66. Berlinale: „Hele Sa Hiwagang Hapis“ („A Lullaby To The Sorrowful Mystery“) von Lav Diaz – Silberner Bär


Zur Pause nach den ersten vier Stunden hatte sich der Saal aber bereits erheblich geleert. Und noch einmal weniger Zuschauer erreichten motiviert den Filmsaal zum zweiten Teil des monolithischen Werkes, wo erneut zwar fantastisch fotografierte, aber zahlreiche redundante Szenenbilder über die Leinwand flimmerten und weitere unzählige, minutenlange Einstellungen folgten, in denen Darsteller schier endlos über das Unglück des Menschseins referierten, auf Berge stiegen, durch den in Nebelschwaden ertränkten Dschungel schlichen und über Machtverhältnisse und Schuld und Sühne theatral deklamierten. Die Frage liegt also auf der Hand, ob es tatsächlich ganze acht Stunden braucht, um die Essenz des Filmes greifen zu können. Diese Frage kann an dieser Stelle – eingefleischte Diazfans sehen das von Natur aus anders – bereits klar mit Nein beantwortet werden.

Denn zu Lav Diaz muss man wissen, dass lange Filmszenen zu seiner „persönlichen Ideologie“ geworden sind und deshalb Zeit für ihn prinzipiell keine zu berücksichtigende Ordnungsgröße darstellt. Die Zeitfrage ergibt sich für ihn einfach nicht, denn „wenn ich einen Film mache, dann denke ich nie über die Zeit nach. Er ist eben fertig, wenn ich das Gefühl habe, dass er fertig ist.“, so erklärt er. Seine überdimensionierten Filme orientieren sich also jeweils am persönlichen Gespür und daraus resultierenden künstlerischen Entscheidungen. Hinzukommt, dass der ehemalige Journalist kein großer Freund von der Montagetheorie Sergei Eisensteins ist. „Filmschnitte sind mir zu brutal“, so der „Kulturarbeiter“, wie sich Diaz auch gern bezeichnet. Und last but not least zählt es zu seinen Grundprinzipien, dass „der Filmemacher nicht nur allein mit sich ringen, sondern der Zuschauer mit ihm zusammen kämpfen sollte“.
Vor diesem Hintergrund ist es also fast schon tragisch zu nennen, dass am Ende kaum einer die einzelnen zum Figurennetz ausgeworfenen Erzählstränge rekapitulieren kann. Weil ausgerechnet der Mann, der sich als Aufklärer versteht und es sich zur Mission gemacht hat, mit seinen Filmen eine Revision der philippinischen Geschichte zu erreichen – die helfen soll, sich von den Fesseln der über 300-jährigen Kolonialgeschichte zu befreien und die Suche nach der eigenen Identität des philippinischen Volkes anzustoßen – sich in Manierismen verliert und von unnötigen Szenen nicht trennen will. Damit opfert er eine höhere Idee zugunsten oberflächlich formaler Stilmittel.

Simoun und Kapitan Heneral deklamieren über die Sinnfragen des Lebens. © Bradley Liew

Simoun und Kapitan Heneral deklamieren über die Sinnfragen des Lebens. © Bradley Liew

Zum Inhalt von „A Lullaby To The Sorrowful Mystery“ sei nur kurz gesagt, dass es im Kern um den philippinischen Unabhängigkeitskrieg zwischen 1896-1897 geht. Diese Info hatte der Zuschauer in den meisten Fällen schon vor dem Kinogang der Filmsynopsis entnommen. Im Film erfährt er noch von Andrés Bonifacio y de Castro, dem Urvater der philippinischen Revolution. Seine Figur und sein Verbleib werden allerdings nur als Aufhänger benutzt, um die Seelenlandschaft der leidgeprüften Bevölkerung, ihren Protagonisten und Antagonisten zu analysieren und sie symbolisch auf die Suche nach ihrer Identität zu schicken und sie am Ende beichten zu lassen. Als bloße Schatten ihrer selbst inszeniert Diaz seine Figuren. Schwer wanken ihre Körper durch die im Film zur Verfügung gestellten Räume. Begleitet werden sie in fast jeder Einstellung vom Gegenlicht greller Bühnenscheinwerfer, vor denen Nebelmaschinen bedeutungsschwanger, oder einfach nur die Bildkontraste unterstreichend, reichlich Nebelwände produzieren. Auch dieses eigentlich sehr ausdrucksstarke Bild verkommt wegen seiner redundanten Anwendung schließlich zur reinen Staffage und wird zum unehrlichen, weil prätentiösen Anstrich.

Lange Rede kurzer Sinn: Manchmal ist eben doch weniger mehr. Denn am Ende bleiben von der großen Erzählung, die Diaz aufspannen wollte, nur Fragemente hängen sowie der Geschmack eines aufgeblähten Künstlermonologs, der sich in dozierendem Ton und unbeseelten Bildern ergießt. Diaz‘ immer wieder proklamiertes, humanistisches Ziel, sein Werk in den Dienst einer erwachenden Nation zu stellen, bleibt damit irgendwo am eigenen Ego hängen.

„Hele Sa Hiwagang Hapis“ wurde auf der 66. Berlinale mit einem Silbernen Bären, dem „Alfred Bauer Preis“ ausgezeichnet, dem Preis für Spielfilme, die neue Perspektiven eröffnen.

SuT

„Hele Sa Hiwagang Hapis“, Regie: Lav Diaz, Kamera: Larry Manda, DarstellerInnen: Piolo Pascual, John Lloyd Cruz, Hazel Orencio, Alessandra de Rossi, Bernardo Bernardo, Joel Saracho, Susan Africa, Cherie Gil, Angel Aquino, Sid Lucero, Bart Guingona

1 2