild von Männlichkeit offeriert sich im Gewinnerfilm „Portrait im Zwielicht“ (Angelina Nikonova, Russland 2011). Hier gibt es zwar einen Mann, einen Polizisten gar, der fähig ist durchzugreifen und in misslichen Situationen schnell ein paar Liegestütze absolviert. Aber auch er findet kaum Worte für das, was ihn bewegt, wenn es da überhaupt noch irgendetwas gibt. In Nikonovas Vorstadt-Dystopie vergewaltigen Polizisten eine junge Frau in einem Waldstück. Kurze Zeit später erwischt es dann auch Marina, Sozialarbeiterin aus gutem Hause. Durch Zufall trifft sie ihren Peiniger in einer schäbigen Wirtschaft wieder und folgt ihm, um Rache zu üben, begreift in letzter Sekunde aber, dass der größte Schmerz, dem sie ihm zufügen kann, in keiner Gewalttat besteht. Marina schleicht sich in die Familie des Polizisten, füttert den dementen Großvater, kifft mit dem jüngeren Bruder, putzt und verbringt die Nächte in roher Leidenschaft. Mit den Worten „Ich liebe dich„, die sie täglich wie eine Dosis Zuckerpillen verabreicht, trifft sie das verkümmerte Innere des Polizisten, provoziert ihn zu Schlägen und letztlich zu einer heimlichen Träne. „Portrait im Zwielicht“ ist ein starker und aufwühlender Beitrag, der von einer zunächst irritierenden, aber einnehmenden Spannung lebt und zu Recht mit dem Hauptpreis des Wettbewerbs ausgezeichnet wurde.
Ob korrupt, brutal oder dümmlich – ohne Uniform kommt fast kein Drehbuch in Cottbus aus. Besonders frappierend besetzt, treten sie im polnischen Spielfilm „Lynchen“ (Krysztof Lukaszewicz, Polen 2010) auf. So ward im Sommer 1995 ein kleines Dorf im Nordosten des Landes von einem verrückten Greis heimgesucht, der Schäferhunde köpft, Frauen bedroht und misshandelt. Die Männer der Ortschaft üben, nachdem die Polizei mit den Worten „Ihr werdet doch wohl mit einem Opa fertig!“ Hilfe verweigerte, Selbstjustiz, erschlagen den 61-Jährigen Zaranek mit Schaufeln und Stallinventar. „Lynchen“ wirkt insgesamt jedoch eher wie ein sentimentaler Tatort, dessen Regisseur filmische Stilmittel einsetzt wie einen Vorschlaghammer. Dann lieber Komik: „Personalausweis“ (Ondřej Trojan, Tschechien 2010) macht aus Polizisten dümmliche Figuren des Machtmissbrauchs, piesackende Pedanten, mit einem Analphabeten als Major.
In den Fängen der Bürokratie
Behält man das Obrigkeitsbild aus „Personalausweis“ im Hinterkopf, erscheint die folgende Betrachtung zweier Filme nur noch tragischer. Im Wettbewerbs-Favouriten „Crulic – Der Weg ins Jenseits“ (Anca Damian, Rumänien/Polen 2011) führt Einfältigkeit in den Tod. Anhand einer Doku-Animation rekonstruiert Damian das Leben und Sterben von Daniel Claudio Crulic im Jahr 2008, der aufgrund einer Verwechslung in ein polnisches Gefängnis gesperrt wird und demonstrativ einen Hungerstreik beginnt – den er nicht überlebt. Crulic rekapituliert im Film seine eigene Geschichte, erzählt von seiner Kindheit auf dem Land, der Auswanderung von Rumänien nach Polen und einem bürokratischen Irrsinn. „Crulic – Der Weg ins Jenseits“ ist der Film in Cottbus, der am meisten verstört. Nach der Vorführung spricht niemand, zu unfassbar ist das Gesehene. Im Abspann spricht die polnischen Polizei, Mediziner, Juristen – niemand will die Schuld an Crulics Tod auf sich nehmen. „Reise nach Portugal“ (Sérgio Tréfaut, Portugal 2011) endet zwar mit keinem Leichentransport, ist aber nicht minder irritierend. Auf ihrem Weg von Kiew nach Lissabon gerät Kita Itaka (Maria de Medeiros, Pulp Fiction) in die Fänge der Ausländerpolizei und wird kurzerhand vom Menschen zur Illegalen. Im Stile von „Persona“ (Ingmar Bergmann, Schweden 1966) zeigt Tréfaut eine menschenverachtende Prozedur an der Landesgrenze Portugals.