„Ich denke, dass ein Dokumentarfilm schwere Arbeit sein muss für uns als Filmemacher.“ – Chris Wright, Regisseur von ANMASSUNG


Ihr entscheidet euch, erst zum Schluss die Gerichtsakten offen zu legen, die sein Verhalten und die Straftat beschreiben. Bis dahin konnte man durchaus Sympathie für ihn empfinden, danach wird es schwierig. War das von Anfang an so geplant?
CW: Das Leben und der Film hängen sehr nahe bei einander. Wir haben das Urteil selbst relativ spät bekommen und gelesen. Eigentlich wollten wir die ganze Wahrheit nicht wissen, weil es schwer zu verarbeiten und zu verkraften war. Man kann sich einfach nicht vorstellen, dass er jemanden umgebracht hat, wenn man in einem Raum mit ihm ist. Das ist schwer auszuhalten. Doch genau diesen Prozess sollte der Film widerspiegeln. Mann sollte im Laufe des Films unterschiedlich auf diese Figur schauen.

SK: Wenn ich mit Stefan S. Zeit verbracht habe, in Berlin zum Beispiel, war der Mord war völlig für mich völlig abwesend. Irgendwann war alles banal. Stefan hatte sich für mich als Begegnung erschöpft, es ergaben sich keine richtigen Gespräche. Mir fällt es trotz der Zeilen aus den Gerichtsakten extrem schwer, zu glauben, dass er jemanden umgebracht hat.

Habt ihr Stefan S. direkt mit diesen Zeilen konfrontiert? Wie war seine Reaktion?
CW: Wir haben ihn nicht konfrontiert, weil wir am Anfang noch zu schamvoll waren. Zudem sagt der Therapeut, dass die Männer nicht gezwungen werden sollen, die Wahrheit zu erzählen. Ihre Taten zuzugeben, sei nicht das Ziel der Therapie. Vielmehr ist das Ziel der Therapie, zu beurteilen, ob von diesen Menschen noch Gefahr ausgeht und ob sie rückfällig werden könnten.

Ist es eine Geschichte, die euch immer noch beschäftigt? Spielt vielleicht auch ein wenig Unsicherheit mit, wie sich Stefan S. weiter zu euch positionieren wird?
SK: Die Geschichte wird nie abgeschlossen sein. Genauso geht es uns mit allen unseren Protagonisten. Das ist genau das Dilemma und eigentlicher Ausgangspunkt des Films.

CW: Eine wichtige offene Frage bleibt: Wie wird er auf den Film reagieren? Noch haben wir ihn ihm nicht gezeigt. Ein Termin stand schon, dann hat Stefan S. ihn abgesagt. Seine Reaktion ist wichtig, weil wir eine Vorstellung von ihm haben, mit der er konfrontiert werden wird und wir dadurch in ihm etwas auslösen könnten.

Habt ihr durch das Projekt eine andere Meinung zum Thema Gefängnis und Strafvollzug bekommen?
SK: Ich wurde mit Prozentrechnungen konfrontiert, die Rückfälligkeit eines Straftäters benennen. Ich hatte die Vorstellung, dass man zu 100% sicher sein müsse, dass eine Person nach der Freilassung nicht erneut ein Verbrechen begehe. Doch 30% gelten als großer Erfolg. 50% wären es, wenn die Menschen keine Therapie erhielten.

CW: Mich hat beeindruckt, dass man zugibt, dass man schlichtweg nicht wisse, ob diese Männer nicht nochmal straffällig werden könnten. Es geht aber darum, dass wir das als Gesellschaft versuchen müssen. Wir müssen damit leben, dass eine Therapie und Wiederintegrierung auch schief gehen können und dies eventuell mit konkreten menschlichen Opfern verbunden sein kann.

Sehr interessant ist die Kostenaufstellung des Mordes. Sollte man meinen, dass Stefan S. günstig davon gekommen ist oder eher nicht?
SK: In der Konfrontation mit einer solchen Sache gibt es keinen Halt. Was ist richtig und falsch, welches Maß muss angewandt werden, um den Mord auszugleichen, aufzuwiegen? Wir wollen eine Relativierung, ein Aufwiegen des einen mit dem anderen. Doch es sind alles Kategorien, die wir nicht miteinander ins Verhältnis setzen können. Es geht um eine Verrechnung der Gesellschaft, die im Grunde sehr banal ist und nicht wirklich hilfreich. In diesen Momenten war ich ihm am nächsten, wenn er selber darüber reflektiert, wenn er hilflos vor den Tatsachen stand.

CW: Diese Rechnung passt zu Stefan S. Denkart. Er ist sehr knausrig. Er hatte für sein Traumhaus gespart, das war sein Lebensziel. Und nun hat ihn der Mord genau das Geld gekostet, das er für das Traumhaus verwenden wollte. Es ist haarsträubend, wenn man darüber nachdenkt.

Ihr verwendet sowohl eine statische Kamera als auch eine Handkamera. Wie habt ihr das ästhetische Konzept definiert? War das von Anfang an klar oder hat es sich schrittweise ergeben?
CW: Es hat sich sehr schnell ergeben. Es war uns wichtig zu zeigen, wie unsere Beziehung zu ihm in jedem Moment ist. Da wir sein Gesicht nicht zeigen konnten, musste man die Beziehung zu ihm und ein Bild von ihm über diese Interaktionen zwischen uns vermitteln. Die Frage war: Wie finden wir zur Darstellung von Stefan?

Die Fragen stellte Teresa Vena.

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