74. Berlinale: Programmtipps der Redaktion


Nun startet sie also, die letzte Berlinale unter der Leitung von Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek, bevor Tricia Tuttle als Intendantin das Ruder übernimmt – nicht nur mit Lupita Nyong’o als Jurychefin, Isabelle Huppert und Martin Scorsese als Ehrenbär-Gewinner an Bord, sondern auch mit einer Reihe diskursiver Fallstricke im Schlepptau. Man müsste man meinen, das Führungsduo wäre inzwischen (nach Corona, während der #strikeGermany-Boykottaufrufe) krisenversiert, aber der selbst verschuldete AfD-Einladungs-Shitstorm hat sogar bis in den internationalen Raum hinein interessante Programmveröffentlichungen überschattet. Vielleicht sind es auch übertrieben hohe Maßstäbe, die man an diese Berlinale immer heranträgt – aber es ist nun mal das Pfund, mit dem das Festival auch selbst am stärksten wirbt: die politische Haltung und Integrität.

Wer sich jenseits der Debatten auf die Filmbeiträge fokussiert, wird allerdings Vieles entdecken, das seinerseits Gespräche anstoßen möchte. Neben avantgardistischem Experimentkino – und sehr vielen Filmen mit Unterhaltungsanspruch. Insgesamt zeigt das Festival 239 Filme aus 80 Ländern in Wettbewerb, Encounters, Panorama, Forum, Berlinale Special, Berlinale Shorts, Forum Expanded, Generation, Hommage, Retrospektive und Berlinale Classics. Neu hinzugekommene Formate und Sektionen gibt es nicht – dafür gibt es erstmals keine Perspektive Deutsches Kino und keine Berlinale Series mehr (ein paar Serien laufen im Special). Ob das die Verdichtung bedeutet, die sich so viele Kritiker*innen der Berlinale schon immer wünschen? Die Retrospektive „Das andere Kino“ scheint mindestens an einer solchen interessiert, macht aus der Not (kleines Budget) eine Tugend, und konzentriert sich auf die digitalisierten Bestände der Kinemathek. Es werden prägende und zum Teil ziemliche undergroundige deutsche Filme gezeigt.

Auch dem Glamour-Faktor, den sich die Boulevard-Medien immer so herbeiwünschen, dürfte mit den genannten Größen sowie, fingers crossed, mit Cillian Murphy, Gael García Bernal und anderen Starbesetzungen der Wettbewerbe und Sektionen hoffentlich genüge getan sein. Ein Highlight ist hier bestimmt wieder der Jury-Talk, den die Nachwuchs-Plattform Berlinale Talents ausrichtet.

Der Ticketverkauf und damit zusammenhängende Run auf die begehrten Berlinale-Tickets beginnt am Montag, den 12. Februar, wie gehabt um 10 Uhr. Wir haben aus allen Sektionen ein paar Empfehlungen zusammen gestellt.

Marie Ketzscher

WETTBEWERB

DAHOMEY

DAHOMEY © Les Films du Bal - Fanta Sy
DAHOMEY © Les Films du Bal – Fanta Sy

Darum geht es:
Als 26 Schätze aus Paris in ihr Ursprungsland, dem früheren Königreich Dahomey im heutigen Benin, zurückkehren, entbrennt dort eine Debatte, wie man zu den Objekten stehen soll. 1892 hatten französische Kolonialtruppen das Land geplündert und die Objekte, unter anderem zwei königliche Statuen und den Thron des Königreichs, zusammen mit tausenden anderen Werken geraubt. 2021 kehren sie an einen Ort zurück, der sich nach dem Ende der Kolonialzeit erst aufbauen und neu erfinden musste – unter Abwesenheit der den Vorfahren geraubten Kulturgüter. Unter den Studenten der Universität Abomey Calavi wird darüber heftig gestritten.

Was du zum Film wissen musst:
Die französisch-senegalesische Regisseurin Mati Diop stellte nach einigen Kurzfilmen 2019 in Cannes ihren ersten Langfilm ATLANTIQUE vor. Sie war damit die erste schwarze Regisseurin, die in den notorisch männlich dominierten Wettbewerb an der Croisette eingeladen wurde. Der Film, für den sie mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde, erzählte von der so genannte Flüchtlingskrise, allerdings aus afrikanischer Perspektive. Diops neuer Film wählt für DAHOMEY die dokumentarische Form, nicht ohne in der ihr eigenen Poesie Fakten und Fiktion zu einer Erzählung über die Kunstwerke zu verbinden. – TH

Termine bei der 74. Berlinale
Sonntag, 18.02., 15:45 Uhr, Berlinale Palast
Montag, 19.02., 14:00 Uhr, HKW 1 – Miriam Makeba Auditorium
Montag, 19.02., 21:30 Uhr, Verti Music Hall
Dienstag, 20.02., 09:30 Uhr, Verti Music Hall
Sonntag, 25.02., 21:30 Uhr, Berlinale Palast

L’EMPIRE

L'EMPIRE © Tessalit Productions
L’EMPIRE © Tessalit Productions

Darum geht es:
In dieser schrägen Science-Fiction-Komödie verwandelt sich ein beschauliches Fischerdorf an der Küste Nordfrankreichs zum Schlachtfeld für verdeckte außerirdische Ritter. Diese haben die Körper der menschlichen Bevölkerung besetzt und fürchten die Geburt eines dunklen Fürsten, der den geheimen Krieg zwischen guten und bösen Mächten auslösen würde. Eine junge Mutter, die gerade ins Dorf gezogen ist, widersetzt sich noch der Verschmelzung mit ihrer dämonischen außerirdischen Hälfte.

