Oscarverleihung 2024 – eine Prognose, Teil #3


THE ZONE OF INTEREST © LEONINE Distribution

Internationaler Film, Drehbücher und Regie

Am Sonntag werden in Los Angeles zum 96. Mal die Oscars verliehen. Nachdem es in Teil #1 um die Kurzfilme, die Dokumentarfilme und die Animierten Spielfilme und in Teil #2 um die technischen Awards ging, sind wir jetzt by den Kategorien angekommen, denen in Regel mehr Aufmerksamkeit zukommt. Essentiell für einen Film ist natürlich das Drehbuch und die entsprechende Umsetzung durch die Regie. Aber blicken wir zunächst über den Tellerrand des amerikanischen Kinos hinaus und widmen uns dem seit 1956 regulär vergebenen Academy Award für den besten nichtenglischsprachigen Film, der seit einer Regeländerung im Jahr 2019 International Feature Film genannt wird.

I. Internationaler Film

Wird gewinnen: THE ZONE OF INTEREST, der erst dritte britische Beitrag in dieser Kategorie und der erste, in dem nicht walisisch, sondern deutsch gesprochen wird. In Jonathan Glazers Meisterwerk erleben wir die Familie von Rudolf Höß, dem Kommandanten des Vernichtungslagers Auschwitz, bei ihren täglichen Verrichtungen. Man hat es sich direkt neben dem Lager schön mit Haus und Garten eingerichtet und während hinter der Gartenmauer die entsetzlichsten Verbrechen stattfinden, versuchen Rudolf und seine Frau Hedwig ihren Kindern einer Art trautes Heim zu schaffen. THE ZONE OF INTEREST sorgte schon auf dem Filmfestival in Cannes für Furore und gewann dort den Großen Preis des Festivals. Es folgten über 40 Kritikerpreise und die BAFTAS für den herausragenden britischen Film und den besten nichtenglischsprachigen Film. THE ZONE OF INTEREST war auch für fast alle Precursor Awards nominiert, unterlag dort aber immer dem französischen Film ANATOMIE EINES FALLS. Der wurde aber von Frankreich nicht für die Oscars eingereicht. Ohne diese Konkurrenz ist THE ZONE OF INTEREST der ganz klare Favorit für diesen Oscar. Er ist zusätzlich als einziger Film in dieser Kategorie auch für Bester Film, Regie, Drehbuch und Ton nominiert.
Sollte gewinnen: THE ZONE OF INTEREST.

Eine Besprechung zu THE ZONE OF INTEREST findet ihr hier.

Außerdem nominiert: IO CAPITANO (Italien), in dem zwei Jungen in Dakar aufbrechen, die Sahara durchqueren und auf dem Seeweg versuchen, Europa zu erreichen. Das bewegende, exzellent gefilmte Drama hat homerische Qualitäten und mit Seydou Sarr einen charismatischen Hauptdarsteller. Regisseur Matteo Garrone wurde bei den Filmfestspielen in Venedig mit dem Regiepreis ausgezeichnet. IO CAPITANO ist Italiens 31. Nominierung in dieser Kategorie. Zu den elf italienischen Oscargewinnern kommen noch drei weitere italienische Filme, die in der Zeit vor 1956 mit Ehrenoscars ausgezeichnet wurden.
