Teil 1: Wir blicken zurück auf das Jahr 2013
Jahresbilanz 2013
Wir bleiben uns treu. Keine Top 10. Keine Bestenliste. Keine Aneinanderreihung. Kein Abarbeiten an Superlativen. Wie in den vergangenen Jahren blicken unsere Autoren nicht zurück, um darüber aufzuklären, was unbedingt gesehen werden musste. Ihr Rückblick ist ein persönlicher, der sich nicht zwangsläufig am Kino orientiert, aber unumstößlich damit verbunden ist. Wir wünschen viel Vergnügen beim Lesen!
FLUCHT NACH VORN MIT DEM BLICK ZURÜCK von Alina Impe
Palim-Palim macht mein Outlook. In meinem Posteingang liegt eine neue Email. „Ihr Zeugnis für Ihren Masterabschluss liegt vor und kann abgeholt werden“, schreibt mir das Prüfungsbüro meiner Uni. Allerdings erst nach dem Jahreswechsel. Ist schon echt prima, wenn man so eine Hiobsbotschaft kurz vor den Feiertagen erhält und dann noch knapp drei Wochen lang auf den Fingernägeln kauen muss. Ich liebe die deutsche Bürokratie. So ein Zeugnis markiert ja auch immer das Ende eines Lebensabschnitts. In meinem Fall heißt das: 1. Fünf Jahre Studium sind vorbei. 2. Geh los und such dir einen Job, der dich glücklich macht. Und 3. Mit dem ÖPNV ohne Semesterticket durch die Gegend gondeln, ist sehr schmerzhaft für die Geldbörse. Tut doppelt weh, wenn man vorher anderes gewohnt war.
Aber ich will eigentlich nicht jammern. Mein Jahr 2013 war nämlich schön. Abwechslungsreich. Inspirierend. Und voll von philosophischen Stimulanzen. Ein paar Minidramen gibt’s natürlich immer. Zum Beispiel bei der Berlinale, wenn man zu spät zur Pressevorführung von „Dark Blood„ kommt und vor der Tür des Saales Zeuge wird, wie ein paar andere Zuspätkommer-Journalisten den armen Cinemaxx-Einlasshelfer aus purer Verzweiflung fast verprügeln. Das sind die tragischen Momente im Festivalbusiness. Die schönen Momente sind dagegen: Wenige Meter neben Joseph Gordon-Levitt sitzen, wenn „Don Jon“ im Friedrichstadt-Palast gezeigt wird. Zwischendurch Kaffee trinken mit Kollegen, die mittlerweile zu Freunden geworden sind. Und die abschließende Erkenntnis, wie vielseitig so ein Berlinale-Beutel eigentlich ist. Der eignet sich nämlich hervorragend zum Einkaufen und Pfandflaschen wegbringen.
Etwa zwei Monate später saß ich eine Woche lang täglich in der S7 Richtung Potsdam-Griebnitzsee, um zum 2. Mal über das Sehsüchte Festival der HFF Konrad Wolf zu berichten. Erfahrungsgemäß bedeutete das, sieben Tage am Stück besoffen zu sein. Entgangen ist mir trotzdem nicht, dass ich „Oh Boy“ ehrlich gesagt nur mittelmäßig fand. „Silvi„ von Nico Sommer dafür umso besser. Und „Am Himmel der Tag„ war auch nicht übel. Ja, es tut sich was bei den deutschen Nachwuchs-Filmemachern. Gut 2.300 Kilometer entfernt, im hohen Norden von Finnland, sieht das leider etwas anders aus. Das hab übrigens nicht ich gesagt, sondern der Leiter vom Midnight Sun Film Festival in Sodankylä, als ich im Juni dort oben war. Trotzdem zählt diese Reise für mich zu den einmaligsten Erfahrungen diesen Jahres. Vielleicht sogar meines bisherigen Lebens. Wer einmal in die erbarmungslos knallende Sonne geblinzelt hat, während er um Mitternacht mit dem Fahrrad an Nadelwäldern und Rentieren vorbeigerauscht ist, versteht mich möglicherweise.
Im August fand ich mich dann zum zweiten Mal in diesem Jahr in den endlosen Schlangen der Cinemaxx-Kinos wieder, nun jedoch in der kuscheligen Mitte von Nerds, Geeks und Goths, die wie ich zum Fantasy Filmfest gepilgert waren. Vor diesem Festival habe ich ehrlich gesagt ein bisschen Respekt. Rumfliegende Gedärme, Blutfontänen und Leichenteile in Portionspackungen – das ist einfach nichts für mich. Genau weiß ich das seit meiner Serienkiller-Reihe für Moviepilot. Während der Recherche für diese Texte habe ich wochenlang nachts von Jeffrey Dahmer, Ed Gein und John Wayne Gacy geträumt. Hat trotzdem Spaß gemacht, irgendwo. Manchmal muss man sich solchen Herausforderungen stellen.
Der eigentliche Horror kam dann ab September. Eben noch hampelte ich mit Freunden in einem Hoch-das-Bein-Reigen zu Rednex‘ „Cotton Eye Joe“ bei der Silent Disco des Berlin Festivals rum (und es ist mir auch überhaupt nicht peinlich, das zuzugeben!), dann kam die bittere Erkenntnis: Du musst deine Masterarbeit schreiben. Du musst musst musst! Vorbei waren die spannenden Reisen, die schönen Festivals und die feucht-fröhlichen Nächte. Zwei Monate lang kerkerte ich mich in meiner Wohnung ein und ging nur noch zum Einkaufen raus. Natürlich mit Berlinale-Beutel. In so einer Zeit macht sich nicht nur allmählich der Realitätsverlust breit, auch die unangenehmen Fragen im Hinterkopf werden immer lauter. Was kommt danach? Wie geht dein Leben weiter? Mein Berater im Jobcenter sah das weniger dramatisch und lehnte sich bei unserem ersten Treffen entspannt mit einem „Alter, chill“-Gestus in seinem Bürostuhl zurück. Es ist schön, wenn andere auf die eigenen Fähigkeiten vertrauen.
Und wenn selbst das nicht hilft, sind manchmal schon Filmfiguren die benötigten Stützen fürs eigene Rückgrat. Figuren wie Walter Mitty, der von heute auf morgen sein Leben umkrempelt und von der spießigen Kellerassel des LIFE Magazins zum furchtlosen Weltenbummler wird. Oder Llewyn Davis, der als erfolgloser und deprimierter Singer-Songwriter durch New York dümpelt, während sich seine Geschichte trotzdem von selbst weiterschreibt. Manchmal ist blinder Aktionismus nicht die schlechteste Wahl. Und der muss gar nicht so spektakulär sein. Sich spontan und allein in eine Neuköllner Asibar flüchten, wenn alles andere gerade zu viel wird, hat genauso seinen Reiz. Das Leben steckt wortwörtlich im Erlebnis. 2014 kann kommen.