Was du zum Film wissen musst:
Bei einem Film von Bruno Dumont muss man immer mit allem rechnen. Manche seiner oft von hässlicher Gewalt und provokanten Sexszenen durchzogenen Filme wurden auf Festivals gefeiert, andere von der Kritik verdammt. Auf welche Seite sich sein fantastisches Märchen schlägt, wird sich zeigen. Langweilig wird es aber bestimmt nicht. -TH

Termine bei der 74. Berlinale
Sonntag, 18.02., 22:00 Uhr, Berlinale Palast
Montag, 19.02., 10:00 Uhr, Verti Music Hall
Montag, 19.02., 21:45 Uhr, HKW 1 – Miriam Makeba Auditorium
Mittwoch, 21.02., 21:30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele
Sonntag, 25.02., 12:30 Uhr, Verti Music Hall

A DIFFERENT MAN

A DIFFERENT MAN © Faces Off LLC
A DIFFERENT MAN © Faces Off LLC

Darum geht es:
Was eine Wunderheilung, die in dem Fall ein schönheitschirurgischer Eingriff ist, mit einem Leben anstellen kann, damit setzt sich der New Yorker Schauspieler Edward (Sebastian Stan) auseinander. Öffnet in dieser oberflächlichen Welt Attraktivität alle Türen oder bleibt jede operierte Person doch nur so schön wie es ihr Inneres zulässt. Im Widerspiel zwischen der eigenen Wahrnehmung und der der anderen, ist die wahre Wirkung ein Experiment.

Was du zum Film wissen musst:
Hinter dem Film steckt die US-amerikanische Filmproduktionsgesellschaft A24, die in den letzten zehn Jahren einen Ruf wie Donnerhall erworben hat, weil sie für mutige, interessante und auch ein wenig abwegige Werke wie die Sensationshits und nicht zuletzt Oscar-Abräumer EVERYTHING EVERYWHERE ALL AT ONCE und MOONLIGHT steht. Aber auch für Festivalhits wie MIG90s, MIDSOMMAR oder PAST LIVES, der im letzten Jahr bei der Berlinale begeisterte. Das potentiell nächste große Ding sollte man sich nicht entgehen lassen! – DD

Termine bei der 74. Berlinale:
Freitag, 16.02., 18:45 Uhr, Berlinale Palast
Samstag, 17.02., 10:00 Uhr, Cubix 9
Samstag, 17.02., 12:15 Uhr, Verti Music Hall
Samstag, 17.02., 19:15 Uhr, International
Montag, 19.02., 21:30 Uhr, Cineplex Titania

LA COCINA

LA COCINA © Juan Pablo Ramírez / Filmadora

Darum geht es:
Freitag zur Mittagszeit in einem geschäftigen New Yorker Restaurant. Aus der Kasse ist Geld verschwunden, und alle Angestellten werden befragt. Pedro, ein junger Mann aus Mexiko ohne Papiere, arbeitet in dieser Touristenfalle als Koch. Er ist in die amerikanische Kellnerin Julia verliebt, die jedoch keine feste Beziehung mit einem illegalen Immigranten eingehen will. Der Restaurantbesitzer Rashid wollte ihm eigentlich helfen. Doch als Pedro verdächtigt wird, das Geld gestohlen zu haben, und Julia ihm dramatische Neuigkeiten mitteilt, droht die Situation im Restaurant zu eskalieren.

Was du zum Film wissen musst:
LA COCINA basiert auf dem gleichnamigen Bühnenstück von Arnold Wesker aus dem Jahr 1959. Die tragikomische Auseinandersetzung mit dem offenen Geheimnis der US-amerikanischen Wirtschaft stellt die oftmals unsichtbaren Menschen in diesem System als komplexe Figuren dar. Der mexikanische Regisseur Alonso Ruizpalacios ist mit seinen Spielfilmen Stammgast bei der Berlinale. 2021 lief bereits sein von der Kritik gefeiertes Drama UNA PELÍCULA DE POLICÍAS (A COP MOVIE) im Wettbewerb um den Goldenen Bären. – HK

Termine bei der 74. Berlinale:
Freitag, 16.02., 21:45 Uhr, Berlinale Palast
Samstag, 17.02., 9:00 Uhr, Verti Music Hall
Samstag, 17.02., 15:00 Uhr, Haus der Berliner Festspiele
Samstag, 17.02., 21:00 Uhr, City Kino Wedding (Berlinale Goes Kiez)
Samstag, 17.02., 21:45 Uhr, HKW 1 – Miriam Makeba Auditorium
Sonntag, 25.02., 13:00 Uhr, Berlinale Palast

DES TEUFELS BAD

DES TEUFELS BAD © Ulrich Seidl Filmproduktion : Heimatfilm
DES TEUFELS BAD © Ulrich Seidl Filmproduktion : Heimatfilm

Darum geht es:
Im Zentrum des düsteren Psychogramms steht die tiefreligiöse und hochsensible Agnes. Im Oberösterreich des Jahres 1750 betrachtet sie mit Mitleid und sogar Sehnsucht eine hingerichtete Frau, während sie sich in der gefühlskalten Welt ihres frisch getrauten Mannes Wolf fremd fühlt. Über den harten Alltag des bäuerlichen Milieus sucht der Film nach dem Unsichtbaren und Ungehörten aus jener Zeit, er bedient sich dafür an historischen Gerichtsprotokollen, mit denen ein erschütterndes und bisher unbeleuchtetes Kapitel europäischer Geschichte zum Vorschein kommt.

