Rückschau auf das Forum der 62. Berlinale

Die Wundertüte der Berlinale


Filmszene: "Nuclear Nation" von Funahashi Atsushi

Filmszene: "Nuclear Nation" von Funahashi Atsushi

Weit entfernt von solchen fiktionalen Geschichten widmeten sich drei Dokumentarfilme beim  Forum der Katastrophe von Fukushima im März letzten Jahres. Auffällig war, dass hier gleich zwei Beiträge – „Nuclear Nation“ und „No Man’s Zone“ – nach einem ähnlichen Modus operierten: Beide Filme entschieden sich gegen eine faktische, neutrale Darstellung des Tsunamis mit anschließendem GAU, sondern ließen stattdessen vorrangig die Opfer der Katastrophe sprechen. Der Forum-Zuschauer traf hier auf Menschen, die nichts mehr haben, denen jeder materielle Besitz, jede Erinnerung und im schlimmsten Fall auch Angehörige genommen wurden. Aus nächster Nähe zeigen beide Beiträge die Überlebenden, die nun in notdürftig umfunktionierten Schulen und Gemeindezentren dicht gedrängt auf dem Fußboden schlafen, rationierte Lebensmittel bekommen und nicht mal mehr eine Privatsphäre haben. Doch es sind nicht die ehemaligen Besitztümer, die die Opfer schmerzlich vermissen, stattdessen sehnen sie sich nach der Wiederherstellung ihrer alten Gemeinschaft in ihrem früheren Wohnort.

Die Bilder der Schuttberge und des Chaos, die dort vorhandene Strahlung und eine Regierung, die sich bis heute dem Problem nicht angenommen hat, beweisen jedoch, dass dies wohl vorerst eine Utopie bleiben muss. Dass das vorherige Leben ein für allemal ausgelöscht ist, muss eine Familie in „Nuclear Nation“ (Funahashi Atsushi) auf besonders bittere Weise erkennen. Ihnen wurde eine zweistündige Rückkehr zu ihrem Haus genehmigt, um zumindest ein paar Dingen retten zu können. Was sie dort vorfinden, sprengt allerdings jede Vorstellungskraft, denn statt Trümmern und Schutt existiert hier noch das Nichts. Das, was mal ihr Haus war, lässt sich nur noch anhand eines kaum vorhandenen Fundaments erkennen, eingebettet in eine erbarmungslose, leere Ödnis. Nach verschüttgegangenen Erinnerungen zu suchen, macht keinen Sinn. Es ist, als hätte man nie existiert.

Das Entsetzen, das „Nuclear Nation“ und „No Man’s Zone“ ihren Zuschauern in die Gesichter schrieben, schien dem dritten Beitrag „friends after 3.11“ allerdings nicht zu gelingen. Iwai Shunji setzte bei seiner Nacherzählung von Fukushima weniger auf persönliche Geschichten, sondern rückte stattdessen die Meinung verschiedener Sachverständiger in den Mittelpunkt. Dass ein Hochschulprofessor und ein Journalist durchaus kompetente Ansprechpartner in diesem Fall sind, möchte man nicht bestreiten, was allerdings ein befreundeter Musikproduzent oder eine Künstlerin in dieser Diskussion zu suchen haben, wurde nicht so recht nachvollziehbar. Gepaart mit einer extrem schnellen Schnittfolge, in der die Untertitel mit rasender Geschwindigkeit nur so vorbeirauschten und einem etwas selbstverliebten Regisseur, der ständig sein verständnisvolles Nicken im Gegenschuss unter Beweis stellen musste, war das wohl einigen Zuschauern doch zu viel. Dass sich manche noch vor Ablauf des Films für den Heimweg entschieden, mag im ersten Moment respektlos erscheinen, allerdings ist die Schuld für dieses Verhalten nicht im Sachverhalt selbst zu suchen, sondern in der Machart des Films. Manchmal ist eben auch die gute Absicht nicht viel wert, wenn es dann an der Umsetzung scheitert – gerade bei so einem emotionsgeladenen Thema.

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