BFF On The Road: Nordische Filmtage Lübeck 2015
Der letzte Tag: Schatzheberstimmung – Preise und Entdeckungen
Das Festival war fast vorbei, da donnerte es nochmal so richtig im Kinosaal, künstlerisch versteht sich. Jonas Selberg Augustsens Debüt „Sophelikoptern“ („The Garbage Helikopter„) erwischt den Zuschauer erst leise und langsam, dann aber mit voller Wucht. Ausgerechnet der letzte Film auf meiner Screeningliste sollte sich als das brillanteste Werk im Programm entpuppen. Augustsens Film ist die schwedische Version von Jim Jarmuschs „Stranger than Paradise“, ein „Tribut to Jarmusch“, wie er selber im Anschluss an den Film sagt. In pittoreskes Roadmovie mit Knalleffekt.
Nur wenige Wochen nach dem Schwertangriff von Trollhättan, dem fremdenfeindliche Motive zugrunde liegen sollen, zeigt Lübeck diesen Film über das stille Vergessen nach nahezu 80 Jahren. An den Anfang setzt Augustsen ein Zitat des schwedischen Dichters Gunnar Ekelof: „In der Stille der Nacht fliegt einzig der Müllhubschrauber von Tor zu Tor. Gesteuert wird er von einem anarchischen Poeten aus der Zukunft, lebenslang dazu verurteilt, den Schlick der Fantasie zu sammeln.“ (aus: „Till de folkhemske„). Die Bedeutung seiner Worte klären sich erst zum Ende des Filmes. Surreal wie die Worte des Dichters startet der Filmemacher seine Reise durch das weite Land Schweden. Ein Hubschauber wirft über einem Landeplatz in einem Waldgebiet einen großen und schweren Container ab. Elche fliehen vor dem Lärm und der offenbaren Bedrohung über den Landeplatz und bringen sich im Dickicht in Sicherheit. In einer Wohnung telefoniert eine alte Roma-Dame mit ihren Enkeln und bittet sie, ihr ihre alte Standuhr nach Hause zu bringen. Es sind Enesa, Saska und Barki, zwei Jungen und ein Mädchen, die sich 1030 km weit auf den Weg zu ihr machen, um ihr endlich die seit über einem Jahr in Reparatur gegebene Uhr wieder zurückzubringen. Die Uhr ist noch immer nicht repariert, weil die Uhrenmacher seit einem Jahr auf die Ersatzteile aus Deutschland warten. Doch die Enkel packen die Uhr trotzdem ins Auto und fahren los. Die Kamera filmt ihre Fahrt – bis auf zwei Sequenzen in Museen – immer aus festen Einstellungen und nur in Totalen. Die dadurch produzierte Distanz zum Zuschauer ist resolute Absicht und lädt selbigen ausdrücklich ein, sich ganz im kunsthistorischen Sinne, die Bilder zu betrachten und den Menschen auf der Leinwand, bei dem was sie sagen, tun oder umtreibt, zuzusehen, Zeichen zu hinterfragen oder zu deuten. Fast in einer Art Brueghelscher Manier. Nur sind die Bilder bei Augustsen eben eher comichaft oder gleichen einem Fotobuch.
Der Film ist ein Juwel, der den Zuschauer mitnimmt auf eine Reise, auf der er über eine Menge Absurditäten lacht und stolpert und stolpern soll. Kein Bild ist hier zufällig gewählt, sondern streng durchkomponiert, selbst Nummern folgen Bedeutungen der Zahlenmystik, eine Kuh wird sinnbildlich durchs Dorf gejagt, das Meer gibt kein Echo und die Denkmäler von heute sind in Überdimension absurdesten und sinnentleerten Gegenständen gewidmet. Der Zuschauer ist über diese skurrilen Begegnungen lange sehr amüsiert, wirkt es doch alles leicht und in seinem Witz zunächst sehr kurios und eigenwillig grotesk. Doch der Hammer kommt und alle Anspielungen fügen sich plötzlich zu einem großen Ganzen.
Die Bildkomposition von „The Garbage Helicopter“ entspricht dicht aneinandergereihten, poetisch formulierten Rätseln, die auch im Film selbst immer wieder thematisiert werden. Ständig begegnen dem Zuschauer und den Protagonisten im Film Rätselfragen. Auch Kreuzworträtsel werden im Film fortlaufend gelöst. Es ist der Wink des Regisseurs mit dem Zaunpfahl, dass es hier noch mehr zu entschlüsseln gilt. Unzählige Hinweise und Anspielungen verstecken sich in jeder Sequenz, sind Kommentare und stehen damit ganz in der Tradition kunsthistorischer Werke, die unsere Museen füllen und mit reicher Symbolik von ihren Zeiten reden. Nicht selten verlangen sie ein umfangreiches Vorwissen vom Betrachter, um sie in ihrer Komplexität erfassen und interpretieren zu können. Schlimm ist es allerdings, wenn ein solches Werk, das mit klaren Hinweisen auf unsere junge Epoche und Gegenwart anspielt, von den Zuschauern als wahre Zeugen ihre Zeit nicht mehr enträtselt werden kann.
Die passende Anspielung auf dieses Unwissen kommt vom Schweden selbst: Die Museen als Halter des kulturellen Gedächtnisses beherbergen in seinem Film nur noch leere Bilder. Nur Rahmen füllen die ehemaligen Wissensräume. Es ist wie mit der Poesie, die Selberg als Leitmotiv und Basis seines Filmes wählt, sie spielt kaum noch eine Bedeutung. Und kaum einer macht sich noch die Mühe, in Verse verfasste Sprachbilder zu entziffern. Texte werden sogar vereinfacht, um überhaupt noch eine Leserschaft zu finden und die Botschaften von einst am Leben zu halten.
Und so wundert es am Ende nicht, dass nicht wenige Zuschauer in der Groteske stecken bleiben, sogar enttäuscht sein wollen über den für sie unverständlichen Film. Es sind jene, die wie viele andere in diesen Tagen, im Kino die Zerstreuung oder zumindest die unterhaltende Bildung im Kino suchten und sich mit Freunden zum vergnüglichen Abend trafen, um in lauschiger Wohnzimmeratmosphäre laut kommentierend, mal mehr mal weniger angetrunken bei Wein und Nachos einen Film zu sehen. Es bleibt zu wünschen, dass dieser Film einen mutigen Verleiher findet, der den Film auch in die deutschen Kinos bringt, denn dieses Gesamtkunstwerk hat das Potenzial zu einem Meilenstein in der Filmgeschichte zu werden.