Was du zum Film wissen musst:
Spätestens seit der verstörende Psychothriller ICH SEH ICH SEH 2014 in Venedig Premiere feierte ist das Duo Severin Fiala und Veronika Franz, die auch als künstlerische Mitarbeiterin und Drehbuchautorin für Ulrich Seidl arbeitet, dessen Filmproduktion für den Film verantwortlich zeichnet, unter Beobachtung der Filmwelt. Die Hauptrolle Agnes spielt Anja Franziska Plaschg, die als Soap&Skin auch als Musikerin überaus erfolgreich ist. – DD

Termine bei der 74. Berlinale:
Dienstag, 20.02., 18:30 Uhr, Berlinale Palast
Mittwoch, 21.02., 09:30 Uhr, Verti Music Hall
Mittwoch, 21.02., 22:00Uhr, Verti Music Hall
Sonntag, 25.02., 16:00 Uhr, Berlinale Palast

ENCOUNTERS

DIRECT ACTION

DIRECT ACTION © CASKFILMS
DIRECT ACTION © CASKFILMS

Darum geht es:
Ein ländliches Kollektiv aus rund 150 ZAD-Aktivist*innen (ZAD = Zone à défendre), die über Jahre in Frankreich ein Gebiet in der Nähe von Nantes erfolgreich vor der Flughafenerschließung verteidigten, es von 2012-2018 besetzten, schließlich geräumt wurden – um 2021 dann eine neue Umweltbewegung ins Leben zu rufen. So viele Themen und so ein schwieriges Terrain, um sich Protagonist*innen zu nähern. Das Filmemacher-Duo aus Ben Russell und Guillaume Cailleau versteht seinen Film (in Frederick-Wiseman-Filmlänge von 216 Minuten) dann auch nicht als nüchterne, bloße Dokumentation, sondern als teilnehmende, aktive Beobachtung, in der sie die Nähe zum Thema und den Menschen zulassen.

Was du zum Film wissen musst:
Guillaume Cailleau hat mit seinem experimentellen Kurzfilm LABORAT 2014 in der Sektion Berlinale Shorts den Goldenen Bären gewonnen; DIRECT ACTION ist sein erster Langfilm. Ben Russell arbeitet als Filmemacher und Kurator und war unter anderem bei der documenta 14 vertreten. DIRECT ACTION soll in ihren Augen vielleicht auch Wege aus der Klimakrise anbieten.

Termine bei der 74. Berlinale
Mittwoch, 21.02., 14:30 Uhr, Akademie der Künste
Donnerstag, 22.02., 19:30 Uhr, International
Freitag, 23.02., 10:30 Uhr, Cubix
Samastag, 24.02., 13:00 Uhr, Zoo Palast 2

BERLINALE SPECIAL

LOVE LIES BLEEDING

LOVE LIES BLEEDING © Anna Kooris

Darum geht es:
Jackie (Katy O’Brian) will als Bodybuilderin erfolgreich werden und ist auf dem Weg zu einem Wettbewerb in Las Vegas. Auf der Durchreise landet sie in einem Provinznest in New Mexico und lernt dort die verschlossene Fitnessstudio-Managerin Lou (Kristen Stewart) kennen. Sie verlieben sich ineinander, doch ihre Romanze konfrontiert Jackie mit Lous skrupelloser Familie und ihrem Vater Lou Sr. (Ed Harris), der als Waffenhändler im kriminellen Milieu die Fäden in der Hand hält.

Was du zum Film wissen musst:
Nach ihrem großartigen und von der Kritik hochgelobten Langfilm-Debüt SAINT MAUD feierte die britische Filmemacherin Rose Glass mit ihrem augenzwinkernden Zweitwerk LOVE LIES BLEEDING beim Sundance Film Festival Premiere. Im uramerikanischsten aller Filmgenres (dem Roadmovie) vermischt sie eine lesbische Liebesgeschichte mit düsteren Thriller-Elementen und prominenter Besetzung zu einer stilistisch markanten Abrechnung mit Amerikas Redneck-Mythen. – HK

Termine bei der 74. Berlinale:
Sonntag, 18.02., 21:00 Uhr, Verti Music Hall
Montag, 19.02., 9:15 Uhr, Haus der Berliner Festspiele
Montag, 19.02., 12:45 Uhr, Cubix 9
Sonntag, 25.02., 21:00 Uhr, Cineplex Titania

FILMSTUNDE_23 (IT: SUBJECT: FILMMAKING)

FILMSTUNDE_23 © ifproductions
FILMSTUNDE_23 © ifproductions

Darum geht es:
Es ist 1968. Die Welt ist im Wandel – und der Wind der Erneuerung weht bis in die Klassenzimmer eines Münchner Mädchengymnasiums hinein. Hier startet der junge Edgar Reitz ein Experiment: Er unterrichtet zum ersten Mal Filmästhetik und leitet die Achtklässlerinnen dazu an, ihre eigenen Super-8-Filme zu drehen. Viele Jahre später, 2023, spricht ihn eine der damaligen Schülerinnen an – und die Idee für ein Wiedersehen vor der Kamera entsteht.