PERFECT DAYS (Japan) handelt von einem Toilettenmann, der in seiner Freizeit Rockmusik hört und überhaupt ganz mit sich im Reinen zu sein scheint. Das kontemplative, poetische Drama war ebenfalls ein großer Hit in Cannes. Hauptdarsteller Koji Yakusho, in seiner Heimat ein Superstar, wurde dort als bester Darsteller ausgezeichnet und auch für eine Oscarnominierung gehandelt. Die deutsche Regielegende Wim Wenders war zwar schon für drei seiner Dokumentarfilme nominiert, doch ist dies seine erste Nominierung für Bester Internationaler Film. Mit PERFECT DAYS ist Japan zum 16. mal nominiert. Zu den zwei japanischen Oscargewinnern kommen noch drei weitere japanische Filme, die in der Zeit vor 1956 mit Ehrenoscars ausgezeichnet wurden.
In SOCIETY OF THE SNOW (Spanien) stürzt ein Flugzeug mit einer uruguayischen Rugbymannschaft in den chilenischen Anden ab. Die wenigen Überlebenden müssen 72 Tage in dem unwegsamen, nicht einsehbaren Gelände bei Temperaturen von bis zu -40 °C ausharren. Als die wenigen Nahrungsmittel ausgehen, müssen die Überlebenden eine moralisch komplexe Entscheidung treffen. Die auf wahren Ereignissen im Jahr 1972 basierende Geschichte wurde vor 30 Jahren schonmal unter dem Titel ALIVE von Hollywood verfilmt. SOCIETY OF THE SNOW geht allerdings auf Augenzeugenberichte der Überlebenden zurück. Das packende Drama ist seit einigen Wochen ein großer Hit auf Netflix. Von den hier nominierten Filmen ist SOCIETY OF THE SNOW als Einziger neben THE ZONE OF INTEREST für einen weiteren Oscar nominiert, für sein MakeUp. SOCIETY OF THE SNOW ist Spaniens 22. Oscarnominierung. Viermal war man erfolgreich.
Vorjahressieger Deutschland hat auch einen Film im Rennen, Ilker Çataks Drama DAS LEHRERZIMMER, in dem eine junge Lehrkraft einen Diebstahl aufklärt, damit aber eine Kette von Ereignissen in Gang setzt, die ihr schon bald über den Kopf wachsen. Auch weil DAS LEHRERZIMMER bestimmte Ereignisse und ihre Folgen zuspitzt, hat der Film die Qualitäten eines Horrorfilms. Beim Deutschen Filmpreis wurde er für Regie, Drehbuch, Hauptdarstellerin (Leonie Benesch) und als Bester Film ausgezeichnet. DAS LEHRERZIMMER ist Deutschlands 23. Oscarnominierung. Vier deutsche Filme wurden bislang mit dem Academy Award ausgezeichnet.

