Festivalbericht: British Shorts 2012

Festivalbericht 2012: Kurzweilig – kurzatmig - Kurzfilm


Oliver Korittke in "Spoilt Broth"

Oliver Korittke in "Spoilt Broth"

Analoge und digitale Liebeleien

So wie nämlich bereits „Friend Request Pending“ auf den Segen und Fluch von Web 2.0-Anwendungen für Senioren aufmerksam gemacht hat, zeigt Alexis Dos Santos Beitrag „Random Strangers“ die Liebesgeschichte zweier Twens, die bereits völlig im digitalen Zeitalter verwurzelt sind und wo der Laptop offenbar genauso lebenswichtig wie ein Beatmungsgerät für alte Leute ist. Ausschließlich aus Webcam-Perspektive inszeniert, lernen sich Rocky aus Berlin und Lulu aus Buenos Aires per Zufall im Videochat kennen, kleben Tag und Nacht vorm Bildschirm, schicken sich gegenseitig selbstgedrehte Videos, teilen ihre Geheimnisse und setzen alles daran, dass dieses medial vermittelte Intermezzo sich möglichst real anfühlt. Als sie schließlich nach ihrer ersten und vermutlich letzten Cybersex-Erfahrung einschlafen und Dos Santos noch andere Internetjunkies zeigt, denen ihr Computer beim Schlafen zuschaut, zwängen sich dem Zuschauer zwei Erkenntnisse auf: Lulu und Rocky werden sich nie im realen Leben treffen, denn ihre Gefühle basieren auf zweidimensionalen, pixeligen Eindrücken des Anderen und sind untrennbar mit ihrem technologisch determinierten Sozialverhalten verbunden. Und genauso lässt „Random Strangers“ den Zuschauer über das eigene Online-Verhalten nachdenken und man erschreckt sich tatsächlich ein bisschen über diese Augen, die leer und traurig auf dem Bildschirm haften, immer auf der Suche nach dem Echten – ob man sich nun damit identifizieren kann oder nicht.

Im Film „Baby“ (Daniel Mulloy), der übrigens gegen Ende des Festivals als Jurygewinner aus den Beiträgen hervorging, gibt es solche realen Begegnungen noch, allerdings nimmt der Beitrag ein recht klischeeverhaftetes und zum Teil auch diskriminierendes Ende, weshalb die Erstplatzierung so manchem möglicherweise nicht ganz gerechtfertigt erscheint. Hier treffen Sara und ein ihr unbekannter schwarzer junger Mann in London an einer Bushaltestelle aufeinander. Sara ist auf dem Heimweg und er folgt ihr in den Bus, spricht sie an, versucht zu flirten und lässt trotz ihrer eindeutigen Abweisungen nicht locker. Als er ihr sogar bis nach Hause folgt, lässt Sara sich schließlich für einen kurzen Moment verführen und schläft mit ihm, bricht das ganze dann jedoch ab und schmeißt ihn raus. Der Zuschauer wird nun erfahren, dass Sara HIV-positiv ist und deshalb so abweisend war. Viel erschreckender ist jedoch, dass ihre Bekanntschaft anschließend nach Hause fährt, wo ihn eine Ehefrau und ein kleines Baby erwarten. Damit haut der Film genau in die Klischeekerbe, in der Männer sowieso Schweine sind und Afroamerikaner junge weiße Frauen nachts an Bushaltestellen belästigen und angraben. Die Juroren Friederike Jehn (Regisseurin des preisgekrönten Films „Weitertanzen„), Kai Kollwitz (Kinoredakteur bei Flux FM) und Maria Eissner (freie Filmjournalistin) haben sich hier sicher für einen professionell produzierten und anspruchsvollen Beitrag entschieden, doch anscheinend ist auch diesen Filmen ein solches Schubladendenken so manches Mal inhärent.

Publikum im Sputnik, Foto: British Shorts

Publikum im Sputnik, Foto: British Shorts

Bei einer derartigen Auswahl an erdachten und berührenden Geschichten, die sich sonst noch so vor den Augen des British Shorts-Zuschauers entspinnen, wird man jedoch wieder vergleichsweise milde gestimmt und ist sogar gewillt, technische Pannen und filmische Fehltritte zu verzeihen. Dass Oliver Korittke mit einem einzigen deutschen Satz („Ich hab nich‘ mal Geld für n scheiß Bier, ey„) im Film „Spoilt Broth“ (Toby Roberts) einen eher peinlichen Auftritt hinlegt und dass „Mwansa The Great“ (Rungano Nyoni), ein Abenteuer über einen afrikanischen Jungen, die ersten fünf Minuten scheinbar ohne Untertitel auskommt (im Publikum findet sich wohl niemand, der die Sprache der Figuren beherrscht), dann eine französische Übersetzung einblendet und man verzweifelt nach seinen längst vergessenen Kenntnissen aus der Schule kramt, bis nach weiteren zehn Minuten endlich englische Untertitel folgen und das Publikum erleichtert aufatmet, ist da durchaus verzeihbar. Während bei den hier besprochenen Vorführungen sich das Sputnik Kino übrigens über großen Andrang und einen meist ausverkauften Saal freuen kann, verfügen die vielen Dokumentarscreenings offenbar über einen nicht ganz so starken Publikumsmagnetismus, was sich aber, wie nachfolgend erläutert, nicht auf die Qualität der Beiträge zurückführen lässt.

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