Was du zum Film wissen musst:
Edgar Reitz, Mitglied der Oberhausener Gruppe, Autorenfilmer und vielfach ausgezeichnet für seine HEIMAT-Trilogie, legt mit FILMSTUNDE_23 einen Dokumentarfilm vor, in dem er gemeinsam mit Co-Regisseur Jörg Adolph das damalige Projekt vorstellt und reflektiert. Die 55 Jahre alten Super-8-Aufnahmen der Schülerinnen und Filmmaterial vom Klassentreffen 2023 ergänzen den Film, der die Liebe zum Bewegtbild spürbar macht. – StB

Termine bei der 74. Berlinale:
Donnerstag, 22.02., 14:45 Uhr, Haus der Berliner Festspiele (Verleihung der Berlinale Kamera an Edgar Reitz vor der Vorführung)
Freitag, 23.02., 13:00 Uhr, Zoo Palast 2
Freitag, 23.02., 22:00 Uhr, Cubix 7
Sonntag, 25.02., 10:00 Uhr, Zoo Palast 2

PANORAMA

THE OUTRUN

THE OUTRUN © The Outrun
THE OUTRUN © The Outrun

Darum geht es:
Im Norden der Insel Schottland liegt die schottische Inselgruppe Orkney. Dorthin, an den Ort ihrer Kindheit, kehrt Protagonistin Rona nach mehr als zehn Jahren in London zurück. Hier will die junge Frau aus ihrer persönlichen Abwärtsspirale herausfinden und den Kampf gegen die inneren Dämonen, die immer wieder nach Alkohol rufen, gewinnen.

Was du zum Film wissen musst:
Nora Fingscheidts Karriere ist eine, die eng mit der Berlinale in Bezug steht. Ihr Langfilmdebüt SYSTEMSPRENGER wurde 2019 nicht nur direkt für den Wettbewerb nominiert, sondern auch mit dem Alfred-Bauer-Preis ausgezeichnet; 2012 und 2017 nahm sie an Berlinale Talents teil. Für das bewegende Drama, das auf den Memoiren von Amy Liptrot basiert, konnte Fingscheidt Saoirse Ronan gewinnen. Die irisch-amerikanische Schauspielerin begeisterte zuvor zum Beispiel in LITTLE WOMEN, ABBITTE oder LADY BIRD, für den sie 2018 als beste Hauptdarstellerin bei den Golden Globes ausgezeichnet wurde. – DD

Termine bei der 74. Berlinale:
Sa 17.02. – 19:30 Uhr – Zoo Palast 1
So 18.02. – 12:00 Uhr – Haus der Berliner Festspiele
So 18.02. – 20:00 Uhr – Neue Kammerspiele (Kleinmachnow) bei Berlinale Goes Kiez
Mo 19.02. – 09:30 Uhr – Cubix 9
Mi 21.02. – 15:30 Uhr – Colosseum 1
Fr 23.02. – 18:30 Uhr – Zoo Palast 1

JEŠTĚ NEJSEM, KÝM CHCI BÝT (I’M NOT EVERYTHING I WANT TO BE)

JEŠTĚ NEJSEM, KÝM CHCI BÝT (I’M NOT EVERYTHING I WANT TO BE) © Libuše Jarcovjáková

Darum geht es:
Die Fotografin Libuše Jarcovjáková wuchs in der Tschechoslowakei auf, die sich nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 in der repressiven Phase der „Normalisierung“ befand. In Prag suchte sie nach Möglichkeiten, um den staatlichen Repressionen zu entkommen und ihre sexuelle Identität ausleben zu können – immer mit ihrer Kamera im Gepäck. Einer dieser „Safe Spaces“ war der T-Club, ein Treffpunkt für die queere Szene. Doch als ein Mord geschah und die Behörden Zugriff auf ihre Fotos bekommen wollten, sah sie sich gezwungen, eine Scheinehe zu schließen und nach Westberlin zu ziehen. Von dort ging es nach Tokio, wo sie sich zeitweilig als gefragte Modefotografin etablieren konnte. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs kehrte Libuše schließlich nach Prag zurück.

Was du zum Film wissen musst:
Für den Dokumentarfilm I’M NOT EVERYTHING I WANT TO BE kollaboriert Libuše Jarcovjáková mit der Filmemacherin Klára Tasovská und berichtet von ihrer wilden Zeit und der Suche nach Freiheit. Anhand von Tagebucheinträgen, die sie selbst vorliest, erschließt sich ihre ganz persönliche Geschichte zwischen politischen Konflikten, Körperlichkeiten und Beziehungen. Verbildlicht wird diese Identitätssuche anhand einer Vielzahl von analogen Fotografien, die Libuše aufgenommen und in ihrem Archiv aufbewahrt hat. – HK

Termine bei der 74. Berlinale:
Sonntag, 18.02., 16:30 Uhr, International
Montag, 19.02., 21:30 Uhr, Cubix 8
Dienstag, 20.02., 18:30 Uhr, Cubix 5
Samstag, 24.02., 22:00 Uhr, Zoo Palast 2

JANET PLANET

JANET PLANET © A24
JANET PLANET © A24

Darum geht es:
Die elfjährige Lacy verbringt den Sommer im ländlichen Massachusetts im Haus ihrer Mutter. Die vertraute Zweisamkeit wird durch drei Personen unterbrochen, die für kurze Zeit in das Leben der beiden drängen. Während Lacys Mutter Janet ihren Platz im Leben noch finden muss, taucht das junge Mädchen in ihre eigene Welt ein. Im Lauf des Sommers wird sie zur stillen Beobachterin der Erwachsenen und all ihrer Fehlbarkeiten.