Eine Besprechung zu DAS LEHRERZIMMER findet ihr hier.

II. Drehbuch

ANATOMIE EINES FALLS © el Les Films Pelleas, Les Films De Pierre
ANATOMIE EINES FALLS © el Les Films Pelleas, Les Films De Pierre

a) Original Drehbuch

Wird gewinnen: ANATOMIE EINES FALLS, in dem Justine Triet und ihr Ehemann Arthur Harari, eine Ehe krachend scheitern lassen. Nachdem Samuel aus dem Fenster gestürzt ist, steht bald ein Mordverdacht gegen seine Frau Sandra im Raum. Vom Krimi geht das auf französisch verfasste Drehbuch über zum Gerichtsthriller, wandelt sich dann zum Ehedrama, um schließlich noch das wechselseitige Verhältnis von Kunst und Realität zu verhandeln. Faszinierend ist, wie es Triet und Harari gelingt, die Antwort auf die Frage, ob Sandra ihren Mann getötet hat oder ob er doch bei einem Unfall starb, bis zum Schluß und über den Film hinaus offen zu lassen. Es ist halt eine Frage der Perspektive oder, wie es Sandras befreundeter Anwalt ausdrückt, es spielt keine Rolle.
Oscars für nichtenglischsprachige Drehbücher sind rar, hat es aber schon gegeben. Nach MARIE-LOUISE (1945/Schweizerdeutsch und Französisch), DER ROTE BALLON (1956/Französisch), SCHEIDUNG AUF ITALIENISCH (1962/Italienisch), EIN MANN UND EINE FRAU (1966/Französisch), SPRICH MIT IHR (2002/Spanisch), PARASITE (2019/Koreanisch) und DRIVE MY CAR (2021/Japanisch) wird ANATOMIE EINES FALLS als achtes nichtenglischsprachiges Drehbuch den Oscar gewinnen.
Es wurde zuvor schon mit dem Golden Globe, dem César, dem Europäischen Filmpreis und dem BAFTA ausgezeichnet.
Sollte gewinnen: PAST LIVES, das von Celine Song auf englisch und koreanisch verfasste Script zu ihrem bemerkenswerten Regiedebüt. Die vom Theater kommende Song verarbeitet darin eigene Erlebnisse. Wie ihre Hauptfigur Nora verließ Song als 12jährige ihre koreanische Heimat, heiratete später einen Amerikaner und fand sich eines Abends mit ihrem Mann und ihrer koreanischen Jugendliebe in einer New Yorker Bar wieder. Dem in drei Zeitebenen spielende Liebesdrama (die beiden Koreaner nehmen nach 12 bzw. 24 Jahren wieder Kontakt auf) liegt das Konzept des In-Yun zugrunde, eine koreanische Vorstellung von Schicksal, nach dem zwei Menschen füreinander bestimmt sind, wenn sich ihre Seelen in vorangegangenen Leben überlappt haben. Was dieses Drehbuch heraushebt, ist, dass es trotz der konfliktgeladenen Dreieckskonstellation auf jede Form von Antagonismus verzichtet. PAST LIVES ist einer der klügsten, reflektiertesten und erwachsensten Liebesfilme seit langem und es ist alles in diesem perfekten Drehbuch angelegt.
Außerdem nominiert: THE HOLDOVERS, die herzerwärmende Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft, die sich über die Weihnachtsfeiertage des Jahres 1970 zwischen einem strengen und prinzipienfesten Lehrer und einem rebellischen Schüler entwickelt. Nach und nach legen die Figuren in gepfefferten Dialogen ihre eigenen Verletzungen frei und entwickeln Verständnis für den jeweils Anderen. Das ist keine unbekannte Konstellation, funktioniert aber dennoch hervorragend und macht THE HOLDOVERS trotz all des Dramas zu einem klassischen Feelgood Movie, für das David Hemingson seine erste Oscarnominierung bekam.
MAESTRO, von Bradley Cooper und Oscarpreisträger Josh Singer (SPOTLIGHT, 2015), das wichtige Stationen im Leben Leonard Bernsteins präsentiert, sich dabei aber leider weniger auf seine musikalische Entwicklung konzentriert und stattdessen das tumultuöse Privatleben Bernsteins, seine vor der Öffentlichkeit versteckte, im privaten Kreis aber offen ausgelebte Homosexualität und die Beziehung zu seiner Seelenverwandten und Ehefrau Felicia Montealegre in den Fokus rückt.
MAY DECEMBER, von Samy Burch und Alex Mechanik (noch ein Paar, das gemeinsam für den Oscar nominiert ist), in dem Schauspielerin Elisabeth (Natalie Portman) eine Frau namens Gracie (Julianne Moore) aufsucht, die in einem Film über Gracie von Elisabeth gespielt werden soll. Gracie hatte zwanzig Jahre zuvor eine skandalöse Beziehung zu dem damals 13jährigen Joe und musste dafür einige Jahre ins Gefängnis. Inzwischen ist Gracie mit Joe (Charles Melton) verheiratet. Die beiden haben zwei Kinder. Bei ihrer Recherche stößt Elisabeth auf ungeklärte Konflikte, die sich u.a. um die Frage drehen, wer damals wen verführt hat. Ein Liebesdrama, in dem es auch um sexuelle Kontrolle und Missbrauch geht, das Elemente eines Horrorthrillers aufweist. MAY DECEMBER, das schon 2020 auf der Liste der besten unverfilmten Drehbücher Hollywoods landete, wurde Regisseur Todd Haynes von Hauptdarstellerin Portman angetragen. Der Film wurde seit seiner Premiere in Cannes als potentieller Oscarkandidat gehandelt und dann in den Untiefen der Netflix Bibliothek versenkt. Immerhin konnte sich die Branche der Autoren daran erinnern, weshalb das Script jetzt für den Oscar nominiert ist – die einzige Nominierung für den Film.

Eine Besprechung zu MAESTRO findet ihr hier.

