16. British Shorts Festival 2023 in Berlin
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Lebenswege und Perspektiven
Mit seiner mittlerweile 16. Ausgabe hat das British Shorts Film Festival seine Pubertät sicherlich längst hinter sich gelassen. Auch in diesem Jahr bietet das Publikumsfestival vom 19. bis 25. Januar wieder ein abwechslungsreiches Programm mit mehr als 150 britischen und irischen Kurzfilmen. Im Sputnik Kino, City Kino Wedding, ACUD Kino und erstmals auch im traditionsreichen Kino Intimes treffen BAFTA-nominierte Filmemacher*innen und Festivalgewinner*innen auf Filmstudierende und bislang noch unbekannte Talente.
Sämtliche Filmgenres sind vertreten. Das schottische Coming of Age-Drama GROOM von Leyla Coll-O’Reilly offenbart die problematische Suche nach eigenen Lebensperspektiven in der Jugend. Nachdem die pubertierende Hannah von der Schule geflogen ist, wird sie von ihrer Mutter erwartungsvoll zum Probearbeiten in einen kitschigen Schönheitssalon geschickt. Dort muss sie sich für einen Tag zwischen feixenden Kundinnen, konkurrierenden Kolleginnen und der dominanten Chefin behaupten. Allerdings interessiert sich niemand dafür, welche eigenen Vorstellungen sie eigentlich hat. Der Teenager Tobi in Ade Femzos Komödie DROP OUT scheint hingegen klar zu wissen, wo seine Zukunft liegt. Er wohnt in einem tristen Londoner Council Estate und will die Uni schmeißen, um eine aufstrebende Rapkarriere zu verfolgen und auf Tour zu gehen. Dabei hat er jedoch nicht bedacht, dass er dazu erst noch seine Mutter von diesen Plänen überzeugen muss.
Auch der Musiker Oliver Sim (The xx) hat mit seinem Soloalbum „Hideous Bastard“ tiefe Einblicke in den Prozess des Erwachsenwerdens eröffnet. In dem dazugehörigen Musikfilm HIDEOUS unter der Regie von Yann Gonzalez verwandelt der 33-Jährige, der seit seinem 17. Lebensjahr HIV-positiv ist, sich während eines Fernsehauftritts plötzlich in ein grünes Halloween-Monster. Das schrille Horror-Musical greift dabei Motive seiner Songs über Selbstzweifel und die Akzeptanz der eigenen körperlichen und emotionalen Identität auf.
Gleich zwei Filme im Festivalprogramm setzen sich mit dem Vermächtnis des Filmemachers Derek Jarman auseinander, der mit seinem Schaffen zu einer der bekanntesten Ikonen der britischen Queer-Bewegung geworden ist. Der im Super 8-Format gedrehte Dokumentarfilm A PORTRAIT von Carlotta Beck Peccoz folgt dessen ehemaligem Weggefährten und Kameramann Christopher Hughes (THE GARDEN) auf einer Reise zu Jarmans beschaulicher Prospect Cottage an der Küste von Kent. In der fiktiven Hommage THE BOWER von Marco Alessi (SAINTMAKING aus dem British Shorts-Programm 2022) nimmt die Floristin Terri ihren Mitarbeiter Jude nach seiner HIV-Diagnose auf einen Ausflug zu jener Fischerhütte in Dungeness mit. Dort konnte sie 30 Jahre zuvor der Heiligsprechung Jarmans durch eine als Nonnen verkleidete schwule Performancegruppe mit dem Namen „Sisters of Perpetual Indulgence“ beiwohnen.
Das Special Showcase „Cinesisters – Female Directors Collective“ blickt auf die Geschichte des gleichnamigen Regisseurinnenkollektivs zurück, welches das British Shorts-Festival bereits über die vergangenen 15 Ausgaben begleitet hat. Mit ihrem erklärten Ziel, mehr frische Kurz- und Langfilme von und über Frauen zu machen, bietet der Programmrückblick eine spannende Auswahl von sieben Komödien, Dramen, Horror- und Animationsfilmen. Darunter NASTY, eine Liebeserklärung an die blutigen „video nasties“ der 80er Jahre von Prano Bailey-Bond (CENSOR), die 2021 Teil der Festivaljury war.
Neben den traditionellen „Midnight Movies“ mit allerlei Sonderbarem zu später Stunde lädt die Retrospektive „Stranger Shorts – An Obscure Journey through British Film History“ zu einer Reise durch die skurrilen Nischen der britischen Filmgeschichte ein. Von den 60er bis in die 80er Jahre ermutigten Förderprogramme wie die Eady-Levy-Tax und der BFI Experimental Film Fund abenteuerlustige Filmemacher*innen, subversive und provokative Kurzfilme zu drehen, die auch als Vorfilme in Kinos gezeigt wurden. Das Programm versammelt vier dieser exzentrischen Werke, darunter DREAM A40 (1965) von Lloyd Reckord, einem Pionier des Black British Cinema, sowie THE ERRAND (1980) von dem Produzenten und Drehbuchautor David McGillivray, der anwesend ist und seinen Film persönlich vorstellen wird.
Abgerundet wird das bunte Wochenprogramm mit der Verleihung der Jury- und Publikumspreise, Konzerten, einer Fotoausstellung und einem 48 Stunden-Filmworkshop zum Thema „Dreaming the City“.
Henning Koch
Das 16. Kurzfilmfestival British Shorts findet vom 19. bis 25. Januar 2023 im Sputnik Kino, ACUD Kino, City Kino Wedding und Kino Intimes statt. Auf der Festival-Homepage findet ihr das komplette Programm und weitere Informationen zu den Filmen.