Was du zum Film wissen musst:
Die mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Dramatikerin (THE FLICK) Annie Baker feiert mit JANET PLANET ihr Regiedebüt. Der Film wurde schon im vergangenen Herbst auf dem Telluride Festival gezeigt und dort von der Kritik überaus wohlwollend aufgenommen. Für ihren ersten Film konnte sie mit Julianne Nicholson, Will Patton, Sophie Okonedo und Elias Koteas namhafte Schauspieler verpflichten. Es ist aber vor allem Zoe Ziegler, die als Lacy den Zuschauer an die Hand nimmt und in ihrer Darstellung eine Reife zeigt, die jenseits ihres Alters liegt. – TH

Termine bei der 74. Berlinale
Freitag, 16.02., 15:30 Uhr, Zoo Palast 1
Freitag, 16.02., 15:30 Uhr, Zoo Palast 2
Samstag, 17.02., 12:00 Uhr, Haus der Berliner Festspiele
Sonntag, 18.02., 18:45 Uhr, Cubix 5
Montag, 19.02., 18:30 Uhr, Colosseum 1
Donnerstag, 22.02., 16:00 Uhr, Cineplex Titania
Sonntag, 25.02., 16:30 Uhr, International

ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN

ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN © wega film
ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN © wega film

Darum geht es:
Die österreichische Provinz dient als Handlungsort der Tragödie. Ebendort trennt sich Polizistin Andrea (Birgit Minichmayr) von ihrem Ehemann Andi, der ihr allerdings im Suff vors Auto läuft und beim Unfall stirbt. Sie begeht Fahrerflucht, doch zu ihrer Überraschung gesteht der trockene Alkoholiker und Religionslehrer Franz (Josef Hader) die Tat. Während alle im Dorf der trauernden Witwe Beileid aussprechen, versucht Andrea ihre Tat zu vertuschen.

Was du zum Film wissen musst:
Josef Hader ist vermutlich einer der lustigsten Menschen dieses Planeten, das ist Fakt und untermauert er auf der Bühne, als Schauspieler (wie hier) und auch als Regisseur (ebenfalls hier). Ebenfalls als urkomisch erwies sich Thomas Schubert zuletzt in ROTER HIMMEL von Christian Petzold (der dieses Jahr in der Jury sitzt), der bei der letzten Berlinale begeisterte.
Was soll hier schiefgehen?!? – DD

Termine bei der 74. Berlinale:
So 18.02. – 18:30 Uhr – Zoo Palast 1
Mo 19.02. – 11:45 Uhr – Haus der Berliner Festspiele
Di 20.02. – 10:00 Uhr – Cubix 5
Sa 24.02. – 18:30 Uhr – Zoo Palast 1

TEACHES OF PEACHES

TEACHES OF PEACHES © Bell Media Inc
TEACHES OF PEACHES © Bell Media Inc

Darum geht es:
Den Titel leiht sich die Doku vom zweiten Peaches Album, das im Jahr 2000 den Durchbruch der nach Berlin übergesiedelten Kanadierin Merrill Nisker bedeutete. Seit nun über zwei Dekaden steht Peaches als Exportschlager, die in vielen Teilen der Welt deutlich größer als in Deutschland wahrgenommen wird, für progressive, kluge Musik weit jenseits von heteronormativen Gestrigkeiten. Wie sich Geschlechterbilder auflösen lassen, offenbart Peaches auch immer wieder auf’s neue als orgineller Liveact, weshalb der Blick hinter die Tourkulisse wertvoll ist.

Was du zum Film wissen musst:
Ebenfalls damals am Album beteiligt und konsequenterweise ebenfalls Teil der Projekte Tour und Film: Chilly Gonzales und (Leslie) Feist, wie Peaches selbst Kanadier in Berlin zu der Zeit… und ihreszeichens ebenfalls wie Peaches heute weltweit gefeierte Superstars. Das Regie-Duo Philipp Fussenegger und Judy Landkammer arbeitete schon zusammen am 2016 mit einem First Steps Award prämierten HENRY und wirkt vor allem selbst als aktive Protagonist_innen in diese gar nicht so kleine Berliner Welt hinein, die weit ausstrahlt.

Termine bei der 74. Berlinale:
Mittwoch, 21.02., 21:30 Uhr, Zoo Palast 1
Donnerstag, 22.02., 18:30 Uhr, Cubix 9
Freitag, 23.02., 12:15 Uhr, Verti Music Hall

FORUM

MIT EINEM TIGER SCHLAFEN

MIT EINEM TIGER SCHLAFEN © coop99 Filmproduktion
MIT EINEM TIGER SCHLAFEN © coop99 Filmproduktion

Darum geht es:
Das bewegte und kompromisslose Leben der österreichischen Avantgarde-Malerin und Animationsfilmemacherin Maria Lassnig (1919-2014). Birgit Minichmayr verkörpert Lassnig, deren einflussreiches Wirken lange Zeit von männlichen Kollegen wie Arnulf Rainer überschattet wurde.

Was du zum Film wissen musst:
Maria Lassnig wird im Film in allen Lebensjahren von Birgit Minichmayr gespielt, ganz ohne Maske. So entsteht ein Verfremdungsaspekt, der das Biopic von anderen Biografien abhebt. Die Regisseurin Anja Salomonowitz bewegt sich auch viel im dokumentarischen Bereich und hat 2007 mit KURZ DAVOR IST ES PASSIERT auf der Berlinale den Caligari-Preis gewonnen.

Termine bei der 74. Berlinale:
Samstag, 17.02., 18:00 Uhr, Delphi Filmpalast
Sonntag, 18.02., 15:30 Uhr, Colosseum 1
Mittwoch, 21.02., 18:00 Uhr, Delphi Filmpalast (Audiodeskription via App GRETA)
Sonntag, 25.02., 16:30 Uhr, Arsenal 1 (Audiodeskription via App GRETA)

INTERCEPTED

INTERCEPTED © Christopher Nunn
INTERCEPTED © Christopher Nunn

Darum geht es:
Die Spuren des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine werden in langen Einstellungen gezeigt. Zerstörte Dörfer, aufgerissene Straßen, zerschossene Panzer am Wegesrand. Darüber gelegt sind vom ukrainischen Geheimdienst abgefangene Telefongespräche russischer Soldaten mit ihren Familien.