b) Adaptiertes Drehbuch

Wird gewinnen: AMERICAN FICTION, in dem Cord Jefferson, der auch Regie führt, einen schwarzhumorigen Blick auf rassistische Klischees im amerikanischen Kulturbetrieb wirft. In Monk, dem talentierten Autor, der am schlechten Geschmack des Publikums verzweifelt, werden sich auch viele Autoren wieder erkennen. Die Vorstellung, das afroamerikanische Literatur, Musik oder Filme nur gut und kommerziell erfolgreich sind, wenn ihre Protagonisten aus dem Ghetto stammen und sich in einem simplifizierenden Idiom ausdrücken, unterläuft Jefferson, indem er Monk als kultivierten Angehörigen der Mittelklasse zeigt, der sich mit „normale“ Alltagssorgen beschäftigen muss, ohne alle paar Minuten jemandem eine Knarre an den Kopf halten zu müssen. Für Jefferson, der zuvor Drehbücher u.a. für die Serien WATCHMEN und STATION ELEVEN verfasste, ist AMERICAN FICTION, die Adaption eines Romans von Percival Everett, das Debüt auf der großen Leinwand. Nach dem Publikumspreis für den Film beim Toronto International Film Festival gewann Jeffersons Drehbuch den CCA und überraschend auch den BAFTA und ist nun der heißeste Kandidat für den Oscar.
Sollte gewinnen: BARBIE von Greta Gerwig und ihrem Gatten Noah Baumbach, das keine konkrete literarische Vorlage sondern das Konzept einer Spielzeugpuppe als Ausgangsmaterial hat. Viel ist in den letzten Monaten darüber gestritten worden, ob es sich bei BARBIE um ein Original Drehbuch oder um eine Adaption handelt. Die meisten Kritikerpreise hat es als Original gewonnen, aber die Regeln der Academy sind strenger. Und so landet BARBIE nun in einer hochkarätig besetzten Kategorie und hat immer noch eine Restchance, diesen Oscar auch zu gewinnen. Mit dem Aufstieg von AMERICAN FICTION in den letzten Wochen der Award Season droht sich diese jedoch zu verflüchtigen. Aber es gibt noch Hoffnung. BARBIE scheint in der Academy generell mehr Fans zu haben und die originäre Leistung von BARBIE, das Worldbuilding, die verschiedenen feministischen Konzepte und die zahlreichen popkulturellen Verweise zu einem stimmigen Ganzen zusammenzufügen und dabei den Unterhaltungsfaktor konstant hoch zu halten, kann mit den smarten Ideen in AMERICAN FICTION locker mithalten.
Außerdem nominiert: OPPENHEIMER, für den Christopher Nolan ein 700 Seiten dickes Sachbuch („American Prometheus von Kai Bird und Martin J. Sherwin) in ein komplexes mit Zeit- und Erzählebenen jonglierendes Drehbuch adaptiert hat. Nolan-Drehbücher hatten immer das Problem, dass sie sich mehr für Konzepte und Ideen zu interessieren schienen, als für Charakterentwicklung und -motivation. Aber OPPENHEIMER ist eben nicht nur ein Science Epos, sondern auch ein intimes Porträt einer vielschichtigen Persönlichkeit.
POOR THINGS, für den Tony McNamara zum zweiten mal nach THE FAVOURITE (2018) für den Oscar nominiert ist. Vorlage ist der gleichnamige Roman von Alasdair Gray, der den Frankenstein Mythos in eine feministisch angehauchte Initiationsgeschichte verwandelt. Zentrum von McNamaras Drehbuch ist die sexuell erwachende und alle gesellschaftlichen Konventionen in Frage stellende Kindfrau Bella Baxter. Der Blick auf sie bleibt aber, wie manche Kritiker*innen durchaus zu recht monierten, ein permanent männlicher. Geht man, trotz all der Fantasy Elemente, aber von einer zeitlichen Zuordnung der Geschichte ins ausgehende 19. Jahrhundert aus, muss man festhalten, dass die weibliche Rolle in der Gesellschaft damals vom Patriarchat determiniert wurde. Der von Erstaunen, Unverständnis und Gier geprägte männliche Blick auf Bella Baxter ist also durchaus konsequent. Es lässt sich auch nicht leugnen, dass all die Männer, die Bellas Entwicklung einhegen, kontrollieren, ausnutzen oder sie gar einsperren wollen, am Ende an ihr scheitern.
THE ZONE OF INTEREST, der auf einen Roman des kürzlich verstorbenen Martin Amis zurückgeht. Von der Vorlage hat Jonathan Glazer allerdings nur die Grundkonstellation übernommen, die Figuren umgeschrieben und eine überflüssige Love Story entfernt. Auch wenn THE ZONE OF INTEREST eher wie ein Showcase des Regisseurs Glazer wirkt, liefert die kaltschnäuzige Brutalität des Drehbuchs die Grundlage für den klinischen Blick auf die bizarren Lebensverhältnisse der Familie Höß.

Eine Besprechung zu BARBIE findet ihr hier.

OPPENHEIMER © Universal Pictuers. All Rights Reserved
OPPENHEIMER © Universal Pictuers. All Rights Reserved

