66. Berlinale: „Lao Shi“ von Johnny Ma


Ze Bing in "Lao Shi" ("Old Stone") von Johnny Ma, der im Berlinale Forum 2016 zu sehen ist. Foto: Berlinale

Ze Bing in „Lao Shi“ („Old Stone“) von Johnny Ma, der im Berlinale Forum 2016 zu sehen ist. Foto: Berlinale

Der chinesische Regisseur Johnny Ma, der in den USA lebt, wählt als Protagonisten für seinen ruhigen, aber in höchstem Maße beklemmenden Film einen Mann mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Lao Shi will seinen Teil der Verantwortung am Geschehenen übernehmen, auch wenn er von allen Seiten maßiven Gegenwind zu spüren bekommt. Keiner, nicht seine Frau, nicht seine Arbeitskollegen, auch nicht die Polizei oder der Anwalt („Es ist zwar nicht schön zu sagen, aber es wäre alles viel besser gewesen, wenn der Mann direkt verstorben wäre.“) kann es verstehen, wieso er an seiner Entscheidung festhält und kehren ihm den Rücken zu. Er bringt viel Geduld für sie alle auf, doch unendlich ist diese nicht. Der Zuschauer erwartet es schon viel früher, dass sich seine Wut endlich entlädt.

In „Lao Shi“ geht es um Zivilcourage. Es geht darum, dass ein Individuum in der Gesellschaft nicht nur für sich selbst existieren kann und eine solche Gesellschaft, geprägt von Menschen, die mit Scheuklappen durchs Leben gehen, dem Untergang geweiht sein muss. Einer der entscheidenden Sätze aus dem Film stammt von Passanten, die an einer Frau vorbeigehen, die am Boden liegt: „Wer wagt es denn heutzutage noch, sich einzumischen“. Wie viel Solidarität können wir aufbringen, wenn sie unser eigenes Leben, unser Bankkonto oder schlicht unsere Bequemlichkeit in Gefahr bringen könnte? Das ist die Kernfrage des Films, die jeder für sich zu beantworten hat.

Johnny Ma ist um eine realitätsnahe Schilderung der Umstände bemüht, weshalb Eigenheiten der chinesischen Kultur, wie die extreme Bürokratisierung der Gesellschaft, das mangelhafte Gesundheitswesen und die Notwendigkeit von Korruption bei Beamten, einen wichtige Stellung einnehmen. Nichtdestotrotz besitzt der Film einen universellen, idellen Wert, der sich von jeder ursprünglichen Herkunft löst.

Auch auf formaler Ebene weist der „Lao Shi“ besondere Merkmale auf wie beispielsweise eine sorgfältige und außergewöhnliche Bildfindung. Lichtreflexe, Durchsichten aus verregneten oder verdreckten Autoscheiben und wiederkehrende Sequenzen sich im Wind wiegenden Bäume machen den Film zu einem visuellen Erlebnis. Zu den eindrücklichsten Szenen des Films gehören auch die Tanzvorführungen mit Lao Shis Tochter, bei denen die Kamera zwischen den Schülerinnen und den zuschauenden Eltern hin und her wechselt. Schließlich funktioniert „Lao Shi“ dank einer optimalen Besetzung bis in die Nebenrollen, in denen sich Regisseur Ma selbst als Obdachloser einschleicht.

Teresa Vena

Lao Shi„, Regie: Johnny Ma, Darsteller: Chen Gang, Nai An, Wang Hongwei, Zhang Zebin, Luo Xue’er

Termin bei der Berlinale, Sektion Forum:
Sa, 20.02. 19:00 CineStar 8

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