SXSW 2021: Vom 16. bis 20. März fand das South by South West online statt
Auch Bradley Grant Smith beschäftigt sich in seiner Familien-Drama-Komödie OUR FATHER mit konservativen Wertevorstellungen, Freundschaft und den fragilen Lebensentwürfen seiner Protagonisten. Die beiden Schwestern Beta und Zelda sind das Produkt einer außerehelichen Affäre ihres Vaters. Die Beziehung zwischen ihm und ihrer Mutter war nur von kurzer Dauer, der Vater kehrte dann zurück zu seiner ersten Frau, mit der er bereits drei, zum Teil dämliche, Söhne gezeugt hatte. Der Kontakt zu diesem Zweig der Familie ist auf ein Minimum reduziert, bis sich der Vater selbst das Leben nimmt und die Erbangelegenheiten besprochen werden sollen. Dabei erfahren die beiden Frauen von einem verschollenen Onkel und setzen sich in den Kopf, diesen zu suchen. So richtig bei der Sache sind sie beide nicht, Beta reist in wenigen Tagen nach Connecticut, um in Yale zu studieren, Zelda leidet an Panikattacken, die sie nur in den Griff bekommt, wenn sie sich mit einem Messer an Arme oder Beine Schnitte zufügt. Während zu Beginn Zelda als die bemitleidenswerte der beiden erscheint, wird im Laufe des Films immer klarer, dass eigentlich Beta, die ist, die verloren ist. Sie hat keine Bezugspersonen, von ihrem Freund hat sie sich getrennt, ihre Mutter reist durch die Welt, ihr neu gefundener Onkel lehnt jeden weiteren Kontakt ab. Auch wenn OUR FATHER etwas fahrig wirkt, weil die treibende Handlung nur Vorwand ist für die Beschreibung der Figuren, punktet der Film durch eine herausragende Leistung nicht nur der Hauptdarstellerinnen, sondern auch der Nebenrollen. Was ein rührseliges Melodrama hätte werden können, lockert der US-amerikanische Regisseur durch schlagfertige Dialoge und Szenen absurden Humors auf.
Darüber dass Corona in die Geschichten für die große Leinwand Einzug halten würde, konnte man sich sicher sein. Dass es dabei zu kleinen filmischen Meisterwerken führen sollte, war längst nicht klar. Einige weniger gelungene Beispiele, in denen das Thema – opportunistisches – Nebenprodukt wirkt, konnte man bereits während des ersten Teiles der Berlinale sehen, wie das beim Gewinner BAD LUCK BANGING OR LOONY PORN von Radu Jude oder LANGUAGE LESSONS von Natalie Morales (auch beim SXSW zu sehen) der Fall war. Humorvoll und geistreich verorten Steven Kanter und Henry Loevner ihre Liebeskomödie THE END OF US ins letzte Jahr. Ein paar Tage nachdem die USA den ersten Lockdown wegen Corona anordnet, trennt sich Leah von ihrem Freund Nick. Weil er nirgends anders unterkommen kann, müssen sie zusammen wohnen bleiben. So gut es geht, versuchen sie, sich in der kleinen Wohnung räumlich zu trennen. Während Nick ein wenig erfolgreicher Schauspieler die beruflich Zwangspause durchaus zu schätzen weiß, sich um seine Pflanzen kümmert und den Scheck von Trump in die Anmeldegebühr für ein Studium der Rechtswissenschaften einsetzt, wird Leah depressiv und paranoid. Sie verliert ihre Stelle in einem Reiseunternehmen und kann sich nur mühsam mit der Situation abfinden. Nick hilft ihr zu mehr Gelassenheit und die beiden kommen sich so nahe, wie schon lange nicht mehr. Gleichzeitig bahnt sich eine Affäre mit ihrem ehemaligen, etwas selbstgerechten und pseudo-intellektuellen Arbeitskollegen an. Der Film thematisiert die Unsicherheit und Ambiguität mit dem Umgang mit Corona, zeigt aber auch, wie diese gleichen Gefühle in unterschiedlichen Lebenslagen immer wieder aufflammen können. Der Film zeigt auch, dass eine Krise zwar im ersten Moment destabilisieren kann, doch subjektive Probleme recht schnell wieder die Oberhand nehmen.
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Das angekündigte kleine Meisterwerk kam in Form der Komödie RECOVERY des Autorenduos Mallory Everton und Stephen Meek. Roadmovie und Charakterkomödie mit präzisen, schlagfertigen Dialogen erzählt der Film eine einfache, aber dadurch umso wirkungsvolle Geschichte. Wieder ist etwa eine Woche zuvor der erste Lockdown in den USA ausgerufen worden. Zwei Schwestern und Mitbewohnerinnen waschen jede Kleidung, die sie außer Haus gekauft haben, desinfizieren die Ware aus dem Supermarkt und verlassen das Haus nur in Notfällen. Sie sind grundsätzlich guter Dinge, doch dann ruft die Altersresidenz ihrer Großmutter an und meldet, dass in der Einrichtung mehrer Corona-Fälle zu verzeichnen sind. Sie raten die beiden, die Großmutter abzuholen, damit sie sicher ist. Das wollen sie gerne tun, doch wohnen sie in Albuquerque, viele Kilometer von Washington entfernt, wo sich die Großmutter gerade befindet. Ihr dritte Schwester Jane, die nebenan lebt, soll daher aktiv werden. Doch diese ist mit der ganzen Familie auf einer Kreuzfahrt. Denn das Angebot war besonders günstig. An Bord gäbe es zwar ein paar Menschen, die husten würden, doch wer weiß schon, was das genau sei. Auf jeden Fall müssen Jamie und Blake die Großmutter selber holen, auch um sie vor ihrer verantwortungslosen Schwester fernzuhalten. Auf der Reise im Wagen reden sie über Jamies Schwarm und begegnen einigen skurrilen Gestalten. Everton, die eine der beiden Hauptrollen spielt, und Meek beweisen einen frischen Sinn für Humor und für Rhythmus. Sie haben zwei sympathische Charaktere geschaffen, die auch ihre Kanten haben und nehmen sich schlichtweg selbst nicht zu ernst, was ihnen offenbar die Freiheit für Wagnisse und eine mitreißende Lockerheit ermöglicht hat. Einer der Geniestreiche offenbart sich im Film während der vielen Telefongespräche, die die beiden Frauen führen. Unvergesslich bleibt der Anruf zwischen Blake und der Mutter eines ihrer Schüler. Blake sucht für ihre Mäuse eine vorläufige Pflege während ihrer Abwesenheit. Während die Mutter wenig begeistert ist, ist der Junge umso aufgeregter – dass es dann zu Mäusegeburten kommt, abgetrennten Mäuseköpfen und ruinierte Kleidung, konnte keiner vorher ahnen.