SXSW 2021: Vom 16. bis 20. März fand das South by South West online statt
Eine der wenigen europäischen Produktionen im Programm des Festivals ist FUCKING WITH NOBODY der Finnin Hannaleena Hauru. Den Titel des Films, der mit einem sogenannten Mikrobudget von 15’000 Euro realisiert wurde, lässt sich im wörtlichen wie übertragenen Sinne verstehen. Wörtlich, weil es darin nicht primär um den sexuellen Akt an sich geht, sondern um die Vorurteile, die gesellschaftlichen Vorstellungen, die damit und der Geschlechterrollen verbunden sind. Im übertragenen Sinne muss der Titel ironisch aufgefasst werden. Hauru mokiert sich über jeden und über sich selbst am meisten. Schicht um Schicht tragen die Autoren und gleichzeitig Protagonisten zusammen und stossen den Zuschauer immer wieder aufs neue vor den Kopf. Im Film geht es um die Dreharbeiten eines gemeinsamen Filmprojekts von Hanna und Lasse, die sich getrennt haben, aber trotzdem an dieses „feministische“ Experiment zusammen durchführen wollen. Indem Hanna sich als Liebespaar mit einem ihrer schwulen Freunde inszeniert und über die sozialen Medien die perfekte Beziehung inszeniert, wollen sie die veralteten Idealvorstellungen einer heterosexuellen Beziehung blossstellen und die Menschen um sich herum vorführen. Doch es wird schnell kompliziert, keiner ist mehr über die Rolle zufrieden, die er spielen soll und sowieso ist unklar, wer wo wann wie überhaupt existiert.
Ebenfalls von einem Finnen, mit gleichzeitig US-amerikanischem Einflüssen, stammt einer der seit Jahren originellsten Horrorfilmthemen. Alex Noyer gelingt mit SOUND OF VIOLENCE einen eindrücklichen Splatter-Film mit einer tiefgründigen Idee. Um sich zu retten, erschlägt Alexis als Kind ihren Vater mit einem Hammer. Dieser Gewaltakt erweist sich für das Mädchen, das damals ihr Gehör verloren hatte, als Offenbarung. Verbunden mit einem Lichterfeuerwerk provozieren diese Geräusche der Gewalt und des Schmerzes eine Art Ekstase, die sie als erwachsene Frau besessen versucht, nachzubilden. Sie kann in der Zwischenzeit wieder hören und ist Audiokünstlerin. Für die Erschaffung des absoluten Kunstwerks braucht sie den Klang des Schmerzes, da zu ihrer Enttäuschung sich keiner weit genug wagen will für sie, muss sie selbst Hand anlegen. Spannend, überzeugend gespielt und eben mit einer interessanten Idee zum Kunstverständnis als aufopfernden, zerstörerischen und opportunistischen Akt ist SOUND OF VIOLENCE ein überaus bemerkenswertes Werk.
Ebenfalls aus der Sektion „Midnighters“ stammt OFFSEASON von Mickey Keating. Hier ist es weniger die Handlung, die beeindruckt, als die erzeugte Atmosphäre. Eine junge Frau reist mit ihrem Mann oder Bruder, auf eine Insel, die nur über eine aufziehbare Brücke erreichbar ist. Sie hat einen Brief bekommen, in dem man ihr mitteilt, dass das Grab ihrer Mutter vandalisiert wurde und sie deswegen sofort kommen soll. Doch gleich bei der Ankunft fühlt sich etwas merkwürdig an, und die Menschen, wie auch die Natur scheint die beiden nicht mehr gehen lassen zu wollen. Die Legende besagt, dass die Insel in den Fängen eines Dämons steckt – der sein Tribut an den Einwohnern fordert, sobald die Touristensaison vorbei ist. Der Film wartet mit einzelnen spektakulären Szenen auf und vor allem einem außergewöhnlichen Schauplatz.
Einige der besprochenen Werke sehen Frauen im Vordergrund der Handlung. Das härteste Los kommt der Figur von Molly Johnson zu, die im Australien des 19. Jahrhunderts gegen Rassismus und Gewalt gegen Frauen ankämpfen muss. Leah Purcell beschäftigt sich seit einigen Jahren mit dem Stoff des Films, der ursprünglich als Roman vorliegt. Nach einem Theaterstück und einer eigenen literarischen Fassung, drehte sie nun THE DROVER’S WIFE: THE LEGEND OF MOLLY JOHNSON und spielt darin die Hauptrolle. Auch wenn es dem Film etwas an Zug fehlt, behandelt er einen Stoff, der so noch selten Einzug auf die Leinwand gefunden hat. Eingeborene und Frauen hatten (haben?) unter der Herrschaft der Kolonialherren nichts zu sagen, ihnen wurden keine Rechte zugesprochen, im Gegenteil galten sie unter Umständen als freies Wild, mit dem man tun und lassen konnte, was man wollte. Molly ist beides gleichzeitig und wagt es, sich gegen die gewalttätigen Übergriffe ebenso brutal zu wehren – sie landet am Galgen.
Charmanter Vertreter des Fach des Horrorkomödie ist der englische Film PAUL DOOD’S DEADLY LUNCH BREAK. Hier verarbeitet Nick Gillespie erzählerische Element, die man bereits kennt, schafft es aber einen trotzdem zu unterhalten. Sein Protagonist Paul Dood ist ein ewiges Muttersöhnchen mit dem großen Traum berühmter Sänger und Tänzer zu werden. Seine Mutter, bei der er lebt, glaubt an ihn und näht seine glitzernden Kostüme. Am Tag des Vorsprechens für eine Talentshow, von der sich die beiden den erwünschten Durchbruch erhoffen, pflastern ein Hindernis nach dem anderen ihren Weg, so dass Paul zu spät kommt – und seine Mutter erleidet einen Herzinfarkt, weil sie ihre Medikamente nicht rechtzeitig bekommt. Für die Zeit einer Mittagspause nimmt sich Paul deswegen vor, an allen Rache zu üben, die für den misslungenen Tag verantwortlich sind. Wie in seiner Vorstellung wird es nicht, doch die Live-Videos, die Paul von seinen Begegnungen hochlädt, gehen durch die Decke – und bescheren ihm doch noch Erfolg, aber anders als erwartet.
Das SXSW hat mich begeistert und auf jeden Fall Lust darauf gemacht, es so bald möglich, einmal in Echt besuchen zu wollen. Ob die Texaner so gut drauf sind, wie die Filme, die am Festival gezeigt werden? Das klingt nach einer angenehmen Aufgabe, dies vor Ort überprüfen zu können.
Teresa Vena
SXSW fand vom 16. bis 20. März 2021 online statt.