British Shorts 2015: Pioniere von heute und gestern

Rückblicke auf die Zukunft des britischen Films



Auf einem schmalen Grad zwischen Faszination und Grauen balanciert Ben Astons merkwürdige Liebesgeschichte „He Took His Skin Off For Me„. Darin berichtet eine junge Frau davon, wie ihr Freund eines Tages im wahrsten Sinne des Wortes seine Haut abstreift. Obwohl sie durchaus Gefallen an dieser Form von Intimität finden kann, ergeben sich hieraus auch einige Schwierigkeiten im Alltag. So hinterlassen sämtliche Berührungen einen leichten Blutfilm und Freunde und Kollegen reagieren bei einem gemeinsamen Dinner mit versteckter Abscheu auf seine Erscheinungsform. Die hervorragenden Makeup-Effekte stehen dabei nicht im Mittelpunkt des Films, sondern dienen vielmehr dazu, eine zärtliche metaphorische Auseinandersetzung mit der Andersartigkeit und deren Auswirkungen auf die Beziehung zu symbolisieren.

Zu den spannendsten Programmpunkten zählte die Reise zurück an den Anfang der Filmgeschichte, zu der die Retrospektive „Reeling Back“ einlud. 21 kurze Stummfilme, unter anderem aus der „Schule von Brighton“, stellten die spannende Entwicklung der Film- und Montagetechniken in der Pionierzeit des Mediums (1895-1910) nachvollziehbar dar. Von simplen Actuality-Filmen zu Beginn, wie „Rough Sea At Dover“ (1895), welcher den Wellengang in einer einzelnen Einstellung dokumentiert, über erste Montageversuche von verschiedenen Einstellungen hin zu komplexen fiktiven und dokumentarischen Werken. Darin zeigen sich bereits unterschiedliche Filmgenres wie absurde Slapstick-Komödien („Explosions Of A Motor Car“ (1900) oder handlungsorientierte Actionfilme („Fire!“ (1901)). Das Vorhandensein von Remakes der geläufigen Motive offenbart, dass vergleichbare Arbeitsformen auch heute noch in aktualisierter Form in der Filmindustrie vorzufinden sind. Als beeindruckender Abschluss stach vor allem die Dokumentation „A Day In The Live Of A Coal Miner“ (1910) hervor, die in einer von Zwischentiteln angekündigten, klar strukturierten Montagefolge die Arbeitsabläufe beim Kohleabbau wiedergibt. Dirk Markhams sample-basierter experimenteller Live-Score verband die flackernden Bilddokumente und erzeugte eine hypnotische Sogwirkung, mit der er das Publikum in seinen Bann ziehen konnte.

BS_OpenScreeningAn dieser Stelle verdeutlichte sich, dass das British Shorts Festival in der mittlerweile achten Auflage seine Zuschauer gefunden hat. Von der Eröffnung im Badehaus Szimpla und den Wochenendvorstellungen im Sputnik Kino hin zu speziellen Programmpunkten wie eben jener Retrospektive oder dem ins Festival integrierten Open Screening (hier unser Open Screening-Kurzfilmkanal) waren die Vorführungen bis auf den letzten Platz besetzt. Teilweise machte das begeisterungsfähige Publikum es sich auf Kissen vor der Leinwand bequem, um ausreichend Platz zu bieten. In den Reaktionen spiegelte sich stets die Anerkennung für das filmische Schaffen, sowohl bei experimentellen Beiträgen wie dem auf grobkörnigem 16mm Material gedrehten Videoclip „Half Light„, als auch bei leichtgängigen Publikumslieblingen wie „About A Dog“ von Ryan Vernava oder dem Gewinner des Publikumspreises „Emotional Fusebox“ von Rachel Tunnard. Damit hat das British Shorts 2015 unter Beweis gestellt, dass es auch mit einer Erweiterung auf fünf Spieltage und vier Veranstaltungsorte an den Erfolg des Vorjahres anschließen konnte und nichts von seinem Charme verloren hat.

Henning Koch

British Shorts fand von Donnerstag 15. bis Montag 19. Januar 2015 im Sputnik Kino dem Badehaus Szimpla, dem Kino Acud und im Filmkunst 66 statt.

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