„The Prayer“ (OT: La prière“) von Cédric Kahn
Die Berglandschaft mit den großartigen Panoramen gibt „The Prayer“ einen majestätischen und doch düsteren Rahmen, selten taucht Regisseur Cédric Kahn sie in Sonnenlicht. Stattdessen dominieren ein Grauschleier und Regen die Szenerien. Das passt perfekt zum Lebensdrama der Junkies, die sich fernab der Zivilisation einfinden, um ihrem Leben eine Chance zu geben.
Den harten Kontrast dazu bilden Kahns Bilder der singenden Männergemeinschaft. Mit leuchtenden Augen und strahlenden Gesichtern singen die jungen Männer und preisen den Herrn, der ihnen den Weg leiten soll. Das erinnert fast an Musikvideos und deren Optik. Ketzer könnten auf die Idee kommen, dass die Kirche den Film co-produziert habe. So unkritisch und still lobend wird das segensreiche Haus ausgemalt. Und ein kleines Wunder darf auf Thomas‘ steinigem Weg der Läuterung auch nicht fehlen. Say Hallelujah!
Als kleine aber eminent wichtige Nebenhandlung fleicht Kahn eine zärtliche Liebesgeschichte ein, in der der junge Sünder Thomas sich in Sibylle, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, deren Eltern mit den geläuterten Christen zusammenarbeiten, verlieben kann. Diese sorgt für erstaunliche Wendungen der Handlung und gibt „The Prayer“ immer wieder neue Richtungen. Allerdings erschließt sich nie, warum die junge Sibylle sich auf Thomas einlässt. Immerhin umschifft „The Prayer“ es so, auch noch die Abstinenz abzufeiern.
Seine stärksten Momente hat das Coming-of-Age-Drama dann, wenn sich Kahn der Freundschaft von Thomas und Pierre, der fast wie ein großer Bruder für Thomas da ist, annimmt. Pierre, stark und eindrücklich gespielt von Damien Chapelle, leidet unter seiner Vergangenheit, wünscht sich eine Zukunft außerhalb der Berge mit seiner Familie, doch weiß er um seine Schwäche. Die Angst vor dem Rückfall hält ihn an dem Ort, der ihn stützt. Für Thomas hat er Hoffnung.
Anthony Bajon, der mit der Rolle als Thomas seinen Durchbruch feiert, überzeugt ebenfalls. Die Berlinale-Jury sogar so sehr, dass die ihn mit dem Silbernen Bären als Besten Darsteller bedachte. Sein Thomas ist zerrissen und wankelmütig, manchmal gewalttätig und dann wieder hilfesuchend wie ein Welpe. Seine Stimmungen verändern sich schlagartig und doch zittert sein Publikum mit dem gebrochenen Helden.
Es ist letztendlich sein Spiel, das „The Prayer“ sehenswert macht, wenigstens für Zuschauer, die gewillt sind, über die Unzulänglichkeiten im Drehbuch hinweg zu sehen und die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass der Glaube Berge versetzen kann.
Denis Demmerle
„The Prayer“ (OT: „La prière„), Regie: Cédric Kahn, DarstellerInnen: Anthony Bajon, Damien Chapelle, Alex Brendemühl, Louise Grinberg, Hanna Schygulla
Anthony Bajon gewann für sein Spiel den Silbernen Bären als Bester Darsteller der 68. Berlinale.