„Eldorado“ von Markus Imhoof


Markus Imhoof setzt sich in "Eldorado" filmisch mit der Geflüchteten-Thematik auseinander. © Majestic/zero one film / Peter Indergand

Markus Imhoof setzt sich in „Eldorado“ filmisch mit der Geflüchteten-Thematik auseinander. © Majestic/zero one film / Peter Indergand

„Die Glücklichen verwalten die anderen“

Fast vierzig Jahre nach der Präsentation von „Das Boot ist voll“ (1981), der damals sowohl den Silbernen Bären für Regie als auch den FIPRESCI-Preis gewann, kehrt Markus Imhoof mit einem Film zum Thema Geflüchtete in den Wettbewerb der Berlinale zurück. Sein Dokumentarfilm „Eldorado“ knüpft an eine offen persönliche Ebene an. Imhoof erzählt darin nämlich die Geschichte seiner Familie, die in den 1940er Jahren ein junges Mädchen aus Italien bei sich aufnimmt, das mit einer großen Anzahl anderer Kinder in die Schweiz geflüchtet war. Der Film stellt eine Parallele zu den aktuellen Verhältnissen der internationalen Flüchtlingsrealität und –politik her. Es gelingt dem Regisseur nicht nur, den Bogen zwischen den beiden Zeitepochen zu spannen, sondern auch, ohne moralisierenden Zeigefinger, nüchtern und dennoch eindrücklich zu zeigen, wie unweigerlich das Flüchtlingsproblem mit den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gesamtrealitäten der Welt verknüpft ist.

Imhoof begibt sich für seinen Film selbst auf eine Reise, auf der er, das hält er ausdrücklich fest, aus weißer beziehungsweise europäischer Perspektive den Weg nachvollziehen möchte, den Flüchtlinge einschlagen, wenn sie ihre Heimat auf der Suche nach einer neuen verlassen. Aus der rein physischen Reise wird sowohl für den Regisseur und seine Begleiter, so scheint es, als auch für den Zuschauer eine schließlich emotionale und intellektuelle Reise.
Diese beginnt auf einem italienischen Marineschiff, das das Mittelmeer kreuzt, um auf dem Wasser afrikanische Flüchtende zu retten. Auf dem Schiff befinden sich Männer und Frauen, zur Mehrheit Soldaten, aber auch Ärzte, die sich vielfach für eine Mission von fünf bis zehn Jahren verpflichten. Ihr Einsatz besteht aus langen Arbeitsstunden bis tief in die Nacht. Sie spüren die meist maßlos überfüllten Schlauchboote auf, holen die Insassen an Bord und leisten erste medizinische Versorgung. Entsprechend der Dublin-Verordnung, die von der EU 2015 verabschiedet wurde, sind sie zudem gezwungen, jedem Individuum Fingerabdrücke abzunehmen, es in einer internationalen Datenbank zu registrieren. Denn nur im ersten europäischen Ankunftsland darf ein Asylantrag gestellt werden. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass sich die Geflüchteten einzelne bevorzugte Länder innerhalb Europas aussuchen.

Gezwungenermaßen finden die Geretteten auf dem Schiff eine ähnliche Situation vor, wie die, der sie gerade entgangen sind. Der Platz ist nämlich begrenzt, wenn bis zu 1800 Menschen an Bord, unter und an Deck untergebracht sind. Aneinandergedrängt in wenig bequemen Verhältnissen warten sie, ahnungslos, auf die nächsten Schritte. Umgeben sind sie von einer kleinen Armee an von Kopf bis Fuß in Schutzkleidern getarnten, mit Mundmasken versehenen Helfern, die sie, ein paar englische Stichwörter wiederholend, untersuchen, ihre intimen Stellen begutachten, sie auflisten und kategorisieren.
„Wir versprechen ihnen nicht das Paradies, aber es wird ab hier immer besser werden.“ Noch scheint dieses Versprechen weit weg zu sein. Für viele, so wird es sich herausstellen, wird es sich nicht einlösen. In Italien, wo viele Schwarzafrikaner, die auf die Bearbeitung ihrer Asylgesuche warten oder bereits negative Bescheide erhalten haben, illegal sitzen bleiben, bilden sich Ghettos mit erbärmlichen Lebensumständen. Vom organisierten Verbrechen geleitet, können einzelne von ihnen – nur die Männer, den Frauen bleibt die Prostitution vorbehalten – für einen sehr niedrigen Lohn – ungefähr 30 Euro am Tag, wovon sie die Hälfte ihrem Vorarbeiter abgeben müssen – in der Landwirtschaft arbeiten. Sie pflücken beispielsweise Tomaten, auf genau solchen Tomatenplantagen in den ärmsten Regionen Italiens wie Apulien oder Kalabrien, die mit Geldern der europäischen Union unterstützt werden. Genau solche Tomaten, die nach Afrika exportiert werden. Und hier schließt sich der Kreis.

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