Was du zum Film wissen musst:
Der Begriff Ton-Bild-Schere bekommt hier nochmal eine neue Bedeutung. Während man in zum Teil ermüdend langen Tableaus die Auswirkungen des Krieges sieht, lauscht man fassungslos den von Banalitäten bis hin zu knallhart von Jahrzehnten russischer Propaganda geprägten Gesprächen. Mit schockierender Offenheit berichten manche der jungen Männer von brutalen Kriegsverbrechen an Zivilisten, während manche der Frauen und Mütter sie noch zu diesen anstacheln. Eine von der Realität abgekoppelte Wahrnehmung offenbart sich, die nur hin und wieder von zweifelnden Stimmen unterbrochen wird, die einen Rest Hoffnung bewahren, dass noch nicht die gesamte russische Bevölkerung von den Lügen Putins korrumpiert und verdorben ist. – TH

Termine bei der 74. Berlinale
Samstag, 17.02., 19:00 Uhr, Zoo Palast 2
Sonntag, 18.02., 11:30 Uhr, Delphi Filmpalast
Mittwoch, 21.02., 10:00 Uhr, Arsenal 1
Freitag, 23.02., 12:00 Uhr, Kino Betonhalle@Silent Green

THE ADAMANT GIRL (OT: KOTTUKKAALI)

THE ADAMANT GIRL © Sivakarthikeyan productions
THE ADAMANT GIRL © Sivakarthikeyan productions

Darum geht es:
Um Meena, die Pandi versprochen ist. Die aber einen anderen liebt, der einer niederen Kaste angehört. Dafür kann es doch einen Grund geben: Sie muss von Dämonen besessen sein! Die ihr die beiden Familien mit allen Mitteln auszutreiben gedenken. Natürlich mithilfe von Heilern, und Magie. Aber vor allem mit Gewalt.

Was du zum Film wissen musst:
Regisseur Vinothraj PS gewann bereits mit seinem autobiografisch inspiriertem Debütfilm PEBBLES (KOOZHANGAL) in Rotterdam 2021 den Tiger Award. Der Hauptdarsteller Soori hat bereits in über 80 Filmen mitgespielt. Bei THE ADAMANT GIRL handelt es sich um den ersten Film in Tamil, der bei der Berlinale zu sehen ist.- MK

Termine bei der 74. Berlinale
Freitag, 16.02., 18:00 Uhr, Delphi Filmpalast
Sonntag, 18.02., 22:00 Uhr, Akademie der Künste
Montag, 19.02., 21:30 Uhr, Arsenal 1
Dienstag, 20.02., 21:00 Uhr, Kino Betonhalle@Silent Green
Sonntag, 25.02., 21:00 Uhr, HKW 2 – Safi Faye Saal

FORUM SPECIAL

MOTHER AND DAUGHTER, OR THE NIGHT IS NEVER COMPLETE (OT: DEDA-SHVILI AN RAME AR ARIS ARASODES BOLOMDE BNELI)

MOTHER AND DAUGHTER OR THE NIGHT IS NEVER COMPLETE © 3003 Film Production
MOTHER AND DAUGHTER OR THE NIGHT IS NEVER COMPLETE © 3003 Film Production

Darum geht es:
Nutsa Gogoberidze, Jahrgang 1902, war die erste Filmregisseurin Georgiens und eine der ersten in der Sowjetunion. Zwei ihrer Filme, BUBA (1930) und UJMURI (1934), wurden von der sowjetischen Zensur verboten und verschwanden für fast neun Jahrzehnte. 1937, zur Zeit des Großen Terrors, wurde Nutsa verhaftet und musste für zehn Jahre ins Exil. Die Filmemacherin Lana Gogoberidze, Nutsas 1928 in Tbilissi geborene Tochter, geht auf Spurensuche, hebt verschollen geglaubte Schätze – und zeichnet in ihrem collagenhaften Dokumentarfilm Leben und Wirken ihrer Mutter und zugleich georgische Zeitgeschichte nach.

Was du zum Film wissen musst:
Lana Gogoberidze studierte Regie am Gerassimow-Institut für Kinematographie in Moskau und war in den 1960ern Teil der Neuen Welle des georgischen Kinos. Ihre Filme gehören zu den ersten feministischen Filmen der Sowjetunion. 1984 wohnte sie der internationalen Jury der 34. Berlinale bei. In MOTHER AND DAUGHTER, OR THE NIGHT IS NEVER COMPLETE nähert sich die mittlerweile 95-Jährige anhand von Ausschnitten aus ihren eigenen Filmen, in denen sie über ihre Mutter spricht, und aus Nutsa Gogoberidzes filmischem Werk sowie mithilfe von Fotos und Gedichten ihrer Mutter an, zu der sie lange ein zwiegespaltenes Verhältnis hatte. – StB

Termine bei der 74. Berlinale:
Freitag, 16.02., 13:00 Uhr, Arsenal 1
Samstag, 17.02., 18:00 Uhr, Kino Betonhalle@Silent Green
Sonntag, 25.02., 12:30 Uhr, Delphi Filmpalast

COUPLES

COUPLES © Maria Lassnig Stiftung_Courtesy sixpackfilm
COUPLES © Maria Lassnig Stiftung_Courtesy sixpackfilm

Darum geht es:
Die Missverständnisse und das Nicht-Zusammenfinden in einer Paarbeziehung. Entstanden ist COUPLES (1972), als Lassnig in New York lebte and it shows! Denn am schönsten und lustigsten ist der Cowboy-Lover, der in unendlicher repetitiver Breitbeinigkeit auf die Telefonzelle zusteuert, um seine Ego-Bedürfnisse zu deklamieren: „I need to see you, we’re involved“. Ganz so, als wäre das offene Kommunikation. Ein herrzlich pointierter Kommentar, der sich seine Zeitlosigkeit erhalten hat.

