Teil 1: Wir blicken zurück auf das Jahr 2013

Jahresbilanz 2013


DIE GESCHICHTE VOM FILM-KASPER von Martin Daßinnies

„Der Kaspar, der war kerngesund“, heisst es im Struwwelpeter. Und weiter: „Ein dicker Bub und kugelrund. Er hatte Backen rot und frisch. Die Suppe aß er hübsch bei Tisch. Doch einmal fing er an zu schrein: ´Ich esse keine Suppe! Nein! Ich esse meine Suppe nicht! Nein, meine Suppe ess ich nicht!´“ Die Geschichte vom Suppenkasper ist Ausdruck einer Pädagogik, die darauf abzielte, Kinder zu Ja-Sagern und willfährigen Menschen zu erziehen. Iss, was wir dir hinstellen, erklärt der Subtext. Und auch: Frag nicht! Iss! Friss! Nicht anders verhält es sich mit dem Kino, das sich Hollywood nennt. 2013 ist für mich darum ein Jahr des Entschlusses. 2014 der Beginn der Abstinenz. Weg vom Ja. Hin zum Nein. „Nein, diesen Film, den schaue ich nicht. Nein Hollywood, diesen Dreck, den fress ich nicht!“

Kino ist ein Raum der Expression. Ein Rahmen, der Erfüllung bereit hält (halten sollte), Schönheit, aber auch Abwehr und Ekel. Kino ist Transgression, die sich nicht nur in Bildern erschöpft und zu der man auch mal Popcorn reichen darf. Ich spreche nicht explizit vom Programmkino, vom Autorenfilm oder vom „anspruchsvollen Film“, wie man es viel zu oft vergeblich und bedeutungsschwanger versucht auszudrücken. Ich spreche von dem, was sich Blockbuster schimpft, von der Industrie, die behauptet Kunst zu sein – aber nicht ist!

Ich bin kein Kostverächter, nein, wirklich nicht. Ich habe, ich war gerade 12, vielleicht 13 Jahre alt, in der Schule sogar einmal ein Referat über Arnold Schwarzenegger gehalten. Er ist Teil meiner Sozialisation. Und er ist vielleicht auch für die Mimikry verantwortlich, die ich mit mir herumschleppte: Die Behauptung, der Mainstream könne tatsächlich mehr bieten als Unterhaltung. Ich habe nicht nur ein Gespräch über „Terminator„, „Rambo“ (Stallone) und all die anderen Geldbringer geführt. Ich habe sie gern verteidigt, weil ich wollte, dass mich der Trash, wie man das heute sehr sinnfrei nennt, unterhält und irgendwie bewegt. Für mich ist damit aber Schluss. Die Tür ist endgültig zugeschlagen. „Hollywood“, meine Damen und Herren, „has left the building“.

Den Strich hat Peter Jackson mit seinem „Hobbit“ gezogen. Der Strich ist dick und rot. Er glüht förmlich. Er ist das Ergebnis einer langen Klausur. Warum? Es ist eindrücklich und liegt sehr offen da: Peter Jackson ignoriert das Publikum. (Nicht nur er.) Er lacht über das Publikum. (Nicht nur er.) Er ignoriert die Kunst der Erzählung. (Nicht nur er.). Er ekelt sich vor dem Intellekt (Nicht nur er.) Denn sein Hobbit ist eine erbärmliche Aneinanderreihung von Szenen, eine simple Addition, die vorgibt mehr zu sein, als die Summe ihrer Teile. Ich verrate nicht zu viel, wenn ich kurz erkläre, warum es in Peter Jacksons „Hobbit“ geht: Die Heldenreise startet hier. Dann sind die Helden dort. Mal wieder hier. Wieder dort. Und wieder hier. Jetzt hier. Hier, und hier …. und dann noch mal hier. Ach, vergessen, hier sind sie auch noch. Spezialeffekte, Spezialeffekte, Spezialeffekte. 3D. 48 statt 24 Bilder pro Sekunde. 161 Minuten geht das so, allein im zweiten Teil. Kino satt.

Ich beschwere mich nicht allein über Jackson. Ich beschwere mich über eine ganze Generation von Regisseuren, die kein Interesse mehr am Filmemachen hat. Eine kurze Liste derer, ja was sind sie eigentlich, Strippenzieher?, die ihr Publikum zutiefst missachten: Peter Jackson („Hobbit„), James Mangold („Wolverine„), J. J. Abrams („Star Trek„),  Guillermo del Toro („Pacific Rim„),  Joseph Kosinski („Oblivion„), Zack Snyder („Man of Steel“), Neill Blomkamp („Elysium„), John Moore („Stirb Langsam„), dazu Gore Verbinski („Lone Ranger“).

Demgegenüber stehen die Regisseure, denen ich es verdanke (und weiterhin werde) , dass ich im Kinosaal nicht verhungern muss: Harmony Korine (Spring Breakers), Francois Ozon („Jung & Schön„), Richard Linklater (Before Midnight), Nico Sommer  (Silvi), Alain Guiraudie („Der Fremde am See„), David Gordon Green (Prince Avalanche), Paolo Sorrentino (La Grande Bellezza), Paul Thomas Anderson („The Master„), Pablo Berger (Blancanieves), Jakob Lass (Love Steaks), Felix Van Groeningen (Broken Circle) sowie Gordon Joseph-Levitt und sein lakonisches Debüt Don Jon.

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