III. Regie

Wird gewinnen: Christopher Nolan für OPPENHEIMER. Nolan ist einer der erfolgreichsten und populärsten Regisseure der vergangenen zwanzig Jahre. Sein Weg führte von kleinen Indie-Produktionen (MEMENTO, 2000) über kassenträchtige Superheldenfilme (THE DARK KNIGHT, 2008) zum Regisseur des Thinking Mans Blockbuster (INCEPTION, 2010). Nolan ist, was nur wenigen Regisseuren in dem Ausmaß gelingt, eine eigene, das Publikum in Massen in die Kinos ziehende Marke geworden. OPPENHEIMER, diese eliptische Charakterstudie über den Schöpfer der Atombombe, in deren Zentrum die präzise Darstellung des Manhattan-Projekts steht, wird nun zu Nolans Krönungsmesse. Noch immer liegt sein Fokus auf der Darstellung wissenschaftlicher Prozesse. Doch sind ihm diesmal auch das menschliche Drama und die moralischen Verzweiflung seiner Hauptfigur gelungen. Die Award Season lässt keinen Zweifel am Ausgang dieses Rennens. Nolan hat sämtliche wichtigen Regiepreise gewonnen, u.a. Golden Globe, CCA, BAFTA und – am wichtigsten – DGA. Sechs Jahre nach seiner ersten Nominierung für DUNKIRK wird Christopher Nolan nun zu recht den Oscar gewinnen.
Sollte gewinnen: eigentlich hätte auch jede*r der vier anderen Nominierten den Oscar verdient. Die eine Arbeit aber, die aufgrund ihrer Andersartigkeit heraussticht, ist Jonathan Glazers Regie bei THE ZONE OF INTEREST. Glazer verzichtet auf eine klassischen Dramenstruktur und zeigt seine Figuren quasi dokumentarisch bei ihrem täglichen Leben im Schatten der Lagermauer von Auschwitz. Das Grauen im Lager wird nicht gezeigt, ist aber über die Tonebene omnipräsent. Auch wenn die Bilder beiläufig wirken (Kamera: Łukasz Żal), ist jede Einstellung sorgsam durchkomponiert. Mit THE ZONE OF INTEREST hat Glazer ein einzigartiges Werk geschaffen, das noch in vielen Jahren von Filmstudenten analysiert werden dürfte.
Außerdem nominiert: Yorgos Lanthimos, der mit POOR THINGS zum zweiten mal um den Oscar konkurriert. Vor fünf Jahren war er mit THE FAVOURITE im Rennen. Die Academy mit ihren vielen neuen und internationalen Mitgliedern scheint Gefallen an seinen bizarren und fantasiereichen Entwürfen gefunden zu haben. Der Grieche hat eine ganz eigene Vision von Kino und auch wenn sich nicht immer erschließt, was er z.B. mit dem häufigen Einsatz von Fischaugen Optik bezweckt, ist die eigenartige, manchmal beunruhigende Schönheit seiner Filmwelten nicht zu leugnen.
Martin Scorsese nähert sich mit seiner zehnten Regienominierung der alten Bestmarke von William Wyler (12). In KILLERS OF THE FLOWER MOON erzählt er nicht nur von einem schrecklichen Verbrechen im Amerika der 1920er Jahre, er setzt sich auch inhaltlich und formal mit seinem eigenen Werk und der Frage, wie Filmkünstler ihre Themen wählen und präsentieren, damit bestimmte Mythen fortschreiben und dafür andere wichtige Erzählungen ignorieren, auseinander. Die Sensibilisierung für Fragen der Repräsentation, wer welche Geschichten wie erzählt und warum, zeichnet das Spätwerk Scorseses aus. Ein Beispiel dafür ist die Neuausrichtung der Story im Film, weg von der Gründung des FBI, auf der in der literarischen Vorlage der Fokus liegt, hin zu den Osage, um deren Perspektive mehr Raum zu geben. Scorsese gewann nach fünf erfolglosen Nominierungen 2006 seinen Oscar für THE DEPARTED.
Justine Triet ist die achte für Regie nominierte Frau. ANATOMIE EINES FALLS ist erst ihr vierter Spielfilm. Dessen Handlung begrenzt sich im Wesentlichen auf zwei Orte: das Chalet am Rande der französischen Alpen, in dem Sandra, ihr Mann Samuel und der gemeinsame Sohn leben und der Gerichtssaal, in dem sich Sandra wegen Mordes an Samuel verantworten muss und versucht ihre Unschuld zu beweisen. Triet nutzt diesen schmalen Spielraum, um durch häufige Perspektivwechsel keine eindeutige Klärung zu ermöglichen, den Fokus auf das schwierige Verhältnis der Eheleute zu richten und Fragen der Abhängigkeit zu verhandeln. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Sohn zu, der vom unschuldigen Beobachter in die Rolle des einzigen Zeugen gezwungen wird und eine schwierige moralische Entscheidung treffen muss. Triets Schauspielführung, ihre klugen Bildkompositionen und der gezielte Einsatz von Ton machen aus ANATOMIE EINES FALLS einen der aufregendsten Filme des Jahres.

Eine Besprechung zu OPPENHEIMER findet ihr hier.

Thomas Heil schaut seit 1992 die Oscars – und stellt jedes Jahr seine Favoriten zusammen. Seine Lieblingsfilme haben es oft nicht auf die Liste geschafft, aber darum geht es ja auch nicht, denn Film ist Kunst und kein Wettbewerb, wie man auch über Sinn und Unsinn solcher Preisverleihungen streiten kann. Nur soviel: man sollte sie gewiss nicht zu ernst nehmen.

In Teil 4 wird es um die Awards für Haupt- und Nebendarsteller gehen.