Teil 2: Wir blicken zurück auf das Jahr 2012


FÖRDERN UND FORDERN von Martin Daßinnies

Das letzte Quartal diesen Jahres stand ganz im Zeichen eines Briefes. „Offener Brief an die Filmakademie“ hieß es am 18. Oktober u.a in der taz. Verfasst von einer „Gruppe von deutschen Filmkritikerinnen und Filmkritikern“, die sich zuvorderst aus Journalisten großer Feuilletons zusammensetzte und die in diesem Brief die Akademie anrief „ihre grundsätzliche Aufstellung, zumindest aber ihr Auswahl- und Abstimmungsverfahren noch einmal gründlich zu überprüfen.“ Dem Ansinnen nach ist so ein Brief relevant und wichtig, hat sich in den letzten Jahren doch tatsächlich gezeigt, dass die Preisvergabe der Deutschen Filmakademie vor allem auf das kommerzielle Kino fokussiert – unabhängige Filmemacher, das Autorenkino und Independent-Filmerei dagegen wenig Aufmerksamkeit erfahren.

Problematisch ist dieser Brief dagegen in seiner Ausführung. Zwar wurden die Namen sämtlicher Unterzeichner aufgeführt. Unter den Filmkritikern befand sich allerdings kein Journalist/Blogger/Kritiker des Web 2.0. So, als würde es die Online-Kritik nicht geben. Der erste Gedanke beim Lesen des Briefes: Will man etwas bewegen, sammelt man Kräfte. Wo aber sind in diesem Brief die Filmkritiker namhafter Online-Magazine? Wo die Blogger, die heute einen ebenso relevanten Status besitzen wie die etablierten Feuilletons? Lehnt sich hier ein behäbiges Gremium gegen eine ebenso träge Institution auf? Verbirgt sich hinter beidem ein nicht ebenso zweigesichtiges Antlitz? Steckt nicht in beidem die Unfähigkeit, über den sprichwörtlichen Tellerrand zu schauen?

Filmkritik ist heute undenkbar ohne Online-Journalismus. Film wird in Zukunft nicht mehr zu denken sein ohne die Fortschritte des Digitalen. Sowohl in der Distribution als auch in der grundsätzlichen Arbeit an der Kunst. Wie kann also ein so „relevantes“ Ansinnen auf etwas so Wesentliches verzichten? Die lauwarme Antwort folgte nur einen Tag später in Form einer erweiterten Liste. Online wurde ergänzt! Ganz ähnlich kann man das auch über den nicht-kommerziellen Film und seine Bewertung im Kanon der Preisverleihungen sehen. Dem Brief zu entnehmen ist auch ein Rückgriff auf gestandene Filmemacher wie Werner Schroeter oder Romuald Karmakar, deren Arbeit unter den heutigen Vergabekriterien nicht „noch einmal einen Preis gewinnen könnte“, heißt es im Brief. Wo aber findet in diesem Punkt eine Auseinandersetzung mit dem Ist-Zustand statt? Mit dem Hier und Jetzt? Wer bestimmt, welche Filme relevant sein sollten und welche nicht? Der Filmkritiker? Hier läßt genau dieser Filmemacher aus, die zwar noch keinen Namen, wohl aber ein Portfolio aufweisen können.

Filmkritik ist immer auf einem Auge blind. Sie sortiert, verknappt und bildet Partikel ab, jedoch nie den gesamten Raum ab. Filmkritik ist subjektiv. Zu selten subversiv. So wie die Vergabe von Filmpreisen ebenso wie die Vergabe von Fördergeldern ein subjektiver wie wenig subversiver Akt ist. Darum aber geht es in dieser Diskussion. Um die Ausschüttung von Fördergeldern. Egal ob sie nun Preisgelder heißen oder nicht. Doch genau diese Verteilung ist mit der zunehmenden Ausweitung der Kampfzone, dem digitalen Leben, seit einiger Zeit auch ohne das Zutun feuilletonistischen Kritikergeistes in Frage gestellt. Jeder Zuschauer kann heute auch Finanzier sein. Diese Bildungsaufgabe leisten heute zunehmend Crowdfunding-Plattformen. Der Filmemacher widerum erreicht sein Publikum nicht mehr nur über den Verkauf der Kinokarte. Er kann heute Autor, Regisseur und Distributor zugleich sein.

Und so endet mein Jahr mit allerlei sehr grundsätzlichen Fragen, die wohl auch im Jahr 2013 keine konkreten Antworten erhalten werden. Eine Auswahl hier in aller Kürze: Brauchen Filmemacher Preisrichter? Brauchen Filme Kritiker? Braucht Film eine institutionalisierte Industrie? Besteht die Filmwirtschaft nicht längst aus konkurrierenden Finanzierungsmodellen (Crowdfundig vs. staatliche Kulturförderung)? Und geht es nicht auch um die Frage, was einen unabhängigen Filmemacher ausmacht? Braucht er das Gerede um einen Filmpreis? Benötigt ein unabhängiger Film eine Institution wie die Deutsche Filmakademie? Braucht Film die strikte Trennung in kommerziell und unabhängig? Ist Film nur Subvention? Und vor allem: Wie schafft man Aufmerksamkeit und Publikum? Soll 2013 nur kommen.

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