Sehsüchte 2013: Festivaltagebuch

Pendeln zwischen Mut und Befindlichkeiten


Auf Besuch beim Sandmännchen im Eistütenland

Auf Besuch beim Sandmännchen im Eistütenland

Tag 4: Nostalgie!

Früher war ich vom Filmpark Babelsberg total begeistert. Als Zehnjährige habe ich mir dort mal eine riesige Schürfwunde auf die Wange schminken lassen und anschließend zuhause in unserem Magdeburger Hochhausghetto vor meinen Freunden mit der angeblich echten Verletzung mächtig angegeben. Und weil für Fachbesucher und Akkreditierte der Eintritt in den Filmpark während der Festivalsaison kostenlos ist, wage ich heute nach Jahren mal wieder einen Besuch. Als erstes besuche ich das Sandmännchen im Eistütenland und überrede es, mit mir für ein Foto zu posieren. „Du warst sowieso immer viel cooler als dein Wessi-Kollege“, raune ich ihm verschwörerisch zu. Nach einem eher mäßig überzeugenden 4D-Autorennen in einer alten, wackelnden Rumpelkiste und einem Besuch bei Edgar Allen Poe, aus dessen Grab schon vor 20 Jahren knochige Hände winkten, gebe ich dem Filmpark noch eine Chance. Bei der Live-Show zu den Drei Musketieren finde ich mich auf der Tribüne zwischen Rentnern und Kleinkindern wieder. Wirklich verändert hat sich hier nichts, nur meine Perspektive. Aber manchmal ist es schön, wenn Dinge so bleiben, wie sie sind.

Nach meinem kleinen Nostalgie-Trip fällt mir wieder ein, dass ich hier ja auch noch in offizieller Funktion bin und daher noch ein paar Filme schauen sollte. Im Semi-Dokumentarfilm „The Final Call“ von Florian Baron geht es am Rande um Fukushima, aber in erster Linie um das prätentiöse Gejammer des Regisseurs: „Manchmal stelle ich mir vor, wie sich unsere Welt plötzlich im Nichts auflöst“, orakelt der Filmemacher und fragt sich, „warum Einsamkeit so viel mit Katzen zu tun hat“. Och Mensch, nun ist aber mal gut! Dieser persönliche Krisenfilm ist übrigens nur entstanden, weil der Regisseur in der Grundschule mal während der Hofpause im Klassenzimmer eingeschlossen wurde, wie eingangs melodramatisch erläutert. Zum Glück ist Florian Baron nicht übers Wochenende in der Sporthalle vergessen worden, sonst wäre der Film vermutlich noch unerträglicher. Ganz anders dagegen: Daniel Abmas Ex-Knacki-Dokumentation „Nach Wriezen“. Schon vorher als verheißungsvoll angekündigt, erzählt „Nach Wriezen“ von Schlägern, Drogendealern und Mördern, die nach der Haft den Weg zurück ins Leben suchen. Die Lebensplanung der drei Protagonisten ist einfach und doch so schwer umsetzbar – eine Frau finden, ein Kind bekommen, ein ruhiges Leben führen. Nebenbei wird noch ein Kilopack Koks geknetet. Abma gelingt es, sich respektvoll diesen gesellschaftlich Ausgestoßenen zu nähern und avanciert dabei, wie sich noch zeigen wird, zu einem der absoluten Festivallieblinge.

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