BFF On The Road: Nordische Filmtage Lübeck 2015


Präsident Robert Mugabe. ©Henrik Bohn Ipsen

Präsident Robert Mugabe. ©Henrik Bohn Ipsen

Tag 2: The Great Pretenders

„Demokratie in Afrika ist schwierig. Die Opposition will immer viel mehr als sie eigentlich verdient.“ Präsident Mugabe reagiert 2008 mit dieser Aussage auf die starken demokratischen Bestrebungen der Oppositionsparteien, die eine neue Verfassung unter Beteiligung der gesamten Bevölkerung zustande bringen möchte. Der gesamte Saal lacht hysterisch. Doch Mugabe meint es bitterernst. Das Lachen ist hier Teil des politischen Spiels. „We are a nation of great pretenders cowed by the system. And that´s effective.“, heißt es an einer Stelle im Film sehr deutlich.

Regisseurin Camilla Nielsson. ©Upfront Films

Regisseurin Camilla Nielsson. ©Upfront Films

Am zweiten Tag sind es vorrangig die Dokumentarfilme, die ein wahres Feuer auf der Leinwand entfachen und den Zuschauer kaum glauben lassen, was er auf dem großen Schirm so nah zu sehen bekommt. Den Anfang machte Camilla Nielsson mit ihrem Film „Democrats„. Drei Jahre durfte die Regisseurin den demokratischen Prozess um die Entstehung einer neuen Verfassung im wahrsten Wortsinn hautnah begleiten. Und das, obwohl gerade die weiße Presse nicht zuletzt durch die Geschichte des Landes, einen besonders schweren Stand vor Ort hat und gerade die Dänin als Europäerin und Repräsentantin westlicher Werte für die ungeliebte Presse- und Meinungsfreiheit steht. Was sich zunächst nach drögen Verhandlungen und Paragraphenreitern anhört, könnte spannender kaum sein. Der Zuschauer wird durch die Kamera zum Zeugen zäher und chaotischer Verhandlungen, zwischen Vertretern der ZANU-PF und der MDC-T Partei. Die zwei Vorsitzenden des parlamentarischen Auswahlkomitees für die Verfassungsreform sind Paul Mangwana (ZANU-PF) und Douglas Mwonzora (MDC). Sie sollen das öffentlich organisierte Referendum abhalten und Unterkomitees mit Unterstützern gründen, die die Verhandlungen beobachten und kontrollieren. Beide sind Gegner und doch aneinander gebunden, um die verantwortungsvolle Aufgabe zum Erfolg zu führen. Jeder hat viel zu verlieren und steht unter enormen Druck, denn alle Seiten wollen die jeweils eigene gestärkter aus dem Prozess hervorgehen sehen. Auch der Geheimdienst nutzt alle Mittel, um die demokratischen Bestrebungen so stark wie möglich einzuschränken. Es kommt zu massiven Einschüchterungsversuchen der Menschen vor den einzelnen öffentlichen Referenden. Bis die Unruhen immer brutaler und lauter werden, denn die Bevölkerung weiß genau um die Bedeutung einer freien Verfassung und kämpft darum. Es ist der Kampf David gegen Goliath und Mangwana und Mwonzora müssen ihn austragen. Da heißt es ein guter Schauspieler zu sein, denn auch die beiden Vorsitzenden des Referendums werden von Haft und Tod bedroht. Sie spielen ihr Spiel gut. Der eine mit harlekinesker Bauernschläue, der andere mit subtilem Taktieren. Was Camilla Nielsson mit ihrem Beobachterteam leistet, ist mit Worten kaum zu fassen. Ihre Kamera ist stiller Zeuge in allen Momenten, selbst denen des groben, menschlichen Unrechts, in denen auch der Tod nicht auszuschließen scheint und die Angst in die ums Überleben ringenden Gesichter geschrieben steht. Doch sie darf bleiben und dokumentieren. Der Zuschauer schaut dabei fassungslos auf den Bildschirm, irritiert darüber, wie es sein kann, dass eben jenes Unrecht nicht nur gefilmt, sondern später auch gezeigt werden durfte. Nielsson hat nur eine Erklärung dafür, die Kamera gab ihnen Schutz. Ohne sie hätten einige das Referendum und die Entstehung einer neuen Verfassung wohl nicht überlebt. Dessen waren sich auch Mangwana und Mwonzora sicher und ließen sich tief in die Karten blicken. Ein absolut einmaliges Dokument.

Martin Gerners "Die kleinste Armee der Welt" deckt interessante Paralellen zwischen Bayern und Afghanistan auf. ©Martin Gerner Film

Martin Gerners „Die kleinste Armee der Welt“ deckt interessante Paralellen zwischen Bayern und Afghanistan auf. ©Martin Gerner Film

In „Die kleinste Armee der Welt“ beobachtet und begleitet Filmemacher Martin Gerner mit seiner Kamera dagegen Marcus und Hamon, zwei in Bayern aktive Performancekünstler, die im öffentlichen Raum vorgeben „Bavarian Taliban“ zu sein. Mit Turban und Kalaschnikow ziehen sie über die Alpen, veranstalten Heimatabende und versuchen die Alpenregion zu befrieden. Ihr Anliegen: die Wahrnehmung der selbstzufriedenen und kulturblinden Bevölkerung zu stören und ihre Heuchelei in Bezug auf Eigen- und Fremdwahrnehmung zu entlarven. Den so weit entfernt voneinander sind sich die beiden Bergvölker doch gar nicht. Rituell und traditionell gleichermaßen durch Trachten, ihren Glauben und ihren Patriotismus geprägt. Ob im Schützenverein oder in direkten kriegerischen Auseinandersetzungen die Waffe zum Einsatz kommt, das ist doch nun wirklich Haarspalterei. Mit beißender Ironie treten sie an gegen Fremdenhass und alltäglichen Rassismus und erinnern mit ihrem schwarzem Humor und ihrer wunderbar politisch inkorrekten Selbstinszenierung an Legenden wie Monty Python oder The Yes Men.
Filmemacher, Fotograf, Journalist und Autor Martin Gerner, der mit seinem Debüt „Generation Kunduz“ vielfach preisgekrönt wurde, und seit 2004 aus Afghanistan berichtet, begleitet Omar Müller und dessen Freund bei ihren Aktionen, hält aber hauptsächlich nur deren Vorbereitungen und Ideensammlungen oder das making of von kleinen Viral-Videos mit seiner Kamera fest. Dadurch geht dem Zuschauer allerdings die eigene Erfahrung und Begegnung mit dem Störfaktor „Bavarian Taliban“ verloren und der Film entwickelt leider nicht die Wucht, die er vielleicht aber hätte haben können. Stattdessen bleibt er eher kurzweilig und verblasst recht schnell, trotz seiner klugen Protagonisten, die sich im Übrigen gerade wieder zurückgemeldet haben, um sich den aktuellen Ereignissen zu stellen und nun mitzuhelfen, die Grenzen zu sichern.
Am Ende des Tages aber bleibt der Gedanke, dass sich, wenn auch nur in zähen, kleinen Schritten, so doch konstant etwas bewegt.

SuT

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