Was du zum Film wissen musst:
COUPLES wird zusammen mit anderen animierten Kurzfilmen Lassnigs als Forum Special gezeigt. Die meisten leben nicht nur von Lassnigs ureigener und witziger Formsprache, sondern auch von ihrer getragen-lakonischen Stimme – und ihrem harten österreichischen Akzent. Zu den weiteren großen Highlights der fantastischen Malerin gehören ART EDUCATION (1976) und natürlich SELFPORTRAIT (1971), das als eines der ersten feministischen Selbstbefragungen der Animationsgeschichte gelten darf. – MK

Termine bei der 74. Berlinale (Kurzfilmprogramm Maria Lassnig)
Montag, 19.02., 15:30 Uhr, Colosseum 1
Dienstag, 20.02., 22:00 Uhr, Arsenal 1
Samstag, 24.02., 20:00 Uhr, Kino Betonhalle@Silent Green

GENERATION

REINAS           

REINAS © Diego Romero
REINAS © Diego Romero

Darum geht es:
1992 in Lima, Peru. Die politische und wirtschaftliche Lage ist instabil, immer wieder kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Elena (Jimena Lindo) will mit ihren Töchtern, Teenagerin Aurora (Luana Vega) und der ein paar Jahre jüngeren Lucia (Abril Gjurinovic), in die USA ausreisen. Doch dazu braucht sie die Unterschrift des Vaters der Mädchen, der plötzlich wieder in das Leben der drei tritt. Je mehr Zeit Aurora und Lucia mit Carlos (Gonzalo Molina) verbringen, desto weniger möchten die beiden ihre gewohnte Umgebung, Freund*innen und Familie zurücklassen.

Was du zum Film wissen musst:
REINAS von Klaudia Reynicke war bereits beim Sundance Film Festival 2024 zu sehen und feiert auf der Berlinale 2024 seine Europapremiere. Die Filmemacherin hat selbst Erfahrungen mit Abschieden und Neuanfängen: Sie wuchs in Peru, der Schweiz und den USA auf und studierte unter anderem an der Tisch School of the Arts in New York. In REINAS widmet sie sich Migration in verschiedenen Facetten. Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen zum Thema geht es Reynicke um die schwierige Zeit vor dem Abschied – und um all das, was die beiden jungen Protagonistinnen zu verlieren drohen. – StB

Termine bei der 74. Berlinale:
Samstag, 17.02., 13:00 Uhr, HKW 1 – Miriam Makeba Auditorium
Mittwoch, 21.02., 16:00 Uhr, HKW 1 – Miriam Makeba Auditorium
Donnerstag, 22.02., 12:30 Uhr, Filmtheater am Friedrichshain
Sonntag, 25.02., 09:30 Uhr, Zoo Palast 1

BERLINALE CLASSICS

REIFEZEIT (1976)

REIFEZEIT © PROVOBIS FILM / SHAHID SALESS ARCHIVE

Darum geht es:
Der 9-jährige Michael wächst bei seiner alleinerziehenden Mutter im Berliner Stadtteil Wedding auf, die als Prostituierte arbeitet, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Wenn sie spätnachts nach Hause in die spärlich eingerichtete Einzimmerwohnung kommt, bereitet sie ihm sein Schulbrot vor und legt sich schlafen. Morgens schleicht er sich auf Zehenspitzen aus dem Bett, um sie nicht zu wecken, bevor er zur Schule geht. Manchmal beklaut er seine Mitschüler*innen, um Geld für ein Fahrrad sparen zu können. Nachmittags erledigt er Einkäufe für eine blinde Nachbarin und schmeißt den Haushalt. Ab und an kommt ein zwielichtiger Zuhälter vorbei, um bei der Mutter abzukassieren. Michael ist die meiste Zeit mit sich allein.

Was du zum Film wissen musst:
REIFEZEIT folgt chronologisch den alltäglichen Abläufen des Kindes aus einer distanzierten Beobachterperspektive. Das Geschehen wird meist in statischen Einstellungen gezeigt, ohne zu werten oder einen didaktischen Ton anschlagen zu wollen. Mit dem klar reduzierten Stilwillen der Schwarz-Weiß-Bilder – ergänzt durch das naturalistische Sounddesign – entsteht eine nüchterne und ungeschönte Alltagsstudie über Ausgrenzung und gesellschaftliche Entfremdung. Der iranische Regisseur Sohrab Shahid Saless drehte in den 1970er und 1980er Jahren zahlreiche Kino- und Fernsehfilme, die vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk koproduziert wurden. Dennoch blieb er in der deutschen Filmgeschichte größtenteils unbekannt. Im Rahmen eines transnationalen Projekts, welches Saless‘ Gesamtwerk wieder zugänglich machen soll, wurde REIFEZEIT neu restauriert. Der Film ist somit eine passende Ergänzung zur diesjährigen Retrospektive „Das andere Kino“ der Deutschen Kinemathek. – HK

Termine bei der 74. Berlinale:
Dienstag, 20.02., 19:30 Uhr, Akademie der Künste
Mittwoch, 21.02., 18:30 Uhr, HKW 2 – Safi Faye Saal
Freitag, 23.02., 12:00 Uhr, Cubix 6

RETROSPEKTIVE

TOBBY (1961)

TOBBY © Deutsche Kinemathek / Pohland

Darum geht es:
Der Musiker Tobby verbringt seine Nächte in verrauchten Berliner Jazzkellern und seine Tage zwischen seiner Exfrau, den gemeinsamen Kindern, spontanen Imbissen und neuen Affären. Als er ein verlockendes Angebot für einen Plattenvertrag und eine Auslandstournee bekommt, steht er vor einer schweren Wahl. Auf der einen Seite wären seine Geldnöte damit erst einmal vom Tisch. Auf der anderen Seite müsste er statt der geliebten Jazzmusik, die zu seinem Lebensinhalt geworden ist, schnulzige Schlager spielen. Unschlüssig lässt er sich durch die vom Krieg gezeichnete Stadt treiben und sucht bei seinen Künstlerkollegen Rat.

