31. Internationales Kurzfilmfestival Berlin – Focus On: Baltic States

Kühle Rauheit & verträumte Mythologie



BAL 03 Focus On: Baltic States – Bodies and Minds
Zwischen Instinkt und Verstand tänzelt diesen Kurzfilmblock in bewusster Entscheidungsunfreudigkeit. Das Spiel mit Körper und Geist wird zur Zerreißprobe und macht dieses Programm besonders, wenn auch besonders herausfordernd.
Castratus, the Boar“ (Lauris Abele, Raitis Abele, Lettland, 2014) dreht sich um Außenseiter Valter, der Schweine züchtet und als einziger Mann im Chor singt. Als er sich verliebt, greift er zu drastischen Maßnahmen. Sein sexuelles Verlangen wird mit theatralischer Chormusik, verschwommenen Bildern und Tiermotiven auf die nächste Stufe von Eindringlichkeit emporgehoben. Ein tiefgreifender, dunkler Kurzspielfilm, der die Frage nach dem Geschlecht und den Begriff Cisgender in ein ganz neues Licht rückt.
Leichtfüßiger geht es in „Mano gyvenimo Žuvis“ („The Fish of My Life„, Julius Siciunas, Litauen, 2014) zu. Der auf den Punkt erzählte, kurze Spielfilm erinnert an die „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ von Heinrich Böll. Nur wird hier der Fisch mit einer ordentlichen Brise schwarzem Humor gewürzt.
Piano“ (Kaspar Jancis, Estland, 2015) könnte das Halluzinogenpendant zur Eröffnungssequenz von „Die fabelhafte Welt der Amélie“ sein. Wie in einem verstörenden Trip auf Pilzen oder LSD vermischen sich die Geschichten um ein lüsternes älteres Pärchen, eine stöhnende Frau, die ihr Piano schiebt und einen Typen der ihr hinterhergeift: ein herrlich makabres Szenario, in dem alles irgendwie zusammenhängt.

BAL 04 Focus On: Baltic States – Tales of the Paradox
Merkwürdige Geschichten können die baltischen Länder besonders gut. Den Beweis liefert „Tales of the Paradox„. Zudem ist es das wohl am einfachsten zugängliche Programm in diesem Fokus.
In „Triuksmadarys“ („The Noisemaker„, Karolis Kaupinis, Litauen, 2014) versucht ein Schuldirektor die Statistik der Anzahl seiner Schüler in die Höhe zu treiben, um eine neue Schulglocke finanziert zu bekommen. Die Umbauten, die er dafür in den Klassenräumen vornimmt und seine wenig vorhandene Stressresistenz machen den Film zur amüsanten, kurzweiligen Unterhaltung: viele tolle Bildideen und angenehm schusselige Charaktere.
Bitterböse kommt „Tupsu“ („Pussy„, Triin Ruumet, Estland, 2011) daher. Zwei Auftragskiller unterliegen einer Pechsträhne. Liebevoll spartanisches Interieur und eisige, karge Landschaften liefern die perfekte fröstelnde Grundstimmung für diese rabenschwarze Komödie.
Was zum Teufel geschieht hier grade? In dem Animationsfilm „Must stsenaarium“ („Worst-Case Scenario„, Kristjan Holm, Estland, 2014) trifft eine Merkwürdigkeit auf die nächste. Da gib es einen Freizeitpark, der geschlossen bleiben muss und zwei Geschäftsmänner, die streiten. Und Telefone, jede Menge klingelnder Telefone. Am Ende ergibt alles einen Sinn, irgendwie, hoffentlich.

André Kirchner

Das Programm „Focus On: Baltic States“ war beim 31. Internationales Kurzfilmfestival Berlin interfilm zu sehen.

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