Sehsüchte 2013: Festivaltagebuch

Pendeln zwischen Mut und Befindlichkeiten


Sehsüchte Festivalparty

Sehsüchte Festivalparty

Tag 5: Entspannt beim Feueralarm

Mal wieder massiv unter Zeitdruck renne ich durch das Untergrundsystem vom Alexanderplatz. Plötzlich joggt ein kleines Männlein neben mir her und fängt an, wild zu gestikulieren. Leider ist mein iPod auf Anschlag gedreht, weshalb ich ihn nicht hören kann. „Waaas? Verzieh dich!“ schnauze ich ihn an, bis ich schließlich verstehe, dass er meine Nummer haben will. Sorry, keine Zeit, ich muss zu einem anderen kleinen Männlein, heute wird schließlich „Oh Boy“ gezeigt und Tom Schilling ist live dabei. Meine Eile und mein asoziales Gebaren waren vollkommen überflüssig, denn  „Oh Boy“ läuft erst mit 30 Minuten Verspätung im Rotor Film an. Die Geschichte zu dem hedonistisch-deprimierten Niko Fischer kennt kein Coming-of-Age und keinen Fortschritt, dafür aber schöne Schwarz-Weiß-Bilder und ein Berlin, in dem höchstens eine Ray-Ban-Brille einen hipsteresken Querverweis schlägt. Angenehm. Nach der Vorstellung lümmeln sich ein verkaterter aber zufriedener Regisseur und ein Hauptdarsteller auf dem Sofa. Schilling hat mit seiner Hauptfigur im realen Leben nicht viel gemein. Sich arrogant und dandyhaft im Kinderstrickpullover dem Publikum präsentieren, kann eben auch nicht jeder. Aber man räumt ja auch nicht jeden Tag beim Deutschen Filmpreis ab.  „Oh Boy“ ist, trotz aller Lobpreisungen, die Sorte Film, gegen die in jüngster Zeit Filmemacher und Kritiker aufbegehren: Deutsches Befindlichkeitskino.

Feueralarm

Feueralarm

Genau erklären lasse ich mir das später auf der Sehsüchte-Party von Paul, dem Organisator der Genrenale, der euphorisch von seiner Mission spricht und gleich mal ein bisschen über Christian Petzold wettert. Bekannte und neue Gesichter in Form von Sehsüchte-Mitwirkenden, Filmemachern und einem Performance-Künstler mit einer wiehernden Pferdelache ziehen im Laufe des Abends an mir vorbei, Wodka-Applebee rauscht durch meine Blutbahn, doch gegen 3 Uhr wird es Zeit für den Heimweg. Da kommt mir der plötzliche Feueralarm in der HFF sehr gelegen. Doch statt einer angenommen Massenpanik schlurfen die Partygäste nur widerwillig nach draußen. Der Zwischenfall scheint vor den Türen der HFF eine Art Community-Gefühl heraufzubeschwören und so blicke ich von der anderen Straßenseite aus fast ein bisschen neidisch auf diese Gemeinschaft von kreativen Menschen, während ich freundlicherweise das Bier eines Zaunpinklers halte. Ein schönes Bild.

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