Was du zum Film wissen musst:
„Bier oder schlafen?“ Regisseur Hansjürgen Pohland zeichnete mit TOBBY ein halbdokumentarisches Filmporträt des Westberliner Jazzsängers und Bongospielers Tobby Fichelscher. Noch bevor er das Oberhausener Manifest von 1962 unterschrieb, setzte der Filmemacher auf assoziative und verspielte Weise die Lebenswege der Boheme der 1960er Jahre in Kontrast zum grauen Arbeitsalltag zur Zeit des Mauerbaus. Die improvisierten Einblicke in die künstlerischen Nischen und urbanen Brachen Berlins ziehen ihre Inspirationen vielmehr aus der französischen Nouvelle Vague und den authentischen Einflüssen eines John Cassavetes, als aus Papas verstaubtem teutonischen Nachkriegskino und sollten unbedingt wiederentdeckt werden. – HK

Termine bei der 74. Berlinale:
Freitag, 16.02., 17:00 Uhr, International
Sonntag, 18.02., 11:00 Uhr, Cineplex Titania
Sonntag, 25.02., 19:15 Uhr, Cubix 6

DIE DEUTSCHEN UND IHRE MÄNNER – BERICHT AUS BONN

DIE DEUTSCHEN UND IHRE MÄNNER - BERICHT AUS BONN © Deutsche Kinemathek : Sander
DIE DEUTSCHEN UND IHRE MÄNNER – BERICHT AUS BONN © Deutsche Kinemathek : Sander

Darum geht es:
Lieschen Müller aus Österreich hat ein großes Zeil für ihren Jahresurlaub: In Bonn, wo viele gut situierte Exemplare leben sollen, möchte sie einen Mann finden. Doch ihr Vorhaben gestaltet sich schwierig. An den verschiedensten Orten der Stadt, sogar im Regierungsviertel, betreibt sie halbdokumentarische, ethnologisch wertvolle Feldforschung und stellt den Männern Fragen, etwa zu ihrem Verhalten gegenüber Frauen, die nachts allein auf der Straße unterwegs sind, oder über ihre Meinung zu gewalttätigen Geschlechtsgenossen.

Was du zum Film wissen musst:
Die feministische Filmemacherin Helke Sander, geboren 1937 in Berlin, gehörte ab 1966 zum ersten Jahrgang der Deutschen Film- und Fernsehakademie. Früh machte sie den Kampf für Frauenrechte zum Zentrum ihres Schaffens. DIE DEUTSCHEN UND IHRE MÄNNER – BERICHT AUS BONN drehte sie 1989. Darin entlarvt sie geschlechtsbezogene Vorurteile und Denkmuster. In Kürze ist HELKE SANDER – AUFRÄUMEN, ein Dokumentarfilm über Sanders Leben und Werk von Claudia Richarz und zugleich ein Rückblick auf die Frauenbewegung in der Bundesrepublik, im Kino zu sehen. – StB

Termine bei der 74. Berlinale
Sonntag, 18.02., 14:00 Uhr, Cubix 6
Montag, 19.02., 13:00 Uhr, Cineplex Titania
Dienstag, 20.02., 21:30 Uhr, Cubix 6

BERLINALE SHORTS

BALDILOCKS (OT: KAALKAPJE)

KAALKAPJE © Marthe Peters
KAALKAPJE © Marthe Peters

Darum geht es:
Um ein autobiografisches Doku-Essay der 24-jährigen Marthe Peters, die auf ihre frühkindliche Krebserkrankung zurückblickt – und die Folgen für ihre erwachsenes Ich reflektiert. Dabei ist BALDILOCKS gänzlich aus den Homevideo-Aufzeichnungen montiert, die die Eltern von der kleinen Marthe, aber auch sich selbst gemacht haben.

Was du zum Film wissen musst:
BALDILOCKS besticht durch die Offenherzigkeit seiner Protagonistin, aber auch die ungeschönten Aufnahmen, die nicht nur die lebenslustige kleine glatzköpfige Marthe mit Schlauch in der Nase zeigen, sondern auch die müden Eltern daneben – die auch noch rauchen (!)(man erwischt sich beim Urteilen und verurteilt sich dafür dann auch gleich wieder). Es geht viel darum, dass Marthe oft ein schlechtes Gewissen hat, weil sie an Depressionen und der Erwartungshaltung leidet, dass sie für den „Glücksfall“ ihres (Über)Lebens immer dankbar zu sein hätte. So macht BALDILOCKS auch die Widersprüchlichkeiten einer Genesung und Heilung spürbar. – MK

Termine bei der 74. Berlinale (Programm: Berlinale Shorts II)
Montag, 19.2., 21:30 Uhr, Cubix 9
Dienstag, 20.2., 13:30 Uhr, Cineplex Titania
Mittwoch, 21.2., 15:00 Uhr, Cinema Betonhalle@Silent Green (Shorts Take Their Time: Ausführliches Q&A nach jedem Film)
Freitag, 23.2., 21:30 Uhr, HKW 2 – Safi Faye Hall
Samstag, 24.2, 15:30 Uhr, Cubix 9
Sonntag, 25.2., 18:30 Uhr, Colosseum 1